Schon wieder eine gute Woche ist es her, dass ich Lav Diaz' A Century of Birthing gesehen habe. Es war der erste lange Diaz-Film, den ich mir zuhause komplett angesehen habe; das ging erstaunlich gut, man muss sich nur fest vornehmen, auch wirklich dran zu bleiben, nie länger als fünf Minuten Pause zu machen. Man muss sich dem Aggressiven an der Form dieser Filme, ihrem Anspruch, über das eigene Leben in anderer Weise als der Kinoalltagsbetrieb zu gebieten, stellen, sonst verfehlt man etwas an ihnen, glaube ich.
A Century of Birthing ist Diaz' schwierigster Film, zumindest an der Oberfläche. Ihm fehlt die strukturelle Klarheit der anderen Filme, fast wirkt es, als schaue man einem Filmprojekt zu, das in Zeitlupe und sehenden Auges entgleist. Das ist natürlich auch eines der Themen des Films: Die Schaffenskrise eines Regisseurs, der an einem Film namens "Woman of the Waves" arbeitet und aus nicht genau bestimmbaren Gründen auf der Stelle tritt. Man sieht ihn vor dem Computerbildschirm, wie er im Schnittprogramm den Film durchlaufen lässt, mal schnell durch die Bilder scannt, mal eine Szene am Stück schaut. Man schaut dann mit ihm mit und der Film im Film springt aus dem Computerrahmen, füllt den gesamten Bildraum. Es geht im Film im Film um eine Frau, die gerade ein Kloster verlassen hat, weil sie von Zweifel geplagt wird und das Leben (und vor allem ihren eigenen Körper) kennenlernen will.
Die Geschichte der Frau, die Geschichte des Regisseurs, dann noch die Geschichte einer Sekte, die ebenfalls einen Jungfrauenkult pflegt und die von außen, von einem Fotografen erschlossen wird (Akte der Aufzeichnung prägen den gesamten Film und fast immer ist der Akt des Aufzeichnens mit Schmerzen verbunden). Diese dritte Geschichte - eigentlich die erste, der Film beginnt mit einer großartigen Diaz-Einstellung, die eine Art Initiationsritus zeigt und die auch schon den religiösen Singsang einführt, der dann im späteren Film wieder und wieder auftaucht, einfach nicht mehr aufhört - steht in einem etwas unklaren Verhältnis zum Film im Film: Eine weitere Frau verlässt die Sekte, allerdings nicht freiwillig und nicht, um ihre Jungfräulichkeit zu verlieren, sondern weil sie ihre Jungfräulichkeit bereits verloren hat. Irgendwann scheint der eine auf den anderen Film überzugreifen und am Ende beide auf das Leben des Regisseurs.
Ein toller Film, mit vielen Bildern, die mich noch lange verfolgen werden (das apokalyptische Ende der Sekte! Die Frau, die, während es hinter ihr stürmt und regnet, vor dem Gitter steht und dem Regisseur eine Offenbarung vorträgt, als sei sie eine auf der Erde wandelnde Göttin!) aber einer, der ein wenig aus der Balance geraten zu sein scheint. In allen Diaz-Filmen sind unheilige Märtyrer zentral, Menschen, die das Übel gleichzeitig auf sich nehmen und mit ihm verstrickt sind. Meistens ist das aber nur eine Figur (in Evolution... gibt es zwar ebenfalls mehrere, aber da tauchen sie nacheinander auf), die sich dann in Konflikt setzt mit anderen, bodenständigeren Menschen. In Century of Birthing dagegen scheint sich diese Figur aufgespaltet zu haben, in mindestens drei Figuren: den Regisseur (der den Nachnamen Homer trägt und lange Gespräche über Filmtheorie führt), ein Sektenmitglied (der fanatischste von allen, der am Ende dann umso grundsätzlicher zu zweifeln beginnt), den Fotografen (der ist der schlimmste der drei); aber auch die beiden Frauen sind auf ihre Weise unheilige Märtyrerinnen.
In gewisser Weise ist Century of Birthing ein nach Innen gewendeter Film. Aber das Innen ist nicht mehr, wie in Melancholia, die Erinnerung, die begraben war und aufgedeckt werden muss, über Spiele, Verkleidungen, Sprechakte und zuletzt doch ganz klassisch über eine Rückblende; sondern eher eine Schizophrenie, die sich gegen Bilder sperrt, die die Bildproduktion unterbricht, fragmentiert, mit sich selbst kurzschließt, die falsche Anfänge und inkohärente Anschlüsse hervorbringt. Nicht mehr geht es darum, so lese ich zumindest das erratische Ende, etwas zu entdecken, sichtbar zu machen (einen Film zu Ende zu drehen), sondern eher darum, los zu lassen, verrückt zu werden, nicht mehr auf falschen Identitäten zu bestehen.
Wie gesagt, ein toller Film. Dennoch hoffe ich, dass er nicht, dass er den Weg vorgibt, den Diaz in Zukunft gehen möchte. Denn es liegt in der Bewegung, die der Film ahnen lässt (und die durchaus auch schon in Melancholia vorgeprägt war), ein Moment der Abschottung von einem Außen, das mich in Diaz' Kino doch nach wie vor interessiert.
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