"Es ist, als würden wir in der falschen Zeit leben", sagt, glaube ich, Angelica Domröse, der dieser Film mit Haut und Haaren gehört (oder besser: deren Haut und Haaren dieser Film gehört), zu Gottfried John, dem etwas ätherisch anmutenden Seemann aus der Nebelstadt Hamburg.
Das ist zuerst einmal eine interessante Bestimmung für den Film selbst, für einen Film, der vom Ende der DDR erzählt, und zwar: mit den Mitteln des DDR-Kinos. Nicht nur ist Die Verfehlung eine der letzten Produktionen der defa, der Film fühlt sich auch noch nach defa an, in seinen Texturen, in seinem Schauspiel, in seiner Ernsthaftigkeit.
Die defa-Filme waren stets mehr oder weniger explizit auf das Ideal einer sozialistischen Gesellschaft perspektiviert, ob diese nun als bereits verwirklicht, oder als noch (und vielleicht nur schwer) zu erreichendes Ideal gesetzt wurde. Das Gefühl von falscher Zeit in Carows Nachwendefilm hat damit zu tun, dass dieses alte Ideal nicht mehr gültig ist, dass es aber auch nicht durch ein neues ersetzt wird. Stattdessen gibt es nur die Faktizität von Geschichte: Herbst 1989 wird das alles zu Ende sein; also auf der einen Seite wird es dieses beengende, kleingeistige Land mit seinen trostlosen Matschstraßen, freudlosen Kneipen und verkramten Amtsstuben nicht mehr geben, auf der anderen Seite aber auch nicht die kleinen Freuden und Hoffnungen, die sich innerhalb dieses Lands (und sei es im Kampf gegen dessen Repräsentanten) offenbaren. Ein gesamtdeutsches Jenseits gibt es für diesen Film nicht, das macht schon sein Prolog klar. Der Film ist nicht melancholisch (dafür bedürfte es eines sentimentalen Resonanzraums), sondern im strengen Sinne hoffnungslos.
Time out of joint. Die DDR ist zu ihrer eigenen Kulisse geworden. Carow dreht im Osten, dreht auch mit dem Osten, im Abspann dankt er Sportvereinen und Theatertrupps, die in einigen der entscheidenden Szenen des Films Komparsen stellen. Aber schon die ersten Einstellungen, Flugaufnahmen über die Mondlandschaften des Braunkohleabbaus (ähnlich wie in Dominik Grafs Eine Stadt wir erpresst) am Rand des Dorfs, in dem Domröse lebt, rufen eine nicht einholbare Distanz auf. Die DDR ist ab sofort ein ästhetisches Objekt, und wenn sie sich hier noch fast selbst spielen darf, fällt die kleine Differenz, der Eindruck von Hingestelltem, von Kulissen und Gebautem, Nachgestelltem, nur umso herber ins Gewicht. Auch die Szenen, die in Ost-Berlin spielen: alles etwas zu eng kadriert, dass ja keine gesamtdeutsche, durchkapitalisierte Realität ins Bild ragt. (Außer natürlich da, wo das diegetisch so sein soll: John fährt selbstverständlich einen Mercedes).
Die Liebesgeschichte mit John dem sanften Hamburger Seemann ist gerade deshalb gelungen, weil sie nicht mehr sein will als ein Vorwand, ein kleiner Bewegungsimpuls, der Dinge sichtbar macht. Den anderen Mann, der an Domröse interessiert ist, den verbittert-brutalisierten Bürgermeister spielt Jörg Gudzuhn; ein deutlich prägnanterer Typ, aber das macht nichts, man kann gut nachvollziehen, warum sich Domröse stattdessen für das weichere Gesicht Johns entscheidet: Weil man darin eben gerade nicht lesen kann, weil es weder vom kapitalistischen Westdeutschland, noch von den fernen Ländern, die es bereist hat, direkt kündet, weil es noch formbar scheint (wie auch Domröse sich mehrmals formt, vor dem Spiegel).
"Es ist, als würden wir in der falschen Zeit leben" - als gesprochener Satz ist das freilich ein wenig schief und umständlich, auch darin, im Primat des durchformulierten Dialogs, verrät sich defa-DNA. Selbst die wutausbrüche sind rhetorisch überdeterminiert: Welche Organe, fragt ein Sohn Domröses den anderen, werden sich darum kümmern? Das Herz, die Niere? Nein, ich hab's, die Galle! Ich könnte kotzen, wenn ich Dich so reden höre.
Freilich hat auch das Überliterarische der defa-Sprache eine etwas andere Tönung als in älteren defa-Filmen. Auch an ihr sticht das Gemachte hervor, das Theaterdeutsch... das sich immer wieder, nicht immer psychologisch einholbar, in ein wütendes, lautes und gleichzeitig seltsam kraftloses Bellen fortsetzt. Vielleicht schreien sich die Leute bloß deshalb an, weil das ihre einzige Möglichkeit ist, sich gegenseitig ihrer Existenz zu versichern.
Die beiden Söhne sind der große Schwachpunkt des Films. Wie die einander gegenübergestellt werden, hier der brave Systemjournalist mit Musterfamilie, da der oppositionell eingestellte Sensible, das ist hochgradig schemachtisch. Und der alte defa-Schematismus funktioniert eben nicht mehr, weil es kein Koordinatensystem mehr gibt, in dem derart schematische Figuren doch wieder einen Sinn ergeben würden (wobei das die Art von Figuren sind, die in defa-Filmen immer schon eher genervt haben...).
Toll sind dagegen lange Szenen, in denen gar nichts für irgendwas stehen muss, in denen es einfach nur darum geht, zu zeigen, wie Domröse (als Schauspielerinnenkörper) an der falschen Zeit, der nicht wiederfindbaren Zeit scheitert. Während eines Trinkgelages mit einer Freundin, in Erwartung zweier Männer, die beide auf unterschiedliche Art fiktiv sind, während einer langsam, gewissermaßen zähflüssig eskalierenden Hochzeitsfeier, schließlich während einer surrealsozialistischen Parade der Werktätigen, die Carow in einem klugen Schachzug metonymisch ans Ende des Films und eines Staates stellt. Die DDR wirkt endgültig wie ein fremder Planet, irgendwann kollabieren dank optischer Effekte sogar die Grenzen der menschlichen Gestalt. Das Ende der Repräsentation, des eine Gemeinschaft repräsentierenden Kinos ist erreicht.
Das ist zuerst einmal eine interessante Bestimmung für den Film selbst, für einen Film, der vom Ende der DDR erzählt, und zwar: mit den Mitteln des DDR-Kinos. Nicht nur ist Die Verfehlung eine der letzten Produktionen der defa, der Film fühlt sich auch noch nach defa an, in seinen Texturen, in seinem Schauspiel, in seiner Ernsthaftigkeit.
Die defa-Filme waren stets mehr oder weniger explizit auf das Ideal einer sozialistischen Gesellschaft perspektiviert, ob diese nun als bereits verwirklicht, oder als noch (und vielleicht nur schwer) zu erreichendes Ideal gesetzt wurde. Das Gefühl von falscher Zeit in Carows Nachwendefilm hat damit zu tun, dass dieses alte Ideal nicht mehr gültig ist, dass es aber auch nicht durch ein neues ersetzt wird. Stattdessen gibt es nur die Faktizität von Geschichte: Herbst 1989 wird das alles zu Ende sein; also auf der einen Seite wird es dieses beengende, kleingeistige Land mit seinen trostlosen Matschstraßen, freudlosen Kneipen und verkramten Amtsstuben nicht mehr geben, auf der anderen Seite aber auch nicht die kleinen Freuden und Hoffnungen, die sich innerhalb dieses Lands (und sei es im Kampf gegen dessen Repräsentanten) offenbaren. Ein gesamtdeutsches Jenseits gibt es für diesen Film nicht, das macht schon sein Prolog klar. Der Film ist nicht melancholisch (dafür bedürfte es eines sentimentalen Resonanzraums), sondern im strengen Sinne hoffnungslos.
Time out of joint. Die DDR ist zu ihrer eigenen Kulisse geworden. Carow dreht im Osten, dreht auch mit dem Osten, im Abspann dankt er Sportvereinen und Theatertrupps, die in einigen der entscheidenden Szenen des Films Komparsen stellen. Aber schon die ersten Einstellungen, Flugaufnahmen über die Mondlandschaften des Braunkohleabbaus (ähnlich wie in Dominik Grafs Eine Stadt wir erpresst) am Rand des Dorfs, in dem Domröse lebt, rufen eine nicht einholbare Distanz auf. Die DDR ist ab sofort ein ästhetisches Objekt, und wenn sie sich hier noch fast selbst spielen darf, fällt die kleine Differenz, der Eindruck von Hingestelltem, von Kulissen und Gebautem, Nachgestelltem, nur umso herber ins Gewicht. Auch die Szenen, die in Ost-Berlin spielen: alles etwas zu eng kadriert, dass ja keine gesamtdeutsche, durchkapitalisierte Realität ins Bild ragt. (Außer natürlich da, wo das diegetisch so sein soll: John fährt selbstverständlich einen Mercedes).
Die Liebesgeschichte mit John dem sanften Hamburger Seemann ist gerade deshalb gelungen, weil sie nicht mehr sein will als ein Vorwand, ein kleiner Bewegungsimpuls, der Dinge sichtbar macht. Den anderen Mann, der an Domröse interessiert ist, den verbittert-brutalisierten Bürgermeister spielt Jörg Gudzuhn; ein deutlich prägnanterer Typ, aber das macht nichts, man kann gut nachvollziehen, warum sich Domröse stattdessen für das weichere Gesicht Johns entscheidet: Weil man darin eben gerade nicht lesen kann, weil es weder vom kapitalistischen Westdeutschland, noch von den fernen Ländern, die es bereist hat, direkt kündet, weil es noch formbar scheint (wie auch Domröse sich mehrmals formt, vor dem Spiegel).
"Es ist, als würden wir in der falschen Zeit leben" - als gesprochener Satz ist das freilich ein wenig schief und umständlich, auch darin, im Primat des durchformulierten Dialogs, verrät sich defa-DNA. Selbst die wutausbrüche sind rhetorisch überdeterminiert: Welche Organe, fragt ein Sohn Domröses den anderen, werden sich darum kümmern? Das Herz, die Niere? Nein, ich hab's, die Galle! Ich könnte kotzen, wenn ich Dich so reden höre.
Freilich hat auch das Überliterarische der defa-Sprache eine etwas andere Tönung als in älteren defa-Filmen. Auch an ihr sticht das Gemachte hervor, das Theaterdeutsch... das sich immer wieder, nicht immer psychologisch einholbar, in ein wütendes, lautes und gleichzeitig seltsam kraftloses Bellen fortsetzt. Vielleicht schreien sich die Leute bloß deshalb an, weil das ihre einzige Möglichkeit ist, sich gegenseitig ihrer Existenz zu versichern.
Die beiden Söhne sind der große Schwachpunkt des Films. Wie die einander gegenübergestellt werden, hier der brave Systemjournalist mit Musterfamilie, da der oppositionell eingestellte Sensible, das ist hochgradig schemachtisch. Und der alte defa-Schematismus funktioniert eben nicht mehr, weil es kein Koordinatensystem mehr gibt, in dem derart schematische Figuren doch wieder einen Sinn ergeben würden (wobei das die Art von Figuren sind, die in defa-Filmen immer schon eher genervt haben...).
Toll sind dagegen lange Szenen, in denen gar nichts für irgendwas stehen muss, in denen es einfach nur darum geht, zu zeigen, wie Domröse (als Schauspielerinnenkörper) an der falschen Zeit, der nicht wiederfindbaren Zeit scheitert. Während eines Trinkgelages mit einer Freundin, in Erwartung zweier Männer, die beide auf unterschiedliche Art fiktiv sind, während einer langsam, gewissermaßen zähflüssig eskalierenden Hochzeitsfeier, schließlich während einer surrealsozialistischen Parade der Werktätigen, die Carow in einem klugen Schachzug metonymisch ans Ende des Films und eines Staates stellt. Die DDR wirkt endgültig wie ein fremder Planet, irgendwann kollabieren dank optischer Effekte sogar die Grenzen der menschlichen Gestalt. Das Ende der Repräsentation, des eine Gemeinschaft repräsentierenden Kinos ist erreicht.
No comments:
Post a Comment