Tuesday, April 19, 2016

Vermischtes zu vier Filmen von Gérard Blain

Le pélican, 1974
Un enfant dans la foule, 1976
Un second souffle, 1978
La rebelle, 1980

Die Hauptfiguren der vier Filme von Gérard Blain, die ich im Wiener Filmmuseum Anfang des Monats gesehen habe, werden von vier unterschiedlichen Schauspielern verkörpert, tragen vier unterschiedliche Rollennamen, befinden sich in vier unterschiedlichen Lebensstadien; und doch handelt es sich stets um denselben Protagonisten, um denselben Blick auf die Welt, vor allem: um dieselbe Verwicklung in die Welt.

Vier Männer, vier Lebensalter: frühadoleszent in Un enfant dans la foule, spätadoleszent in La rebelle, "in den besten Jahren" in Le pélican, schon etwas darüber hinaus in Un second souffle (deutscher Titel: "Ein Mann kommt in die [offentlichtlich nicht mehr besten] Jahre"). Zusammengenommen ergibt das allerdings gerade keinen Entwicklungsroman. Sinnhafte Entwicklungen, Dialektik, Lernen aus Erfahrung: All das bleibt den Filmen zutiefst fremd. Ihr Grundprinzip ist Akkumulation. Einerseits von Film zu Film, andererseits innerhalb der Filme von Szene zu Szene schichten sich Erfahrungen übereinander, die niemanden klüger machen. Akkumulation durch Wiederholung, fast mechanisch. Passend dazu die Musik, fast stets diegetisch: Plattenspieler und Kassettenrekorder (ein sonderbarer, runder, gelber spielt eine wichtige Rolle in Le pélican), die immer wieder dieselbe Musik abspielen.


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Der eigenartigste Film ist Le pélican. In dessen langem Mittelteil beobachtet ein Vater seinen ihm nach einem Gefängnisaufenthalt entrissenen Sohn in einer Villa in Lugano: Immer wieder derselbe Blick über dieselbe Hecke auf gelangweilten Familienalltag, immer wieder die gleichen drei Kassetten im gleichen gelben Kassettenrekorder, alles komplett stillgestellt, reine Akkumulation. Der Umschlagspunkt, den es dann doch gibt, ergibt sich nicht aus einem Zusammenhang von Reiz und Reaktion, oder Ursache und Wirkung - es ist einfach genug Masse da, genug Blickmasse, genug Kassettenrekordermasse, genug Familienlangweilemasse. Etwas passiert, aber geändert haben wird sich nichts.

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Der stärkste Film ist Un enfant dans la foule. Eine Jugend in und unmittelbar nach der Okkupationszeit. Auf der einen Seite drei Generationen von Frauen mit rotem, lockigem Haar: Oma, Mutter, große Schwester (am Ende eine gleichaltrige vierte, es setzt sich fort, akkumuliert sich). Auf der anderen Seite eine Serie von älteren Männern: ein deutscher Besatzungssoldat, ein amerikanischer Besatzungssoldat, ein erster, dandyhafter Gönner (dessen Wohnung absurd großspurig eingerichtet ist), ein zweiter, spießbürgerlicher Gönner. Dazwischen, in einem, angesichts der zahllosen Erwartungen, die an ihn gerichtet werden, erstaunlich souveränen Dazwischen: ein stiller, sturer, bockiger Junge. In der Schule trägt er einen lila Schal, der ihn sanft von seinen Altersgenossen abhebt.

In einer Schlüsselszene treibt die Nachbarschaft eine entkleidete, geschorene junge Frau durchs Dorf, zur Strafe dafür (zumindest behauptet die Meute dieses Motiv), dass sie sich während der Besatzung mit einem deutschen Soldaten zusammengetan hat. Er, dessen eigene Fraternisierung im Verborgenen geblieben ist, nähert sich ihr an; das einzige Mal im Film, vielleicht sogar das einzige Mal in allen vier Filmen, inszeniert Blain eine voraussetzungslose Begegnung.

Denn alle anderen Beziehungen in Blain-Filmen (und es geht in den Filmen um wenig anderes als um Beziehungen) sind mindestens auch Zwangsbeziehungen. Insbesondere geht es um intergenerationelle emotional-sexuelle Ausbeutungsbeziehungen, um Variationen des Sugardaddytums. Freundschaftlich-zärtliche Zuneigung, erotisches Interesse (wobei es in keinem der Filme eine Sexszene gibt, auch Nacktheit stets banal bleibt) und Machtspiele sind schwer voneinander zu unterscheiden, bilden Amalgamierungen, die von den Beteiligten kaum durchschaut werden können. Von Außenstehenden noch weniger: Der misstrauische Blick des Zimmermädchens in Le pélican auf Vater und Sohn, die gerade eine Nacht gemeinsam im Hotel verbracht haben. Die meisten Beziehungen werden offen ausgelebt; zumindest für den filmischen Blick sind sie alle gleich.

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Die Filme antipsychologisch zu nennen fällt leicht. Schwerer ist es, eine positive Bestimmung zu finden. Vielleicht geht es in ihnen um die Sehnsucht nach anderen, nicht-funktionalen Beziehungen. Die Figuren der Blain-Filme stehen nur auf den ersten Blick einigermaßen fest im Leben. Es fällt ihnen nicht schwer, Beziehungen einzugehen, das stimmt schon. Es gibt immer genug andere Menschen um sie herum, für die sie sich interessieren, und die sich für sie interessieren. Aber das Interesse ist immer ein bestimmtes, ein funktionales. Dadurch verschließen sie sich der Welt, die ihnen eigentlich offenstehen sollte. Ein widerkehrendes Bild dafür: zwei Menschen nebeneinander während der Autofahrt, auf Vorder- und Beifahrersitz. Die Kamera filmt ihre Hinterköpfe, die Welt jenseits der Scheibe verschwindet in Unschärfe. Eine doppelte Negation: keine Innerlichkeit, aber auch Weltbezug. Nur zwei Menschen, die aufeinander bezogen bleiben, obwohl sie sich nicht einmal in die Augen schauen mögen.

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