Es ist nicht unbedingt ein Akt der Notwehr, aber doch einer der bestimmten Ablehnung: Ich wünsche mich, während ich Peter Farrellys Green Book sehe, in einen anderen Film. In einen, der im realexistierenden Green Book als Ahnung enthalten ist, aber sich nicht entfalten kann. Und zwar wünsche ich mich in einen Film, der seinen Ausgangspunkt nicht bei der Konzertreise nimmt, die den schwarzen, distinguierten Pianisten Don Shirley (Mahershala Ali) und dessen weißen working-class-Chauffeur Tony Vallelonga (Viggo Mortensen) durch den amerikanischen Süden führt, oder jedenfalls nicht bei der Freundschaft, die sich zwischen den beiden ungleichen Reisenden nach initialen Spannungen erwartungsgemäß entwickelt; sondern bei einem Briefwechsel, der eine dritte Figur ins Spiel bringt: Tonys Frau Dolores (Linda Cardellini).
Die bittet ihren Mann vor dessen Reiseantritt: Bitte schreibe mir doch regelmäßig. An Tonys brummeliger Antwort ist abzulesen, dass das geschriebene Wort nicht gerade seine Stärke ist (während er in seinen wasserfallartigen Redefluss gelegentlich durchaus rhetorische Perlen einfließen lässt: “I'm not worried. In fact, when you see me worried, you'll know”). So kommt es, dass er sich die Briefe nach hause bald von Don diktieren lässt. Wodurch sich deren Inhalt und Form radikal verändern. Aus - so steht zu vermuten - grobschlächtigen, kurz angebundenen Wasserstandsberichten werden über Nacht glühende Liebesbriefe, geschliffen formulierte Sehnsuchtspoesie.
Im Film ist das, wie gesagt, nur eine Nebenhandlung. Die sich, das ist das zentrale Problem, das ich mit Green Book habe, rückstandslos einfügt in eine Ökonomie der soziokulturellen Aushandlung. Wie Tony dem Pianisten Street-Smartness beibringt, erweckt Don in seinem Chauffeur den Sinn für das Wahre, Gute und Schöne (und nebenbei werden, wieder und wieder, Alltagsrassismen symbolisch besiegt und Klassenschranken, genauso symbolisch, eingerissen). Dieses Gegeneinanderaufrechnen sorgt dafür, dass der Briefwechsel, wie alles andere, eine rein funktionale Drehbuchidee bleibt, ein Rädchen in einem Plotgetriebe, das letztlich keine Verwendung hat für die leise, ironische Perversion, die in diesem für sich selbst genommen schönen Einfall angelegt ist.
Denn schließlich kann man die Sache auch so sehen, dass Tonys Briefe, sobald er sie sich von Don diktieren lässt, gar nicht mehr Tonys Briefe sind; sondern eben Dons. Tony ist gar nicht Beteiligter, sondern lediglich ein Medium dieser Kommunikation. Tatsächlich macht eine Szene spät im Film deutlich, dass Dolores genau weiß, aus welchem Kopf die poetischen Ergüsse stammen, die sie über mehrere Wochen hinweg erhalten hat: Als Don nach dem Ende der Konzertreise Tonys Wohnung aufsucht, umarmt sie den Besucher und flüstert ihm ihren Dank ins Ohr. In dem auf Oscartauglichkeit optimierten Film, der Green Book leider ist, verweist diese Botschaft einzig auf Dolores’ Freude darüber, dass Don ihrem Mann “neue Horizonte eröffnet” hat, die möglicherweise auch auf das Eheleben ausstrahlen. In dem anderen, besseren Film, den ich mir ersehne, könnte diese Umarmung eine ganz neue, verborgene Welt evozieren.
Es ist das erste und einzige Treffen der beiden im Film. Vorher, wenn Don die Briefe diktiert, hat er nur eine vage Ahnung von der Empfängerin, und auch Dolores weiß kaum etwas über den eigentlichen Autor der Worte, die sie liest. Gerade in diesem doppelten Nichtwissen liegt das Potential dieser Briefe. Es ermöglicht beiden Seiten, die Kommunikation zu überformen mit eigenen Projektionen. Der allein in einem extravagant ausgestatteten New Yorker Appartment lebende Don ist, das macht eine weitere Szene des Films (auch die eingebaut in die aufdringliche Ökonomie soziokultureller Aushandlung) deutlich, schwul, die reale Dolores dürfte ihm kaum - aber natürlich kann man sich auch da nicht sicher sein - als ein Objekt erotisch-ästhetischer Anbetung taugen. Was ihn am Briefeschreiben fasziniert, ist vielleicht eher der Wunsch, mit seine Kunstfertigkeit für einmal einen Menschen ganz persönlich, intim zu berühren. Dolores wiederum sehnt sich weniger nach dem konkreten männlichen Körper Dons, als nach einem Ausbruch aus ihrer engen Lebenswelt. Die Briefe sind Elemente einer doppelt verfehlten Kommunikation - die aber trotzdem stattfindet und eine Funktion erfüllt, weil sie die Erfahrungswirklichkeit zweier Menschen verändert und die von identitären Zuschreibungen überformte Realität um einen Möglichkeitsraum erweitert. Oder hätte erweitern können, wenn der Film denn bereit gewesen wäre, es zuzulassen.
Die bittet ihren Mann vor dessen Reiseantritt: Bitte schreibe mir doch regelmäßig. An Tonys brummeliger Antwort ist abzulesen, dass das geschriebene Wort nicht gerade seine Stärke ist (während er in seinen wasserfallartigen Redefluss gelegentlich durchaus rhetorische Perlen einfließen lässt: “I'm not worried. In fact, when you see me worried, you'll know”). So kommt es, dass er sich die Briefe nach hause bald von Don diktieren lässt. Wodurch sich deren Inhalt und Form radikal verändern. Aus - so steht zu vermuten - grobschlächtigen, kurz angebundenen Wasserstandsberichten werden über Nacht glühende Liebesbriefe, geschliffen formulierte Sehnsuchtspoesie.
Im Film ist das, wie gesagt, nur eine Nebenhandlung. Die sich, das ist das zentrale Problem, das ich mit Green Book habe, rückstandslos einfügt in eine Ökonomie der soziokulturellen Aushandlung. Wie Tony dem Pianisten Street-Smartness beibringt, erweckt Don in seinem Chauffeur den Sinn für das Wahre, Gute und Schöne (und nebenbei werden, wieder und wieder, Alltagsrassismen symbolisch besiegt und Klassenschranken, genauso symbolisch, eingerissen). Dieses Gegeneinanderaufrechnen sorgt dafür, dass der Briefwechsel, wie alles andere, eine rein funktionale Drehbuchidee bleibt, ein Rädchen in einem Plotgetriebe, das letztlich keine Verwendung hat für die leise, ironische Perversion, die in diesem für sich selbst genommen schönen Einfall angelegt ist.
Denn schließlich kann man die Sache auch so sehen, dass Tonys Briefe, sobald er sie sich von Don diktieren lässt, gar nicht mehr Tonys Briefe sind; sondern eben Dons. Tony ist gar nicht Beteiligter, sondern lediglich ein Medium dieser Kommunikation. Tatsächlich macht eine Szene spät im Film deutlich, dass Dolores genau weiß, aus welchem Kopf die poetischen Ergüsse stammen, die sie über mehrere Wochen hinweg erhalten hat: Als Don nach dem Ende der Konzertreise Tonys Wohnung aufsucht, umarmt sie den Besucher und flüstert ihm ihren Dank ins Ohr. In dem auf Oscartauglichkeit optimierten Film, der Green Book leider ist, verweist diese Botschaft einzig auf Dolores’ Freude darüber, dass Don ihrem Mann “neue Horizonte eröffnet” hat, die möglicherweise auch auf das Eheleben ausstrahlen. In dem anderen, besseren Film, den ich mir ersehne, könnte diese Umarmung eine ganz neue, verborgene Welt evozieren.
Es ist das erste und einzige Treffen der beiden im Film. Vorher, wenn Don die Briefe diktiert, hat er nur eine vage Ahnung von der Empfängerin, und auch Dolores weiß kaum etwas über den eigentlichen Autor der Worte, die sie liest. Gerade in diesem doppelten Nichtwissen liegt das Potential dieser Briefe. Es ermöglicht beiden Seiten, die Kommunikation zu überformen mit eigenen Projektionen. Der allein in einem extravagant ausgestatteten New Yorker Appartment lebende Don ist, das macht eine weitere Szene des Films (auch die eingebaut in die aufdringliche Ökonomie soziokultureller Aushandlung) deutlich, schwul, die reale Dolores dürfte ihm kaum - aber natürlich kann man sich auch da nicht sicher sein - als ein Objekt erotisch-ästhetischer Anbetung taugen. Was ihn am Briefeschreiben fasziniert, ist vielleicht eher der Wunsch, mit seine Kunstfertigkeit für einmal einen Menschen ganz persönlich, intim zu berühren. Dolores wiederum sehnt sich weniger nach dem konkreten männlichen Körper Dons, als nach einem Ausbruch aus ihrer engen Lebenswelt. Die Briefe sind Elemente einer doppelt verfehlten Kommunikation - die aber trotzdem stattfindet und eine Funktion erfüllt, weil sie die Erfahrungswirklichkeit zweier Menschen verändert und die von identitären Zuschreibungen überformte Realität um einen Möglichkeitsraum erweitert. Oder hätte erweitern können, wenn der Film denn bereit gewesen wäre, es zuzulassen.
No comments:
Post a Comment