Wer die Gelegenheit hat, Ginrin, den ersten Film des großen japanischen Experimental- und seltener Spielfilmregisseurs Toshio Matsumoto zu sehen, der sollte sie unbedingt ergreifen. Ginrin wurde vom japanischen Fahrradherstellerverband (oder einer ähnlichen Organisation) in Auftrag gegeben und erzählt eine Art Geburtsgeschichte des Fortbewegungsmittels: Zuerst existiert es nur als verqueres, schief in der Gegend herumstehendes Traumbild, fast wie von Dali gezeichnet, dann beginnen seine chromglänzenden Einzelteile zu tanzen, vor farbig pulsierenden Hintergründen, zu wundervoll durchgeknallter Musik. Langsam setzt sich das Gerät zusammen und schließlich in Bewegung, fährt durch jetzt zwar fotorealistische, aber trotzdem immer noch wundersam bunte, außerweltliche Landschaften; genauer gesagt fährt die Kamera auf dem Fahrrad und gibt schwebende, leichtfüßige Blicke auf eine Welt frei, die ihren eigenartigen, psychedelischen Zauber auf mich sicher nicht nicht nur aufgrund ihrer räumlichen und zeitlichen Differenz zu mir gewirkt hat.
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Mit Naomi Kawases Spielfilmen Shara und (vor allem) The Mourning Forest hatte ich meine Probleme; ihr Dokumentarfilm Tsuioku dansu aber hat mich tief berührt. "I make films to leave something behind" sagt die Regisseurin am Anfang, als sie sich ihrem Gegenüber, den sie im Bild festhalten möchte, nähert. Mit einer simplen Videokamera filmt Kawase den todkranken Fotografen und Filmkritiker Kazuo Nishii: Sein Krankenzimmer (die Kamera scannt die kahlen Wände ab, die nichts von diesem verschwindenden Leben preisgeben, dann wirft sie manchmal einen sehnsüchtigen Blick aus dem Fenster), seinen schwachen Körper, seine Gespräche mit seiner Frau (die ihm manchmal ein Lied singt) und vor allem mit ihr selbst. Die brüchigen, definitiv nichthochdefinierten Bilder suchen nichts als den bloßen Abdruck, ein paar belebte Linien, ein paar letzte Flächen des organischen Lebens, ein paar letzte, dem Nichts entgegengesprochene Worte. Immer wieder Nishiis krächzendes Husten, dann das Ausspucken ins Taschentuch, als wolle er in die Welt diffundieren.
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Möglichst bald sehen möchte ich, nachdem ich mir Eric Baudelaires The Anabasis of May and Fusako Shigenobu, Masao Adachi and 27 Years Without Images angeschaut habe, Adachis A.K.A. Serial Killer. Die dort entwickelte “landscape theory” (fûkeiron) scheint auch Baudelaires Film inspiriert zu haben. Nach dem Festival habe ich mir auch noch Grandrieuxs Adachi-Film Il se peut que la beauté ait renforcé notre résolution - Masao Adachi angesehen, der ergänzt sich gut mit Baudelaires (und ist für sich selbst, als ästhetisches Objekt, doch noch einmal deutlich interessanter): der Körper Adachis, der bei Baudelaire abwesend ist, steht hier fast die ganze Zeit im Zentrum. Am Anfang sitzen er und ein junges Mädchen, das vielleicht seine Tochter, vielleicht auch seine Enkellin ist, auf einer Schaukel. Er schwingt der Kamera entgegen, wieder und wieder, bis er fast mit ihr zusammen zu stoßen scheint, sein eigene Stimme spricht dazu als voice over wie in Schleifen verfangen über Erinnerung, Philosophie und das Kino.
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Ein Gedanke, der mir nach Volker Pantenburgs Vortrag zum Schwenk gekommen ist: die Bezeichnung "Kamerafahrt" ist zwar passend für Aufnahmen mithilfe von Dolly, Steadycam und motorisierten Fahrzeugen (und abgewandelt als "Kameraflug" auch für Hubschrauber- und Kranaufnahmen), aber für jene besonders in den letzten Jahren allgegenwärtigen Formen der Kamerabewegung, die die Laufbewegung der Kamerafrau nicht verbergen, sondern als Effekt ins Bild eintragen (also sozusagen für die "ungefederten" Kamerabewegungen) eigentlich nicht. Auch der englische "tracking shot" passt nicht so recht, auch der verweist eigentlich auf etwas Flüssiges; "Plansequenz" und "Sequenzeinstellung" sind zwar neutraler, beschreiben aber nicht die Bewegung selbst. Fehlt da der (Fach-)Sprache ein Wort? Hier wird fürs Englische "Follow" angeboten, aber einerseits ist das nicht so ohne weiteres übersetzbar, andererseits impliziert es einen Bezugspunkt, den die Bewegung gar nicht haben muss.
1 comment:
Ich denke auch, dass uns dafür ein geeigneter Terminus fehlt. "Follow shot" ist auch deswegen nur bedingt geeignet, weil er von manchen (z.B. Christopher Wagstaff in seiner Ästhetik des Neorealismus) für alle Arten von Bewegungen verwendet wird, bei denen die Kamera eine Figur im Bild behält. In den Fällen, die Wagstaff beschreibt, sind es meistens: Schwenks.
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