Sunday, November 24, 2013

Such Good Friends, Otto Preminger, 1971

Ich habe Such Good Friends, eine hinreißende New-York-Komödie, als Otto Premingers New Hollywoodfilm erlebt. Genauer vielleicht: So hätte New Hollywood aussehen können, wenn es nach Otto Preminger gegangen wäre und nicht nach der jüngeren, immer schon highconceptanfälligen Filmemachergeneration. Die neue, relative Freiheit führt bei Preminger nicht zu solipsistischer Kommunikationsverweigerung, sondern zu Intensivierungen (nicht nur, aber auch von Kommunikation: mehr, Anderes, Divergierenderes zugänglich, sagbar, filmbar machen) gleichzeitig im Subjektiven - Julies Flashbacks, Fantasien, Wunschvorstellungen, die unvermittelt in den Film eindringen; oder allein schon die Art, wie Preminger das Erleben von (schlechtem) Sex zu zeigen versucht, gleich mehrmals - und im Objektiven: Alle Szenen sind ausgreifend (über ihre narrative Funktion hinaus), vollgestopft mit Details, Abschweifungen, Wiederholungen, Wiederaufnahmen. Sehr konsequent kippt dabei auch alles Humorvolle ins Groteske; der Film ist reich an Geist, aber nicht geistreich.

(Schon, was die Proportionen der Leinwand angeht; das Breitbild ist für Preminger nicht so sehr eine "stilistische Heruasforderung", sondern immer zuerst ein Mittel, mehr auf einmal ins Bild zu bekommen, mehr Menschen in allen Aggregatzuständen vor allem: lebend, tot, hoffend, bangend, statuisiert, entrechtet, sich aufrichtend - am eindringlichsten durchexerziert in Exodus und In Harm's Way, seinen beiden vielleicht besten Filmen; Such Good Friends könnte sein Versuch sein, diese Epen in einem intimen Maßstab nachzubauen, vor allem in den immer neuen multipersonellen Konstellationen, in die er Julie einschreibt. Und wenn einmal keine Personen da sind, springt das Dekor, oder die Kleider, die sie die ganze Zeit wechselt - auch das ist eine große Stärke des Films: Selten sieht man im Kino, dass sich eine Filmfigur wirklich permanent ziemlich unwohl fühlt in den Kleidern, die sie trägt, und nicht nur, weil sie einmal zufällig overdressed oder underdressed ist, sondern weil sie (und nicht nur sie, wie die völlig durchgeknallte Blowjobszene mit James Coco zeigt) den Zwang zur "sozial lesbaren" Kleidung als Gefängnis erlebt.)

(Nicht zu vergessen: Das Drehbuch und also auch die mäandernden, oft sitcomartig verschiedene semantische Stränge strategisch parallel laufen lassenden Dialoge stammen von der großen Elaine May; man müsste sich den Film vielleicht noch einmal zusammen mit The Heartbreak Kid anschauen - May schreibt für Preminger einen großartigen Frauenfilm, ein Jahr später schreibt Neil Simon für May einen großartigen Männerfilm; zusammengenommen könnte das eine sehr umfassende Bestandaufnahme jüdisch-amerikanischer Urbanität ergeben.)

Grandios ist zum Beispiel eine Szene, in der Julies Bekannte für deren Mann Blut spenden sollen. Die gleichwohl resoluten Krankenschwestern verzweifeln an den sich in 1001 Gesprächen (Wiederaufnahmen anderer, früherer Gespräche, es gibt keine neuen Begegnungen in dem Film, nur Verkomplizierungen - selbst die lesbische Affäre aus der Jugendzeit steht irgendwann wieder auf der Matte) verheddernden potentiellen Spendern. Irgendwann übernehmen sie doch die Initiative. "Have You ever had a blood transfusion? Have you ever had Hepatitis? Have you ever had venereal disease?" "How would you classify Syphilis?" Mit fast allen Frauen, die in dieser Szene auftauchen, wurde, erfährt man später, Julie von ihrem Mann betrogen. Die Körperflüssigkeiten über und die unter der Oberfläche.

Dyan Cannon als Julie, neun Jahre vor Honeysuckle Rose - trotz dieser jetzt schon zwei großartigen Rollen weiß ich nicht so recht, ob sie tatsächlich eine gute Schauspielerin ist. Zumindest ist sie keine Joan Crawford, der in Daisy Kenyon, einem anderen großen Preminger-Frauenfilm, ihr Entschluss, aus der Abhängigkeit des Patriarchats heraus in die Freiheit zu treten (was nur bei oberflächlichster Betrachtung nicht ganz klappt), unübersehbar ins wild verschattete Gesicht geschrieben steht. Das Netz, in dem sich Dyan Cannon verfangen hat, ist verfeinert, natürlich auch weniger brutalisiert, aber es gibt vor allem keinen Raum mehr für die ganz großen Freiheitsgesten. Dass sich die kleine Geste, die Preminger seiner Heldin am Ende gönnt, trotzdem nicht ganz und gar falsch anfühlt, ist ein weiteres mittelgroßes Wunder.

Figuren


Dekor


Kleidung


Freiheit



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