Friday, October 28, 2011

The Junkman, H.B. Halicki, 1982 (American Eighties 10)

(Mindestens) zwei Filme des Jahres 1982 nehmen den 25. Todestag James Deans - den 30.9.1980 - als ihren Ausgangspunkt. Robert Altmans ambitionierter Come Back to the Five and Dime, Jimmy Dean, Jimmy Dean ist ein komplexer Versuch, zwischen Nostalgie und Erinnerung zu vermitteln. Viel besser gefallen hat mir allerdings, ich kann mir nicht helfen, H.B. Halickis Actionkomödie The Stuntman. So etwas ist nur an den Rändern des kommerziellen Films denkbar: Dem vielleicht berühmtesten Autounfall des 20. Jahrhunderts begegnet der gelernte Stuntman Halicki mit einem car crash film to end all car crash films.
Nach einer furiosen Eingangsmontage, die den Vorgängerfilm Gone in 60 Seconds (den ich leider noch nicht kenne) zusammenfasst und auch noch einige andere Dinge macht, wird frohen Gemüts auf Jimmy Deans letzte Autofahrt angestoßen. Einige Minuten unbeschwerte, folksy americana, bevor dann, unter fadenscheinigem Vorwand, eine epische, wahnwitzige Zerstörungsorgie beginnt, die sich, mit einigen Verschnaufspausen in der letzten halben Stunde, bis zum Schluss fortsetzt.
Die Rahmenhandlung ist nicht nur fadenscheinig, sonder auch hochgradig selbstreflexiv: Die Hauptfigur des Films - der "Junkman" des Titels - ist ein Filmstar, der mit Autofilmen bekannt wurde. Vor der Premiere seines neuen Films soll er aus Marketinggründen zur Strecke gebracht werden - selbstverständlich nicht irgendwie, sondern mit den Mitteln und dem Personal des B-Films. Und James Dean, dessen Todesfahrt man ja auch als eine konsequente Fortführung der Automutproben aus Rebel Without a Cause auffassen kann (in die Feierlichkeiten zum 25. Todestag spielt zumindest bei Halicki wie bei Altman beides mit hinein), passt aus dieser Perspektive perfekt in den Film. (Halicki starb selber am Steuer - während der Dreharbeiten zu einem neuen Gone in 60 Seconds-Film.)
Das große, mal existentialistische, mal melancholische Autokino der Siebziger Jahre implodiert in einen überhitzten, selbstbezüglichen Klamaukfilm, der in den Actionszenen freilich absolut umwerfend aussieht. Autos, die nur noch mit Autos kommunizieren. Viel einleuchtender auch der Bezug von crash und Libido als später bei Cronenberg; da muss nichts mehr aufwändig verschoben werden vom Fleisch aufs Metall, das Begehren entsteht direkt aus der Verschaltung mechanischer, genial montierter Blickkaskaden mit metallischen Körpern.
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Director Toby Halicki realized Dziga Vertov’s dream: an anti-humanist cinema of bodies and machines in motion. His materialist masterpiece was the first manifesto for a cinema of conspicuous destruction.

(Thom Andersen in Los Angeles Plays Itself über Gone in 60 Seconds)
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Wer sich den Film ansehen möchte, dem sei diese DVD-Veröffentlichung angeraten. In allen anderen Versionen ist der sehr schöne alte, Rock'n-Roll-lastige Soundtrack durch unerträgliches Synthiegedudel ersetzt.

Tuesday, October 18, 2011

Community, Season 2

Community kann einem auf die Nerven gehen: bei aller erzählerischer Freiheit (die manchmal in platte Beliebigkeit umschlägt: nachdem der erste Versuch in 1.19 schon eher daneben gegangen war, folgt in der zweiten Staffel gleich eine Paintball-Doppelfolge: 2.23 und 2.24) ist das vor allem eine hypersmarte Serie, übersättigt mit pop culture und skurrilen Nebenfiguren, die auf fragwürdige Weise ausgebeutet werden ("Fat Neil"), wie überhaupt Sitcomfiguren ja nicht automatisch runder oder interessanter werden, wenn sie wissen, dass sie Sitcomfiguren sind. Trotzdem gefällt die Serie mir immer besser, je mehr ich von ihr sehe. Gerade am Ende der zweiten Staffel findet sie zwar auch keine Ausgänge aus dem, aber doch gelegentlich sehr interessante Wendungen im postmodernen Spiegelkabinett.
Episode 2.21 "Paradigms of Human Memory" ist as meta as it can get: Eine Parodie auf jene Art von "Filler-Episoden" in Sitcoms, die keine neue Geschichten erzählen, sondern aus komischen oder rührenden Highlights früherer Folgen zusammengesetzt sind. Community trifft zunächst sehr gut den spielerisch-nostalgischen Tonfall dieser Vorlagen, nur um dann deren komischen Elemente durch sture Wiederholung ins Leere laufen zu lassen und die nostalgischen Elemente in Zeitlupen zu zerdehnen. Ein weiterer Clou ist, dass die Szenen, an die die Serie sich "erinnert" dem Zuschauer gar nicht bekannt sind. Manche zeigen "unbekannte" Szenen bekannter Episoden, andere gänzlich neue Abenteuer. Insgesamt spielt die Episode in grandioser Manier mit verschiedenen Mechanismen der Generierung von Sinn: einerseits durch Rekombinationen innerhalb des akkumulativen Zeichensystems "Community", andererseits kuleshovexperimentartig direkt in Montage und Schnitt.
Noch deutlich besser gefallen hat mir allerdings 2.19 "Critical Film Studies", eine Episode die sich in Tempo und Erzählgestus deutlich vom Rest der Serie unterscheidet. Wo normalerweise schnell zwischen zwei bis drei parallelen Handlungssträngen hin und her geschnitten wird, dominiert hier eine einzige Erzählung, ja sogar ein einziges Gespräch. Es geht in der Episode darum, dass eine Figur sich plötzlich verändert zu haben scheint. Abed ist normalerweise ein popkulturversessener Außenseiter, der den Kontakt zur Welt nur über sein Wissen um Filmzitate und Sitcomkonventionen aufrecht erhalten kann. Jetzt sitzt er mit Jeff, der Hauptfigur der Serie, in einem teueren Restaurant und verhält sich "normal", kommuniziert direkt, scheint seinen popkulturellen Besessenheiten abschwören zu wollen. Am Ende stellt sich heraus, dass auch das "heildende Gespräch" mit Jeff eine Inszenierung war, modelliert nach Louis Malles My Dinner with Andre.
Das schöne an der Episode ist, dass sie sich nach ernsthafter Abwägung der Alternativen ganz auf die Seite des Nichtauthentischen, der sozialen Maskerade schlägt. Jeff sagt Sätze wie: "Conversation was invented by humans to conceal reality" oder auch "emotional breakthroughs are overrated". Nur, wer die Komplexität moderner Identitätsbildung und sozialer Interaktion ohne Rückgriff auf absolute Kategorien wie Persönlichkeitskern oder Identität aushält, lebt ein Leben, das dieser Serie und unserer Zeit angemessen ist.

Tuesday, October 11, 2011

The Verdict, Sidney Lumet, 1982 (American Eighties 9)

Der Freudensprung eines ausgewachsenen Mannes aus bloßer Lust an "democracy in action", an einem der wenigen Momente, in denen das System durchlässig, die Handlungsmacht des Einzelnen sichtbar wird, ein Freudensprung, der sich dabei nicht ein bisschen falsch anfühlt, weil er nicht aus heiterem Himmel kommt, sondern lediglich ein kleiner Teil eines Lernprozesses ist, ein demokratie-euphorischer Überschuss sozusagen; so einen Freudensprung kann es vermutlich tatsächlich nur im amerikanischen Kino geben.



Vor dem Luftsprung hat der Mann, ein Anwalt, einen Zeugen in einem Prozess gegen zwei respektierte, aber kriminell schlampige Ärzte rekrutieren können. Der Zeuge ist ebenfalls Arzt, hat nicht viel Zeit und möchte sich mit dem Anwalt deswegen auf dem Weg aus dem Nachhauseweg, heraus aus dem Krankenhaus unterhalten. Es folgen mehrere Einstellungen, in denen die Kamera vor den beiden platziert ist, sie sprechen über den Fall, während sie sich auf großen Marmortreppen der Kamera nähern.
Ein toller Film, Regie Lumet, Buch Mamet, Kamera Bartkowiak, Hauptdarsteller Newman ein Courtroom-Thriller situiert in Boston, in fast noch aristokratischem Milieu, gegen das sich Underdogs und Rechtsstaatlichkeit natürlich erst recht durchsetzen müssen. Der Antagonist ist ein wohlgenährter katholischer Bischof wie aus einem Ränkestück des 19. Jahrhunderts. Ganz besonders toller ist der Schnitt auf die Geschworenen bei der Urteilsverkündung. Vorher wurden sie fast nur von schräg hinten oben gefilmt, die frontale Einstellung haben sie erst in dem Moment verdient, in dem sie beweisen, dass sie nicht Objekte der Manipulation, sondern demokratische Subjekte sind.
Super ist auch die Szene gleich nach dem Luftsprung, in der Newman, noch halb trunken von professionellem und staatsbürgerlichem Hochgefühl zum ersten Mal Charlotte Rampling sieht, in der Kneipe, in der er gleich in der ersten Einstellung Billard spielt. Er spricht sie an, während sie Zeitung liest und fragt: "Would You settle for a drink?" Sie blickt hoch, mustert ihn einen Moment und antwortet: "No, thank You". Rückblickend hätte man schon an dieser inszenierten Coolness erkennen können, dass sie eine Schlange ist, vielleicht sogar auch, dass sie am Ende nicht Schlange genug sein wird für diesen Newman. Aber Newman antwortet auf ihre Zurückweisung nur: "I had a good day today" und dreht sich beschwingt um.

Tuesday, October 04, 2011

in passing: Death Wish 1 & 2, Michael Winner, 1974 & 1982

Dass Michael Winner ein Nichtskönner sondergleichen ist, wusste ich schon vorher. Aber die beiden ersten Death-Wish-Filme sind doch noch viel schlimmer, als ich sie mir immer vorgestellt hatte. Der erste meint seine politische Agenda immerhin noch ernst und leitet sie sogar kulturhistorisch aus dem Western ab (natürlich auf eine fürchterlich dumme Weise, die alles Dialektische am Western und dessen Verhältnis zum Gesetz ignoriert; man kann das, glaube ich, schon an der ungelenken Montage der Show-Schießerei ablesen). Death Wish 1 hat noch das Bedürfnis, sich gegen etwas zu positionieren. Der zweite ist dann nur noch stumpfes Faschokino, dem keine Differenz mehr zugrunde liegt, weil es nur noch nachvollzieht, was es selbst für den Lauf der Welt hält. Leider liegt er damit, rückblickend, gar nicht so falsch, siehe Mike Davies, City of Quartz. Viel schlimmer als Filme, die über die Wirklichkeit lügen sind Filme, die sich der Lüge gewordenen Wirklichkeit ergeben.