Es ist schon etwas her, dass ich Ivette Löckers Nachtschichten gesehen habe: vor einem guten Jahr, auf der Diagonale 2011, im Grazer Schubertkino 1. Es war der letzte Festivaltag, kurz vor der Abreise, deswegen hatte ich damals nichts über den Film geschrieben, ich hatte mich aber sehr darüber gefreut, dass er den Preis für den besten Dokumentarfilm gewonnen hatte. Der Deutschlandstart des Films vor zwei Wochen war dann so klein und unscheinbar, dass auch ich ihn übersehen habe. In der Splatting Image hat Thomas Groh einen schönen Text zu diesem für mich schönsten deutschsprachigen Film des Jahres 2011 geschrieben, sonst scheint er überall untergegangen zu sein.
Nachtschichten beschreibt das Verhältnis einiger Menschen zur Berliner Nacht. Der Film folgt zwei Graffiti-Sprayern auf ihren Streifzügen, klettert ihnen auf riskanten Wegen über die Dächer und Fassaden nach, er folgt einer Sozialarbeiterin, die sich um Obdachlose in den Stadtparks kümmern, er folgt einem passionierten Nachtwanderer, der erklärt, wie er sich im Laufe der Jahre in einem Leben ohne soziale Kontakte eingerichtet hat, er folgt einer Wachschutzbeamtin, die sich nicht ganz so weit zurückgezogen hat, die sich aber danach sehnt, ihr Leben nach einfachen, klaren Regeln leben zu können und die vor allem mit Intimität nichts mehr zu tun zu haben mögen scheint, er folgt einem Obdachlosen auf der Suche nach einer Unterkunft, er folgt Polizisten, die (andere) Graffitijäger verfolgen, aber nicht zu fassen bekommen. Mit dem "Nachtleben" der hippen Partystadt Berlin hat das alles nicht das geringste zu tun; okay, es gibt noch ein weiteres Portrait, das einer japanischen DJane, aber auch da interessiert sich Löcker eher für die Einsamkeit hinter dem DJ-Pult, als für diejenigen, die mithilfe ihrer Musik, wie es treffend heißt, "die Nacht zum Tag machen". In Nachtschichten bleibt die Nacht Nacht.
Nacht aber auch nicht als das Romantisch-Raunende, das Mysterium, die dunkle Unterseite der hellen Ratio; die Menschen, denen Löcker folgt (und es geht immer um Passagen), sind nicht "umnachtet", sie werden zwar von der Nacht eingehüllt, vom Dunkel umfangen, dann aber auch isoliert und als Einzelne so genau konturiert, wie sie am Tag, eingespannt in tausenundeine Beziehung, nie konturiert werden könnten. Vielleicht ist das auch eine Besonderheit der urbanen Nacht: Es wird zwar dunkel, aber nie komplett finster. Dunkel genug, um nicht sofort erkannt, identifiziert zu werden (man hat Kontrolle: man kann sich zum Beispiel dafür entscheiden, eine taktvolle Dokumentarfilmerin für ein paar Schritte an sich herantreten zu lassen), hell genug, um sich selbst zu orientieren, um ein eigenes Verhältnis zur dunklen Seite der Stadt aufzubauen. Aber auch das ist eine Vereinfachung; im Film verfestigt sich das nie: für den einen ist Nacht Alltag, für den anderen Distanzierung vom Alltag, für den einen ist sie aufgeladen mit Sehnsucht, der andere scannt sie wie eine offen daliegende Karte. Die Kamera fügt sie zusammen, zur Gemeinschaft derer, die im Dunkel der Vergemeinschaftung widerstehen.
Das Kino Zukunft Berlin zeigt Nachtschichten noch bis zum 11.4., zur Zeit läuft der Film täglich um 18:15. Ich kann ihn nur von ganzem Herzen empfehlen.
Der Trailer verrät über den herzergreifenden Humanismus des Films wenig, seine digitale Schönheit aber lässt er erahnen:
1 comment:
Der ging auch bei uns ziemlich unter, trotz des Preises. Hatte ihn zwar schon am Radar, im Kino ging es sich aber nicht gut aus...schade erstmal. :/
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