Schön an den neuen Qualitätsserien nicht nur von HBO ist ja auch, dass man über sie einen Einstieg finden kann in die amerikanische Gegenwartsliteratur. Dass The Wire aus einer bestimmten Perspektive vor allem eine Schnittstelle ganz unterschiedlicher literarischer Werkzusammenhänge ist, dürfte sich schon herumgesprochen haben. Aber auch im Universum des David Milch gibt es Abzweigungen in die Belletristik. Für die Deadwood-Episode 3.8 heuerte Milch den Romanautor Kem Nunn an, bei dem leider nur kurzlebigen Nachfolgeformat John from Cincinatti war Nunn dann sogar co-creator.
Kem Nunn hat seit den frühen Achtziger Jahren fünf Surferromane geschrieben, "surf noirs", genauer gesagt. Ich lese gerade den ersten, Tapping the Source, bisher gefällt er mir sehr gut. Ein Junge auf der Suche nach seiner Schwester in Südkalifornien, Huntington Beach, die Siebziger sind vorbei, der Vietnamkrieg ist es auch, die meisten Drogen sind nicht mehr da, aber nüchtern sieht man auch nicht klarer. Ein wenig Surferpoesie, aber das hatte ich mir schlimmer vorgestellt - Erlösung findet man auch in den Wellen nicht. Die Hoffnung auf eine neue Welt hat sich nicht erfüllt, trotzdem gibt es keine Sehnsucht nach der Alten, nach Familie zum Beispiel. Ike, die Hautfigur weiß: In seiner Familie gab es nie jemanden, der ein normales Leben geführt hat, auch für ihn gilt es vor allem, mit so wenig Platzwunden wie möglich davon zu kommen. Er kommt aus der Wüste ans Meer, kennt von der Zivilisation nur den Rand, blickt immer auf eine endlose Fläche, die sich jenseits von ihr befindet. Die Überreste der Siebziger heißen Hound Adams oder Preston Marsh, sie schlagen sich gegenseitig die Schädel ein, verlieren alle Finger außer ihren Daumen. Ein Buch über blockierte Träume, das man vielleicht als eine Art sequel zu Pynchons Inherent Vice lesen lann - oder eben als prequel zu John from Cincinatti.
Charles Band schönen Low-Budget-Science-Fiction-Film Parasite (in 3D gedreht, immerhin) habe ich aus irgendeinem Grund mit Nunns Buch in Verbindung gebracht. Miteinander zu tun haben Buch und Film erst einmal gar nichts: In Parasite geht es um zwei Monsterwürmer, die aus einem Labor entkommen, einer nistet sich in Robert Glaudinis Bauch ein, der andere wird von Glaudini gejagt und frisst sich durch mehrere Wirtskörper. Glaudini und die Würmer landen in irgendeinem Kaff in der kalifornischen Einöde, Staub, Canons, ein schäbiges Hotel, ein schäbiges Diner, Demi Moore in ihrer zweiten Filmrolle, nicht viel mehr. Eine Jugendgang, drei Jungs, drei Mädels, die das Kaff terrorisiert, aber so schlimm ist das nicht, irgendwie mag man sie auch. Glaudini und sein Verfolger (in einem dieser absurden Sportwagen, deren Türen sich nach oben öffnen) bringen eine Thrillerhandlung in die Gänge, die freilich über ihre eigene mangelnde Reichweite weiß: Immer wieder unterhalten sich die Figuren über einen anderen, größeren Film, der sich vielleicht zur selben Zeit in Los Angeles abspielt, mit Killerviren, Straflager, vielleicht sogar mit einem waschechten Bürgerkrieg. Hier, in der Wüste, bleiben nur ein paar lächerliche Strahlenkanonen übrig und Wurmmonster, die sich schon fast zärtlich an Frauenoberschenkel schmiegen. Was den Film vielleicht mit Tapping the Source verbindet: seine Sehnsuchtslosigkeit, seine Nüchternheit. Von hier werden keine großen Karrieren ausgehen, aber weitermachen muss man trotzdem. Charles Band hat seit Parasite 33 weitere Filme gedreht und unglaubliche 283 produziert.
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