Friday, January 03, 2014

Hofbauerkongress Nummer 12, Nacht 1

So viel nackte Zärtlichkeit, Günter Hendel, 1969

(Spoiler ahead...) Ein frontaler Film. Gleich zu Beginn, die Brüste, die über das eingeseifte Autofenster reiben und damit eigentlich die Leinwand selbst einseifen. Später immer wieder: Das Begehren alter Männer, das sich auf frontal auf junge Frauen richtet. Der Kanadier, der schon Reißzwecken verdaut hat, und deshalb von Giftpilzen nicht zu beeindrucken ist, der außerdem dort im Bordell auch Liebe erfahren hat, starrt seine Eroberung (eigentlich ist sie die Erobernde, das weiß er noch nicht) frontal an, als sie ankündigt, sich umziehen zu wollen. Sie bittet ihn, sich umzudrehen, das tut er, nur schaut er dann, mit der Kamera, frontal in einen Spiegel. Gewitzte Frontalität. Ein anderes Mal schaut ein Mädchen frontal auf eine Leinwand, auf der wohl ein Porno abläuft, der Film schneidet aber lieber auf den Projektor, der direkt ins Auge des Zuschauers zu projizieren scheint. Zu sehen gibt's erotischerweise trotzdem eher wenig in dem Film. Wenn die Szenen trotzdem oft mit Schwenks auf (meist bedeckte) Brüste, auf den (stets bedeckten) Schritt (auch von Männern, manchmal) enden, dann zielt das weniger auf sexuelle Attraktionen, denn eben auf die Frontalität: so, hier, schaut her, darum geht's doch eigentlich. You've been man-hendelt...

Auch der Pfarrer (gespielt vom Regisseur selbst und die beste Figur des Films; fast schon Bressonianisch sein Tagebucheintrag zu Beginn) ist ein Mann der Frontalität, auch in theologischer Hinsicht. Den Jungen, der aus dem Opferstock geklaut hat, weißt er auf dessen Entschuldigung "Wir haben's nicht leicht zuhause" (osä) knallhart zurecht: "Na und?". In seiner Kirche wird niemand Asyl erhalten, er hält sich lieber an den feschen Dorfpolizisten, der in den beiden tricksters, die sich als Bruder und Schwester ausgeben, das Rumtreiberische sofort erkennt. Der Pfarrer wiederum feuert die Jungs beim Fußsballspielen an und freut sich vor allem, als einer den Ball direkt in die Fresse geschossen bekommt. Schließlich nimmt er selbst den Ball und schießt den Rumtreiber vom Fahrrad. Ihn und den Polizisten freut's.

Bei all dem ist der Film trotzdem spielerisch und erzählerisch erstaunlich ambitioniert. Ein film noir, wie von James M. Cain adaptiert, läuft nicht unbedingt harmonisch (aber genau das ist interessant) neben einem rechtskonservativen Dorffilm her, die Sympathien sind zwar drehbuchtechnisch klar verteilt, auch der noir-Part ist von Hausfrauenideologie durchsetzt (da wird sie allerdings taktisch), aber ich hatte doch den Eindruck, dass Hendel sich für die fießen tricksters in den Tiefen seines Herzens mehr interessiert als für die Erhaltung der heilen Welt. Scharnier ist eine Blondine, in die sich der eine trickster zwar verliebt, an der der Film allerdings bald fast jedes Interesse verliert. Die Kamera probiert ziemlich viel, es gibt tolle tracking shots (unter anderem durch München) und Montagesequenzen, die sich verselbstständigen, während unter ihnen die Dialoge weiterrattern (oder eher: knattern). Eine der schönsten Montagesequenzen zeigt einen Tierpark, mit präzise zum Dialog geschalteten Elefanteneinsatz.

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Sollazzevoli storie di mogli gaudenti e mariti penitenti - Decameron nº 69 / Hemmungslos der Lust verfallen, Joe d'Amato, 1972

Drei Lustspielepisoden, wohl im direkten Fahrwasser von Paolinis Il decameron. Weniger zusammengehalten als lose nebeneinander gruppiert von einer gruppe geiler Mönche auf dem Weg hin zum und schließlich wieder weg vom Nonnenkloster. Als running gag rennt in jeder der Episoden jemand mit dem Kopf gegen eine Wand, ansonsten machen die drei Abschnitte mit sehr ähnlichen Ausgangssituationen jeweils ziemlich weit Auseinanderstrebendes; eine endet rabiat mit einer Kastrierung, eine mit einer etwas übererklärt wirkenden Genderutopie, eine läuft einfach so aus, wie, als ob ein paar Seiten Drehbuch fehlen (wobei das schon ein professionell gemachter, teils ziemlich toll aussehender Film ist; denkt man sich die beknackte Synchro - ich kann mir nicht helfen, da werde ich in diesem Leben kein Connaisseur mehr - weg, dann ist das auch kein doofer, sondern ein in Teilen sogar ziemlich cleverer Film). Wie Hendel ist sich auch d'Amato der hier deutlich freizügiger dargebotenen Attraktionen bewusst, allerdings führt er die Kamera gleichzeitig fahriger und dynamischer, unter anderem in einer fast Francoescen Lesbenszene (mit Bettpfosten!). Nicht frontal, eher frenetisch, immer nach vorne strebend, immer auf der Suche.

Die Männer sind allesamt Deppen, allerdings auf sehr unterschiedliche Art; es gibt jeweils einen alten und einen jungen Deppen. Die jungen Deppen sind interessanter, weil sie nicht einfach nur (wahlweise langweilige, brutale oder impotente Inkarnationen des Patriarchats sind). Der erste ein stotternder Bildhauer, der nervös durch die Gegend rennt und mit seinem Hammer sicher schon viel Unheil angerichtet hat. Der zweite, in der durchgeknalltesten der drei Geschichten, ein fast schon Ninetto-Davoli-artiger naiv-vitalistischer Mönch, der sich in der vielleicht schönsten Szene des Films zwischen seiner Loyalität zur Kirche (ach was, zu Christus höchstpersönlich) und dem Lustprinzip entscheiden muss. Der dritte stüzt sich begeistert in eine Crossdressing-Affäre.

Obwohl immer viel los ist, gibt es auffällig viele Szenen, in denen die Figuren einfach nur eine halbe, eine ganze Minute lang durch die Gegend laufen.

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St. Pauli zwischen Nacht und Morgen, Jose Benazeraf, 1967

Der schönste Film des ersten Tags. Ein extremer Kontrast zu den ersten beiden Filmen, die den Körpern auf den Leib rücken, sie, wo sie es noch nicht sind, mit Eigenbewegung ausziehen zu versuchen scheinen. Benazerafs Kamera bleibt ganz im Gegenteil stoisch starr, unbewegt. Und sie hält die Einstellungen lange durch (die Schnitte, die dann doch folgen,, sind auch für sich selbst interessant; sie behalten stets die Kontinuität des Raums im Blick, erweitern den Raum sehr bewusst um bestimmte Facetten), wartet darauf, dass sich die Figuren, vor allem die Frauen, selbst entbößen. In diesem Fall wiederum: eher innerlich als äußerlich entblößen, und auch entblößen ist nicht so ganz das richtige Wort, denn im gleichen Moment, in dem sie entwas von sich Preis zu geben scheinen, verschließen sie sich wieder. Die Gesichter werden zu Masken (denen in einer besonders tollen Montagesequenz Rauch entströmt), die Tanzbewegungen machen sie zu sonderbaren Zwitterwesen zwischen Mensch und Maschine.

Toll ist zum Beispiel eine Szene, in der drei Tänzerinnen sich vor der Kamera positionieren und sich ständig gegenseitig von einem Podest stoßen, das in der Mitte platziert ist und auf dem stets nur eine Platz hat. Unwillkürlich vergleicht man die Tänze und tatsächlich ist der letzte Tanz vor dem Schnitt (ein Mädchen im weißen Hemd) besonders toll, als ob Benazeraf genau auf diesen Tanz gewartet hätte. Überhaupt: Im wieder Dreiergruppen, nicht unbedingt frontal, aber doch vor der Kamera aufgereiht eher als einander interaktiv zugewandt. Einmal sogar 3+3+3: Die drei Tänzerinnen noch einmal, im Hintergrund drei Männer, die ihnen zuschauen, vorne ragen drei Frauenbeine ins Bild.

Die Statik und das ultraatmosphärische Schwarz-Weiß könnte leicht in kunstfilmerische Klischees kippen, schwer zu sagen, warum das nicht ein einziges Mal passiert (vielleicht natürlich nur: für mich nicht passiert...). Eher ein Problem bekommt der Film mit dem Melville-artigen Gangsterplot (darauf weißt auch Ekkehard in seiner schönen Besprechung hin), der von einem Raubüberfall mit ausgiebiger vorheriger Planung erzählt. Auch da gibt es viele schöne Momente, aber die Statik in den tollen Nachtclubszenen und auch in der existenzialistisch überformten, irgendwie Carax-artigen Liebesgeschichte hat mir besser gefallen, als die Versuche, das doch wieder zu dynamisieren, zum Beispiel durch etwas anstrengede Autoszenen (auch die Montage ist natürlich ein Moment von Dynamik; aber ihr geht es nicht darum, Plot voran zu treiben, sondern Intensitäten oder auch einfach nur Schönheiten miteinander vergleichbar zu machen). Mit etwas Abstand stört mich das allerdings alles nicht mehr so.

Das Ganze in Hamburg, St. Pauli. Das Milieu ist schon da, irgendwie, allerdings nur zeichenhaft, als durchaus absurdes Störmoment. Ausgerechnet durch den schönsten Carax-Moment, einen Spaziergang des Liebespaars über eine leuchtende Brücke, die sich fast in den Pont Neuf verwandelt, schickt Benazeraf eine Gruppe pöbelnder Matrosen. Aber auch das passt, irgendwie. Ein bezaubernder Film.

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American Angels: Baptism of Blood, Beverly & Ferd Sebastian, 1989

Wenn Robert Aldrichs fantastischer ...All the Marbles die bezaubernde B-Movie-Trash-Version eines klassischen Hollywood-Charakterdramas ist, dann ist Baptism of Blood die nicht unbedingt bezaubernde, aber immerhin ziemlich unglaubliche Z-Movie-Ultratrash-Version einerseits von ...All the Marbles, andererseits diverser Sport- und vielleicht noch mehr Tanzfilme der Achtziger: Die Körperselbstperfektionisierung, das sich selbst frenetisch in eine Ware verwandeln, die/das einen, bzw halt zur Not nur mich in Filmen wie Flashdance auch deshalb sehr unangenehm anspringt, weil es einerseits audiovisuell überzuckert, andererseits "psychologisch", "sozial" etc rationalisiert wird, dieser Eighties-Körperterror wird von den Sebastians und ihren professionellen Wrestlerinnen, die sich im Film mehr oder weniger selbst spielen, zur Kenntlichkeit entstellt (und das Jahre vor Showgirls, auf den Michael Kienzl nach dem Film hinwies, was mir sehr einleuchtet).

Der Film macht keine Gefangene und war der erste echte Deliriumsfilm des Kongress (okay, die Verstopfungsszene bei d'Amato...). Schon zurecht und auch für mich, streckenweise. Einen zweiten Baron Porno habe ich alllerdings vorläufig noch nicht entdeckt. Dass Baptism of Blood die tumbe Räudigkeit von Wrestling auf den Punkt bringen, das stimmt schon (vor allem Diamond Dave, der mit dem Motorrad ins Büro einfahrende Manager, verkörpert ... ja, was er verkörpert, ist eigentlich egal, hauptsache er verkörpert, und zwar durch und durch). Andererseits ist Wrestling immer schon audiovisual Entertainment und schon seit Jahrzehnten selbst B-Movie-förmig. Hätte eine angemessen schäbig synchronisierte Doppelfolge eines "authentischen" (die Anführungszeichen sind ja eh gerade der Punkt) Frauenwrestling-Specials aus den Achtzigern groß anders ausgesehen? Nicht ebenso erheitert? Was der Ereheiterung selbst ja nichts wegnehmen würde... Aber im Großen und Ganzen bleibe ich doch bei Aldrich, fürchte ich, ich kann mir halt nicht helfen...

Aber die Musik, oh, dieser Syntieterror, besonders infernalisch in der Szene, in der der Kleinwüchsige erstmals in den Ring steigt...

Und nicht vergessen: "Sie ist die B-E-S-T-Beste!"

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