La curee / Die Beute, Roger Vadim, 1966
Roger Vadim und Jane Fonda zwei Jahre vor Barbarella: ausführlich zelebriertes, sehr alteuropäisches Leiden am morschen Wohlstand, der am Ende doch immer noch über alle Begierden triumphiert. Schwache Männer und Frauen, die von Anfang an nur Fetische sind. Versuche, das eine oder andere mit Jane Fondas Gesicht anzustellen. Manchmal funktioniert das sogar, gleich zu Anfang darf man ihr außerdem beim Aerobic zusehen. Irgendwie siegt das sich seiner Zola-Vorlage überbewusste Qualitätskino dennoch stets über die auf uninteressante Art verhaltene Erotomanie (was allerdings der fast durchgängig mitlaufende Rassismus soll? Gibt es den auch bei Zola? Wird er da reflexiv? Hier zumindest nicht...). Wer braucht einen Vadim, wenn es einen Benazeraf gibt? Also ich nicht...
Insgesamt: gähnende Langeweile in immerhin wunderbarer Technicolor-Cinemascope-Optik. Das 35mm-Material rettet viel, die Textur trägt mehr Melancholie in sich als Drehbuch, Regie und Musik gemeinsam. Sanfte Farben, die besonders Wollpullover hervorragend zur Geltung bringen. Andererseits halt: Wollpulloverkino, da hilft alles nichts.
Nikutai joyu nikki / Ungezähmte Erotik, Shinya Yamamoto, 1968
Erst jetzt fällt mir auf, dass ich von dem Regisseur doch schon einmal einen Film gesehen hatte, und zwar Cruel History of Women's Torture, einen der schrecklichsten Pinkus, den ich kenne. Ungezähmte Erotik teilt mit dem glücklicherweise höchstens einen Hang zur bösartigen Asozialität, der freilich glücklicherweise in diesem Fall durch die freie, mäandernde Form und die vielen "Transferpassagen", die einfach nur Autofahrten durch Tokyo mitfilmen, nicht so recht zur Geltung kommt.
Die Geschichte ist wirr, handelt von Doppelgängerinnen, Erpressung und anschließender Rache. Eher interessiert hat mich eine Nebenhandlung, um eine Bedienstete der Hauptfigur (so glaube ich das zumindest zu erinnern; der Film hat wenig Spuren hinterlassen, ist nirgendwo digital und bald womöglich auch nirgendwo mehr analog greifbar...) und einen blinden Schlägertyp, der sie einmal vergewaltigt, beim nächsten Versuch dann nicht, weil sie es ihm ausreden kann. Das sind zwei rührend kaputte und unbeholfene Figuren, die mir neben den Noir-Abziehbilder, auf denen mir der Rest des Figurenensembles herauszulaufen schien, wie das heimliche Zentrum eines ganz anderen Films vorkamen. Das Disparate selbst hat andererseits seinen eigenen Reiz: Offensichtlich stammt Ungezähmte Erotik (der deutsche Titel hat da schon irgendwie recht; die Synchro dagegen ist grottenschlecht) aus einer Zeit, beziehungsweise aus einem Produktionsumfeld, in dem jene Routinen, die den japanischen Sexfilm zu einem kalkulierbaren Industrieprodukt machten, noch nicht einmal im Ansatz ausgearbeitet waren.
davor: Erotische Tempelfeste in Japan
Ausgerechnet über den schönsten der Vorfilme des Kongresses gibt es keine weiterführenden Informationen: Erotische Tempelfeste in Japan ist eine kurze, durchaus ernst gemeinte Dokumentation, offensichtlich teilweise aus japanischen Filmen der frühen 1960er zusammengeschnitten, aber zusammengehalten von dokumentarischem Material von vor allem älteren Frauen, die Phallusstatuen huldigen und sich darüber beschweren, dass diese Tradition in der Generation ihrer Töchter auszusterben droht.
New York City Inferno, Jacques Scandelari, 1978
Ein Travelogue durch die vermüllten Hinterhöfe eines New York vor allen Gentrifizierungs- und Befriedungsmaßnahmen (stimmt historisch vermutlich nicht; aber auch als Utopie wird da eine Wahrheit drin stecken), entlang von schwulem Sex; der Film hat nicht nur mich mit Scandelari versöhnt, der auf geschriebenen Dialog fast völlig verzichtet, statt dessen zwischen die im besten Sinne touristischen und die energiegeladen vorgeführten erotischen Attraktionen dokumentarische Passagen baut, die sich ganz auf das einlassen, was sie jeweils vorfinden: Ein Tattoostudio, einen Homosexuellenaktivisten, eine Katze. Die Village People stampfen dazu fast durchgängig (freilich mit Nummern, die noch einen Rest von Soul erahnen lassen), das hat anderen im Kino besser gefallen als mir, aber eine Weile funktioniert das tatsächlich gut. Ich war trotzdem froh, dass die Orgienszene am Schluss auch musikalisch einen Schritt nach vorne versucht hat.
Gleich einiges ist aufgebrochen mit diesem Film: Die Heteronorm, die den Kongress ansonsten schon weitgehend im Griff hat, die um sich greifende Materialeinkuschelung (statt dessen: grindige Videobilder, wie vorher nur bei den American Angels), die verschiedenen Filter, die in den anderen Filmen vors Begehren gestellt wurden (und sei es nur, wie in Quellen der Erotik, der Filter des brutalisierten Melodrams).
Geheime Lüste blutjunger Mädchen, Jürgen Enz, 1978
Im selben Jahr, aber vermutlich auf einem anderen Planeten dreht Jürgen Enz die neofeudalistische Fantasie Geheime Lüste blutjunger Mädchen, den zärtlichsten und befreitesten Film, den ich bisher von ihm gesehen habe. Eine Verwechslungs- und Verkleidungskomödie, die sich in einem Türenkabinett verrennt, sich falsche Bärte anklebt, Bilder sprechen lässt, das erotische Potential von Zeitungskiosken (ich wollte mir eigentlich die ausgehängten Schlagzeilen merken...) erkundet.
Das Schloss, in dem der gutmütigste und friedfertigste aller Grafen haust, ist von dichtem Efeu bewachsen, also vermutlich verwunschen. Man nähert sich ihm neugierig, aber nicht ängstlich: Angst ist unbekannt in diesem Film, das einzige, was dem Glück gelegentlich im Weg steht, ist die Überforderung, die sich einstellt, weil es einfach zu viel von allem gibt: Zu viele sprechende Bilder an der Wand, zu viele Mädchen, die an die Tür klopfen, zu viele falsche Bärte. Und weil es den Enz'schen Figuren eher liegt, eine schöne Sache zu wiederholen, als sie einzusortieren, Schlüsse aus ihr zu ziehen, die doch nur irgendwo anders hin führen, aus diesem beglückenden Film hinaus führen würden.
Enz' aktives Bemühen, seine Filme nicht mit der Welt da draußen abzugleichen, sondern selbst als andere Welt zu setzen, wird nie so deutlich (nun gut: in dem knappen Drittel seines Werkes, das ich bisher kenne, zumindest) wie in diesem Film. Schon die Dialekte, das Berlinern des Hausdieners (der außerdem auf sehr außerweltliche Art kurzsichtig ist), das Schwyzerdütsch der Magd, sind nicht in irgendwas integriert, sondern Attraktionen, Schönheiten eigenen Rechts.
Der Schnitt vom komisch verwachsenen Brötchen, das eines der Mädchen aus ihrer Wundertüte holt, auf einen nackten Arsch sollte künftig in jedem filmanalytischen Seminar den match cut bebildern.
Die Sexszenen sind, zugegeben, etwas langweilig.
Die Härtesten schauen sich noch irgendwas Blei- und Testosteronhaltiges an, ich habe meinen perfekten Abschlussfilm gefunden.
---
Am nächsten Tag muss ich den Fernseher im Hotel als Wecker missbrauchen. Ich stelle den Timer auf 12:00 Uhr, werde deshalb von der Tagesschau geweckt. Die erste Meldung betrifft Merkels Skiunfall. Das real existierende Deutschland hat immer noch den längeren Atem.
Roger Vadim und Jane Fonda zwei Jahre vor Barbarella: ausführlich zelebriertes, sehr alteuropäisches Leiden am morschen Wohlstand, der am Ende doch immer noch über alle Begierden triumphiert. Schwache Männer und Frauen, die von Anfang an nur Fetische sind. Versuche, das eine oder andere mit Jane Fondas Gesicht anzustellen. Manchmal funktioniert das sogar, gleich zu Anfang darf man ihr außerdem beim Aerobic zusehen. Irgendwie siegt das sich seiner Zola-Vorlage überbewusste Qualitätskino dennoch stets über die auf uninteressante Art verhaltene Erotomanie (was allerdings der fast durchgängig mitlaufende Rassismus soll? Gibt es den auch bei Zola? Wird er da reflexiv? Hier zumindest nicht...). Wer braucht einen Vadim, wenn es einen Benazeraf gibt? Also ich nicht...
Insgesamt: gähnende Langeweile in immerhin wunderbarer Technicolor-Cinemascope-Optik. Das 35mm-Material rettet viel, die Textur trägt mehr Melancholie in sich als Drehbuch, Regie und Musik gemeinsam. Sanfte Farben, die besonders Wollpullover hervorragend zur Geltung bringen. Andererseits halt: Wollpulloverkino, da hilft alles nichts.
Nikutai joyu nikki / Ungezähmte Erotik, Shinya Yamamoto, 1968
Erst jetzt fällt mir auf, dass ich von dem Regisseur doch schon einmal einen Film gesehen hatte, und zwar Cruel History of Women's Torture, einen der schrecklichsten Pinkus, den ich kenne. Ungezähmte Erotik teilt mit dem glücklicherweise höchstens einen Hang zur bösartigen Asozialität, der freilich glücklicherweise in diesem Fall durch die freie, mäandernde Form und die vielen "Transferpassagen", die einfach nur Autofahrten durch Tokyo mitfilmen, nicht so recht zur Geltung kommt.
Die Geschichte ist wirr, handelt von Doppelgängerinnen, Erpressung und anschließender Rache. Eher interessiert hat mich eine Nebenhandlung, um eine Bedienstete der Hauptfigur (so glaube ich das zumindest zu erinnern; der Film hat wenig Spuren hinterlassen, ist nirgendwo digital und bald womöglich auch nirgendwo mehr analog greifbar...) und einen blinden Schlägertyp, der sie einmal vergewaltigt, beim nächsten Versuch dann nicht, weil sie es ihm ausreden kann. Das sind zwei rührend kaputte und unbeholfene Figuren, die mir neben den Noir-Abziehbilder, auf denen mir der Rest des Figurenensembles herauszulaufen schien, wie das heimliche Zentrum eines ganz anderen Films vorkamen. Das Disparate selbst hat andererseits seinen eigenen Reiz: Offensichtlich stammt Ungezähmte Erotik (der deutsche Titel hat da schon irgendwie recht; die Synchro dagegen ist grottenschlecht) aus einer Zeit, beziehungsweise aus einem Produktionsumfeld, in dem jene Routinen, die den japanischen Sexfilm zu einem kalkulierbaren Industrieprodukt machten, noch nicht einmal im Ansatz ausgearbeitet waren.
davor: Erotische Tempelfeste in Japan
Ausgerechnet über den schönsten der Vorfilme des Kongresses gibt es keine weiterführenden Informationen: Erotische Tempelfeste in Japan ist eine kurze, durchaus ernst gemeinte Dokumentation, offensichtlich teilweise aus japanischen Filmen der frühen 1960er zusammengeschnitten, aber zusammengehalten von dokumentarischem Material von vor allem älteren Frauen, die Phallusstatuen huldigen und sich darüber beschweren, dass diese Tradition in der Generation ihrer Töchter auszusterben droht.
New York City Inferno, Jacques Scandelari, 1978
Ein Travelogue durch die vermüllten Hinterhöfe eines New York vor allen Gentrifizierungs- und Befriedungsmaßnahmen (stimmt historisch vermutlich nicht; aber auch als Utopie wird da eine Wahrheit drin stecken), entlang von schwulem Sex; der Film hat nicht nur mich mit Scandelari versöhnt, der auf geschriebenen Dialog fast völlig verzichtet, statt dessen zwischen die im besten Sinne touristischen und die energiegeladen vorgeführten erotischen Attraktionen dokumentarische Passagen baut, die sich ganz auf das einlassen, was sie jeweils vorfinden: Ein Tattoostudio, einen Homosexuellenaktivisten, eine Katze. Die Village People stampfen dazu fast durchgängig (freilich mit Nummern, die noch einen Rest von Soul erahnen lassen), das hat anderen im Kino besser gefallen als mir, aber eine Weile funktioniert das tatsächlich gut. Ich war trotzdem froh, dass die Orgienszene am Schluss auch musikalisch einen Schritt nach vorne versucht hat.
Gleich einiges ist aufgebrochen mit diesem Film: Die Heteronorm, die den Kongress ansonsten schon weitgehend im Griff hat, die um sich greifende Materialeinkuschelung (statt dessen: grindige Videobilder, wie vorher nur bei den American Angels), die verschiedenen Filter, die in den anderen Filmen vors Begehren gestellt wurden (und sei es nur, wie in Quellen der Erotik, der Filter des brutalisierten Melodrams).
Geheime Lüste blutjunger Mädchen, Jürgen Enz, 1978
Im selben Jahr, aber vermutlich auf einem anderen Planeten dreht Jürgen Enz die neofeudalistische Fantasie Geheime Lüste blutjunger Mädchen, den zärtlichsten und befreitesten Film, den ich bisher von ihm gesehen habe. Eine Verwechslungs- und Verkleidungskomödie, die sich in einem Türenkabinett verrennt, sich falsche Bärte anklebt, Bilder sprechen lässt, das erotische Potential von Zeitungskiosken (ich wollte mir eigentlich die ausgehängten Schlagzeilen merken...) erkundet.
Das Schloss, in dem der gutmütigste und friedfertigste aller Grafen haust, ist von dichtem Efeu bewachsen, also vermutlich verwunschen. Man nähert sich ihm neugierig, aber nicht ängstlich: Angst ist unbekannt in diesem Film, das einzige, was dem Glück gelegentlich im Weg steht, ist die Überforderung, die sich einstellt, weil es einfach zu viel von allem gibt: Zu viele sprechende Bilder an der Wand, zu viele Mädchen, die an die Tür klopfen, zu viele falsche Bärte. Und weil es den Enz'schen Figuren eher liegt, eine schöne Sache zu wiederholen, als sie einzusortieren, Schlüsse aus ihr zu ziehen, die doch nur irgendwo anders hin führen, aus diesem beglückenden Film hinaus führen würden.
Enz' aktives Bemühen, seine Filme nicht mit der Welt da draußen abzugleichen, sondern selbst als andere Welt zu setzen, wird nie so deutlich (nun gut: in dem knappen Drittel seines Werkes, das ich bisher kenne, zumindest) wie in diesem Film. Schon die Dialekte, das Berlinern des Hausdieners (der außerdem auf sehr außerweltliche Art kurzsichtig ist), das Schwyzerdütsch der Magd, sind nicht in irgendwas integriert, sondern Attraktionen, Schönheiten eigenen Rechts.
Der Schnitt vom komisch verwachsenen Brötchen, das eines der Mädchen aus ihrer Wundertüte holt, auf einen nackten Arsch sollte künftig in jedem filmanalytischen Seminar den match cut bebildern.
Die Sexszenen sind, zugegeben, etwas langweilig.
Die Härtesten schauen sich noch irgendwas Blei- und Testosteronhaltiges an, ich habe meinen perfekten Abschlussfilm gefunden.
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Am nächsten Tag muss ich den Fernseher im Hotel als Wecker missbrauchen. Ich stelle den Timer auf 12:00 Uhr, werde deshalb von der Tagesschau geweckt. Die erste Meldung betrifft Merkels Skiunfall. Das real existierende Deutschland hat immer noch den längeren Atem.
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