Ein Film wie aus einer anderen, von der unseren sanft, aber entschieden enthobenen Welt: Er heißt "Christmas Holiday", handelt jedoch von einem Höllentrip. Überall stehen Weihnachtsbäume herum, die plötzlich aber nur noch bizarr wirken (ist ja auch eine bizarre Idee, sich einen Baum ins Haus zu stellen und dann auch noch zu schmücken). Deanna Durbin und Gene Kelly spielen ein Liebespaar, aber der romantische Überschwang übersetzt sich in einen Alptraum.
Auch in den Details ein sonderbarer Film. Es gibt noch einen zweiten Mann für Durbin, einen jungen, seinerseits gleich zu Beginn mit einer abtrünnig gewordenen Verlobten geschlagenen Soldaten, gespielt von dem seltsam unterdefiniert aussehenden Dean Mason (nicht die Spur gelebten Lebens im Gesicht). Dass Deanna noch einen zweiten Mann braucht neben dem infernalischen Kelly, leuchtet ein. Dass die Geschichte, die sich zu weiten Teilen über Rückblenden als ihre Erinnerung ausbreitet, mit diesem zweiten, eigenschaftslosen Mann einsetzen muss, leuchtet ganz und gar nicht ein. Erst einmal.
Denn diese Volte hat ihren eigenen Reiz: Nur, weil er so wenig eigenen Ballast mit sich herumschleppt (nur ein Telegramm der Verlobten, die ihrerseits nicht im Film auftaucht), kann er sich ganz auf die neue Bekanntschaft einlassen. Er lernt nicht nur einen neuen Menschen kennen, sondern auch gleich dessen Vergangenheit, Sehnsüchte, Träume; die er in gewisser Weise als die eigenen übernimmt.
Das erste Treffen der beiden ist großartig inszeniert (überhaupt: Siodmaks Meisterschaft spricht aus jeder einzelnen Szene...); sie ist Nachtclubsängerin, nach ihrem Auftritt stellt Richard Whorf (!) als wundervoll schmieriger Reporter (?) sie ihm vor, mit dem Hinweis darauf, dass es wohl nicht allzu schwierig sei, ihre Bekanntschaft zu machen. Die beiden sitzen am Tisch, sichtlich unangenehm berührt davon, dass an einen wie auch immer direkten, ehrlichen Kontakt nicht zu denken ist, dass an ihre Bekanntschaft von Anfang an Ansprüche gestellt werden, von Außen her. Whorf schwirrt in der (ihrerseits starren) Einstellung herum, schiebt sich zwischen sie, außerdem steht eine durchaus bizarre, wachsüberlaufene Kerze zwischen ihnen (als Phallussymbol, und auch sonst, ein reichlich obszönes Ding), an dem Mason herumzuspielen beginnt. Vielleicht er und sicher die Zuschauer erkennen, dass das ihr Leben ist: Eine fremdbestimmte Existenz, die einem die Luft zum Atmen nimmt. Dass sie diese Existenzform mit Liebe verwechselt, wird erst später klar.
Es folgt eine außergewöhnliche Kirchenszene. Ausführlich und quasidokumentarisch wird ein Gottesdienst abgefilmt, teils in spektakulären Totalen. Mason verfolgt das religiöse Spektakel als einziger Besucher stehend. Er gehört ganz offensichtlich nicht dazu - während Durbin in der Zeremonie aufgeht, am Ende in Tränen ausbricht. Schon da sieht man, was Mason für sie wäre: Eine säkulare Alternative. Leider aber auch eine ziemlich sexlose (was man erst richtig sieht, wenn Gene Kelly auftaucht).
Ein komplexer, durch und durch eigenartiger Film; es gibt später eine Konzertszene, die ähnlich inszeniert ist wie die Sequenz in der Kirche, in der es denselben dokumentarischen Überschuss zu geben scheint. Aber erst einmal beginnt, wenig später, die ausführliche Rückblende, die den Hauptteil des Films ausmacht. Erst jetzt taucht Gene Kelly auf, man sieht, wie Durbin ihm verfällt. Toll immer wieder ihr Gesicht: Oft fast ganz weiß ausgeleuchtet, die Züge wie vorsichtig und zart mit Tusche aufgetragen. Toll, wie am Ende in der Schlüsselszene des Films Kellys Gesicht einen harten Schatten auf dieses weiche Antlitz wirft. Was einerseits die sexuelle Dimension dieser Beziehung (und des Films) auf den Punkt bringt, andererseits den Untergang der Beziehung einläutet: mit einem solchen Übergriff kann Durbin nicht umgehen.
Wie eine femme fatale sieht Durbin natürlich von Anfang an nicht aus, sie bleibt das etwas pausbäckige Mädchen vom Lande; zumindest bis kurz vor Schluss, bis zu dem exzessivsten Moment des Films, wenn sie, unmittelbar nach dem Schattenwurf Kellys über ihr Gesicht, erkennt, dass sie diesen Mann doch nicht lieben kann, wenn dann ihr Gesicht zu einer Art Wachsmaske wird, wenn alles, was dieses Gesicht zusammengehalten hatte, aus ihm zu entweichen scheint.
(Es gibt zwischendurch noch lange Passagen mit Kellys Mutter, die es mit so mancher Hitchcock-mom aufnehmen könnte. Beeindruckt hat mich an ihr ihre Betonfrisur, in die eine Sträne eingefärbt ist wie ein Markenzeichen. Die Wohnung, in dem Kelly mit seiner Mutter lebt, hat etwas von einem verwunschenen Märchenschloss: von Außen umrankt von allerlei Gestrüpp, im Ofen werden Beweisstücke verbrannt... Die Hexenmutter verschwindet so plötzlich wieder aus dem Film, wie sie aufgetaucht ist.)
Großartig und auch schwer lesbar ist das Ende. Auf den ersten Blick wird das sakrale Motiv wiederaufgegriffen, das seinen Ausgang in der Kirchenszene genommen hatte. Durbin blickt gen Himmel, die Wolken ziehen beiseite, die (eh ständig präsente) Musik schwillt an, "The End". Es gibt aber kurz vorher einen Moment, der im religiösen Pathos nicht aufgeht. Während Durbin sich noch über ihren toten Ehemann beugt, schneidet Siodmak auf Mason. Dieser Schnitt ist nicht durch einen Blick motiviert, auch nicht durch eine Aktion Masons, der zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon aus dem Film gefallen ist. Er steht da wieder, nach wie vor sehr grundsätzlich unlesbar, als säkulare Alternative, als ein Körper, an das sich eigentlich ein Begehren, Durbins Begehren heften könnte; allein, es klappt nicht, es bleibt nur der Blick in den Himmel, die Flucht in die Transzendenz.
Wieder und wieder erkenne ich, wenn ich Filme sehe wie Christmas Holiday, dass mir die Klassik des Kinos näher ist als die Moderne des Kinos; dass das vermutlich immer so sein wird. Klassik im Kino heißt gerade nicht: organischer, runder Stil, in sich selbst ruhende Balance von Form und Inhalt. Auch das klassische Kino ist eines, das immer schon aus dem Ruder läuft. Der Unterschied besteht vielleicht eher darin, dass im klassischen Kino sowohl das aus-dem-Ruder-Laufen, als auch der (wenn man genau hinschaut, nie ganz triumphierende) Drang zur Kohärenz etwas weniger narzisstisch unterfüttert sind. Es gibt, anders ausgedrückt, nicht das Meisterwerk als Horizont, gegen den es anzufilmen gilt.
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