Drei weiße Gebäude in der endlosen Weite der texanischen Steppe. Eine Tankstelle und ein Motel, in dem während des gesamten Films nur ein Gast nächtigt. Der ist zuerst als Schatten hinter der Milchglastür zu sehen, sturzbetrunken. Am nächsten Tag bittet er die Besitzerin, ausgenüchtert, um eine Anstellung. Sie stellt ihn ein und er hört auf zu trinken. Der Film dramatisiert das (zunächst; und auch später nur unter Vorbehalt) nicht, man sieht keinen Entzug, auch keine Versuchung, es gibt einfach nur die Feststellung, dass er früher getrunken hat und jetzt nicht mehr trinkt. Es dauert nicht lange - in filmischer Zeit, zumindest - bis die beiden heiraten. Sie ist Witwe, hat ihren Mann in Vietnam verloren und jetzt einen Sohn, er ist geschieden und hat eine Tochter. Ihr Sohn fragt den Mann, als der einmal schweigsam dasitzt, an was er denke, an gute oder an schlechte Dinge. "Some of both, I think" ist seine Antwort. Robert Duvall spielt den Mann und erst jetzt weiß ich, was alle an diesem Schauspieler finden. In True Confessions hatte er mich neulich eher genervt, da schien er immer mehr de Niro als de Niro sein zu wollen, aber diesem Film prägt er sich auf, mit seinem schütteren Haar, mit der Art, wie aus der gezähmten Schweigsamkeit plötzlich die Wut hervorbricht. Sicher hilft dabei, dass die Kamera nie aufdringlich wird, dass er oft mit dem Rücken zu ihr stehen bleiben darf, dass sie nicht jede seiner Regungen zu verdoppeln sucht.
Der Mann war einmal ein berühmter Countrysänger, aber das weiß man am Anfang noch nicht. Zunächst sind da nur drei Häuser in der Steppe, die Kamera bewegt sich nicht mehr, als sie muss und sie ist oft so platziert, dass man weit in den Raum sehen kann, zum Beispiel sind die Figuren in der Steppe, nah an der Kamera und die drei Häuser sind weit weg, ragen in den Horizont hinein. Auch ist die Kamera oft so platziert, dass der Horizont das Bild horizontal teilt: oben der Himmel, unten die Erde. Gelegentlich fährt ein Auto durch das Bild, von rechts nach links, direkt an der Schnittstelle, zwischen Himmel und Erde. Der Mann, die Frau und ihr Sohn wohnen in einem der drei Häuser. Der Film zeigt das Wohnzimmer oft in einer Totalen. Einerseits ist das Zimmer eng, sauber und adrett eingerichtet, wie als würde es sich gegen die weite, wilde Natur als Schutzraum bewähren müssen, andererseits haben die gedeckten, natürlichen Farben der Inneneinrichtung eine kontinuierliche Verbindung zu den Farben der Felder vor dem Haus. Das Haus ist so hellhörig, dass man jedes Wort durch die Wände vernehmen kann, mehrmals bittet einer die anderen beiden durch die Trennwand hindurch um Ruhe.
Der erste Teil des Films hat eine Ruhe und Selbstverständlichkeit, wie man sie im amerikanischen Kino selten findet. Das Drama kommt dann doch noch in den Film, aber es kommt von außen, von der Landstraße, die an der Tankstelle vorbei führt und im Herz des Films setzt es sich nie wirklich fest. Zunächst kommt ein Kleinbus vorbei, als Vorankündigung, einige junge Männer, die Mitglieder einer Country-Band, steigen aus, um ihr Idol zu bewundern. Später packt sein altes Leben den Mann wieder, er schreibt neue Lieder, trifft seine Ex-Frau und seine Tochter, singt schließlich in einer Kneipe und hat dann sogar einen Hit im Radio. Wenn er aber seine neue Frau dazu bringen möchte, seine Lieder zu singen, weil seine eigene Stimme brüchig geworden ist, lehnt sie das ab. So schafft sie es, dass das Drama den Mann zwar berühren und ein paar Meter mitreißen kann, dass er sich aber nicht ganz von ihm vereinnahmen lässt und sich am Ende mit dem selbstverständlichen Leben in den drei Häusern zwischen Himmel und Erde zufrieden geben kann.
Tender Mercies ist einer von mehreren schönen country-music-Filmen der frühen Achtziger Jahre. Ein konservativer Film, ein christlich-konservativer sogar: Die erste Szene ist so etwas wie eine Wiedergeburt, später wird der Mann getauft, aber darum macht der Film dann zum Glück doch eher wenig Aufhebens. Wichtiger scheint mir die Nachträglichkeit, die den gesamten Film prägt: nach dem Suff, nach der Karriere, nach der großen Liebe, nach Vietnam, nach New Hollywood. Vielleicht sogar: gleichzeitig vor und nach New Hollywood. Eine Geschichte, die das zu erzählen scheint, was John-Ford-Helden oder ein Anthony-Mann-Helden nach dem Ende ihrer Filme, ihres Kinos erleben könnten; die das große Drama noch einmal aufruft, aber nur als Nachhall, der den Figuren bis zu einem gewissen Grad äußerlich bleibt, immer schon im Modus der Nachträglichkeit.
(Zufällig lese ich gerade den fünften Jack-Reacher-Roman Echo Burning. Der ist wieder einmal ganz toll, aber zu seinem doch eher konventionell wilden, rauhen Texasbild ist Tender Mercies ein schönes Korrektiv.)
Saturday, November 26, 2011
Monday, November 21, 2011
Into the Abyss, Werner Herzog, 2011
Ein ergreifender Film. Ein Pfarrer, der vor nummerierten aber namenlosen Kreuzen steht, kurz bevor er eine Exekution begleiten wird und der über ein Eichhörnchen erzählt, das er durch einen Golfplatz hat rennen sehen. Zwei Männer, die für einen Dreifachmord im Gefängnis sitzen, einer in der Todeszelle, einer lebenslang, beziehungsweise mindestens bis 2041, es scheint wenig Zweifel daran zu geben, dass beide schuldig sind, unklar ist höchstens, wer welchen Teil der Schuld trägt, aber dafür interessiert sich Herzog nicht besonders. Der Vater des letzteren, der im "Gefängnis gegenüber" sitzt und nicht davon ausgeht, noch einmal in Freiheit leben zu können und auf dessen Gesicht sich die Umrisse des Gefängnisgitters so eindringlich abzeichnen, als würden sie sich auf dem Körper selbst einschreiben. Der damals zuständige Polizist, über dessen Erzählungen Herzog gelegentlich Polizeivideos legt, die während der Ermittlungen entstanden waren, die in Into the Abyss aber keine Beweisstücke mehr sind, in denen statt dessen die Irreversibilität der Zeit unmittelbar Bild zu werden scheint. Der Bruder eines Toten, die Schwester und Tochter zweier anderer, beide sprechen über ihre Erfahrungen mit dem Verlust und Herzog gelingt es, selbst dann nicht unangemessen aufdringlich zu wirken, wenn er direkt nach emotionalen Zuständen fragt. Ein Freund eines Gefangenen, der der Kamera seine schwieligen Hände zeigt und erzählt, wie er im Gefängnis lesen gelernt und danach einen Job gefunden habe. Und dass er, wenn er sich doch einmal von seiner derzeitigen Freundin trennen würde, hinter das Tattoo an seinem Unterarm einfach nur "sucks" setzen müsste. Das Auto einer der Toten, wegen dem - möglicherweise - drei Menschen sterben mussten, das jetzt auf einem impound lot vor sich hin rostet und dessen Boden vor einiger Zeit von einem Baum durchstoßen wurde, der durch es hindurch gewachsen war. Gut möglich, dass Herzog sich an dieser Stelle zurückhalten musste, er fragt zumindest nicht weiter nach diesem Baum, wie er auch die Sache mit dem Eichhörnchen am Anfang nicht so weit verfolgt, wie er es in einem anderen Film vielleicht getan hätte. Into the Abyss stößt immer wieder auf die Art von Abzweigungen, die in anderen Herzogfilmen zum Beispiel zu Reptilien in Reaktorabwässern führen, der Film nimmt diese Abzweigungen aber nicht, sondern bleibt ganz im Bann der Tat und der Hinrichtigung, deren Vollzugsprotokoll die Kamera ebenfalls abtastet. Die bilderlose Leerstelle, um die herum sich viele Dokumentarfilme Herzogs organisieren ist in diesem Fall der Tod selbst, sowohl der der Mordopfer als auch der des Verurteilten. Der "glimmer of hope", mit dem der Film (fast) endet, ist dann ein medial mehrfach vermitteltes Bild eines unwahrscheinlichen neuen Lebens: die Ultraschallaufnahme eines mithilfe aus dem Gefängnis geschmuggelten Spermas durch künstliche Befruchtung erzeugten Embryos auf einem Mobiltelefon.
Labels:
Dokumentation,
Gefängnis,
Into the Abyss,
Todesstrafe,
USA,
Werner Herzog
Thursday, November 17, 2011
L.A. Rebellion / Larry Clark
Im an das UCLA film and television archive angeschlossene Billy Wilder Theater läuft zur Zeit eine Retrospektive der Filme der L.A. Rebellion, auf die Bert Rebhandl neulich auch auf der cargo-Website verwiesen hatte. Ein ziemlich toller Film ist zum Beispiel Cutting Horse von Larry Clark, ein multikultureller, melodramatischer, in alle möglichen Richtungen ausufernder Western über schwarze und hispanoamerikanische Cowboys, Umweltverschmutzung, Familienfehden und eben auch über das "cutting", eine wenig bekannte Rodeo-Disziplin, in der es darum geht, dass ein Reiter ein einzelnes Rind aus einer Herde herauslösen muss. Genauer gesagt geht es vor allem um die Ausbildung für aufs cutting spezialisierte Pferde; wie Clark nach dem Film erklärte, kann man sich dabei die Instinkte der Pferde zu Nutze machen, die ihre Aumerksamkeit von selbst auf die Bewegungen der Rinder richten. Das Interesse, das der Film dem Handwerk der Pferdezüchter entgegen bringt, hebt ihn ab von anderen revisionistischen Western (zB von Mario van Peebles Posse). Der Film ist vergleichsweise neu (von 2002) und obwohl er außerhalb aller Indiewoodkanäle entstand, wundert es mich doch, wie wenig Resonanz er bekommen hat. Falls es in diesem Jahrtausend im Kino einen interessanteren Western gegeben haben sollte, habe ich ihn noch nicht gesehen.
---
Das screening war nicht wirklich gut besucht, es waren aber gleich mehrere schwarze Cowboys und Rancher anwesend (auch der Hauptdarsteller des Films ist im echten Leben einer), die alle sehr eingenommen waren von dem Film und hinterher jede Menge ziemlich spezialisierte Fragen stellten. Besonders enthusiastisch war ein jüngerer Cowboy (mit Cowboyhut) in der letzten Reihe, der am Ende des Q & A, trotz allgemeiner Aufbruchstimmung, zum wiederholten Mal ein langes Statement abgab. Seine neben ihm sitzende Frau wirkte leicht genervt, aber auch resigniert; vermutlich hat sie eine solche Situation nicht zum ersten Mal erlebt.
---
Larry Clark erzählte im Q & A unter anderem etwas über ein gescheitertes Filmprojekt in Somalia und über ein Pferd, das bei dieser Gelegenheit in seinen Besitz gelangte. Wenn ich das richtig verstanden habe, hatte er das Pferd auf den Namen "Thoreau" getauft.
---
Ebenfalls im Billy Wilder Theater gab es am Samstag ein Symposium zur L.A. Rebellion. Besonders interessant erschien mir ein Vortrag der jungen Regisseurin Coleen Smith über die Bildästhetik der Rebellion-Filme (insbesondere bezogen auf Larry Clarks Passing Through, den ich leider noch nicht kenne). Smith sprach unter anderem über den "schmierigen Glanz" schwarzer Menschen in City of God und über dessen Herkunft: der Kameramann schmierte die Gesichter der Figuren tatsächlich zumindest in einigen Szenen mit Vaseline ein. Ein weiterer Grund, den Meirelles-Film zu hassen...
Weiterhin wies Smith darauf hin (und gleich mehrere Regisseure der Rebellion bestätigten sie darin), dass das einzige Filmmaterial ohne color bias (siehe dazu Richard Dyer: White)von Fuji hergestellt werde.
---
Das screening war nicht wirklich gut besucht, es waren aber gleich mehrere schwarze Cowboys und Rancher anwesend (auch der Hauptdarsteller des Films ist im echten Leben einer), die alle sehr eingenommen waren von dem Film und hinterher jede Menge ziemlich spezialisierte Fragen stellten. Besonders enthusiastisch war ein jüngerer Cowboy (mit Cowboyhut) in der letzten Reihe, der am Ende des Q & A, trotz allgemeiner Aufbruchstimmung, zum wiederholten Mal ein langes Statement abgab. Seine neben ihm sitzende Frau wirkte leicht genervt, aber auch resigniert; vermutlich hat sie eine solche Situation nicht zum ersten Mal erlebt.
---
Larry Clark erzählte im Q & A unter anderem etwas über ein gescheitertes Filmprojekt in Somalia und über ein Pferd, das bei dieser Gelegenheit in seinen Besitz gelangte. Wenn ich das richtig verstanden habe, hatte er das Pferd auf den Namen "Thoreau" getauft.
---
Ebenfalls im Billy Wilder Theater gab es am Samstag ein Symposium zur L.A. Rebellion. Besonders interessant erschien mir ein Vortrag der jungen Regisseurin Coleen Smith über die Bildästhetik der Rebellion-Filme (insbesondere bezogen auf Larry Clarks Passing Through, den ich leider noch nicht kenne). Smith sprach unter anderem über den "schmierigen Glanz" schwarzer Menschen in City of God und über dessen Herkunft: der Kameramann schmierte die Gesichter der Figuren tatsächlich zumindest in einigen Szenen mit Vaseline ein. Ein weiterer Grund, den Meirelles-Film zu hassen...
Weiterhin wies Smith darauf hin (und gleich mehrere Regisseure der Rebellion bestätigten sie darin), dass das einzige Filmmaterial ohne color bias (siehe dazu Richard Dyer: White)von Fuji hergestellt werde.
Labels:
Black Cinema,
Cutting Horse,
Filmtechnik,
L.A. Rebellion,
Larry Clark,
Pferde,
Rassismus,
Rodeo,
Tiere,
USA,
Western
Tuesday, November 08, 2011
in passing: Alfilm 2011
City of Life, Ali F. Mostafa, 2009
Ein network narrativ aus Dubai. Alexandra Maria Lara ist mit dabei, sie spielt eine bulgarische ehemalige Ballerina, die jetzt als Stewardess arbeitet und sich in einen abscheulichen Engländer verliebt. Ein indischer Taxifahrer sieht aus wie ein Bollywoodstar und will daraus ein Geschäftsmodell machen. Und ein Sohn steinreicher Eltern gerät mit seinem besten Freund in eine abenteuerliche Gangsterfamilie. Die Absicht, ein inklusives Panorama der verschiedenen Ethnien und sozialen Klassen Dubais zu zeichnen ist im fertigen Film zwar noch erkennbar; aber wenn man näher an der Bildebene bleibt, ist City of Life doch von Anfang bis Ende in Geld getränkt. Luxusgütermontagesequenzen sehen einfach besser aus als Kitchensinkmontagesequenzen und teure Autos machen auch beim Ineinanderkrachen mehr aus als billige (stimmt nicht), dazwischen Hochglanzarthauspicturebookshots der Skyline (mit dem höchsten Hochhaus der Welt etc). Das muss alles nicht gegen den Film sprechen, wenn City of Life vom angepeilten sozialen Panorama immer wieder ziemlich systematisch in Richtung Vogue und Sportwagen abgleitet, hat das vermutlich auch einigen diagnostischen Wert.
Ghazal al-banat / Flirtation of Girls, Anwar Wagdi, 1949
Eine charmante musical comedy um eine umworbene junge Frau und ihren Arabischlehrer. Komödien sind immer kulturspezifischer als andere Filmgenres und hier geht es im ersten Filmabschnitt auch noch direkt um Sprache, die Untertitel sind da vermutlich noch hilfloser als sie es ohnehin zwangsläufig sein müssen. Vielleicht ist der Film, wenn man ihn mit mehr kulturellem und sprachlichen Wissen sieht denn auch stringenter, als ich ihn wahrgenommen habe. Mir kam er wie eine sehr locker gestrickte Nummernrevue vor: ausgedehnte comedy-Routinen, die man so ähnlich, gerade in ihrer "freizügigen Verklemmtheit", auch in amerikanischen Klamotten finden könnte (der platonische Freund, der sich gleichwohl unter der Bettdecke verstecken muss usw), unterbrochen von nur lose mit der ohnehin eher nachlässig skizzierten Handlung zusammenhängenden Liedern. Die Musikeinlagen sind sehr schön; sie sind nur sparsam choreografiert, bestehen hauptsächlich aus Großaufnahmen der singenden Stars, kein überbordendes Spektakel wie im indischen Kino (wo die Liebe scheinbar immer gleich der ganzen Stadt mitgeteilt werden muss), sondern eher intime Gefühlsexpressionen (oft in Form von Duetten / Dialogen).
Ein network narrativ aus Dubai. Alexandra Maria Lara ist mit dabei, sie spielt eine bulgarische ehemalige Ballerina, die jetzt als Stewardess arbeitet und sich in einen abscheulichen Engländer verliebt. Ein indischer Taxifahrer sieht aus wie ein Bollywoodstar und will daraus ein Geschäftsmodell machen. Und ein Sohn steinreicher Eltern gerät mit seinem besten Freund in eine abenteuerliche Gangsterfamilie. Die Absicht, ein inklusives Panorama der verschiedenen Ethnien und sozialen Klassen Dubais zu zeichnen ist im fertigen Film zwar noch erkennbar; aber wenn man näher an der Bildebene bleibt, ist City of Life doch von Anfang bis Ende in Geld getränkt. Luxusgütermontagesequenzen sehen einfach besser aus als Kitchensinkmontagesequenzen und teure Autos machen auch beim Ineinanderkrachen mehr aus als billige (stimmt nicht), dazwischen Hochglanzarthauspicturebookshots der Skyline (mit dem höchsten Hochhaus der Welt etc). Das muss alles nicht gegen den Film sprechen, wenn City of Life vom angepeilten sozialen Panorama immer wieder ziemlich systematisch in Richtung Vogue und Sportwagen abgleitet, hat das vermutlich auch einigen diagnostischen Wert.
Ghazal al-banat / Flirtation of Girls, Anwar Wagdi, 1949
Eine charmante musical comedy um eine umworbene junge Frau und ihren Arabischlehrer. Komödien sind immer kulturspezifischer als andere Filmgenres und hier geht es im ersten Filmabschnitt auch noch direkt um Sprache, die Untertitel sind da vermutlich noch hilfloser als sie es ohnehin zwangsläufig sein müssen. Vielleicht ist der Film, wenn man ihn mit mehr kulturellem und sprachlichen Wissen sieht denn auch stringenter, als ich ihn wahrgenommen habe. Mir kam er wie eine sehr locker gestrickte Nummernrevue vor: ausgedehnte comedy-Routinen, die man so ähnlich, gerade in ihrer "freizügigen Verklemmtheit", auch in amerikanischen Klamotten finden könnte (der platonische Freund, der sich gleichwohl unter der Bettdecke verstecken muss usw), unterbrochen von nur lose mit der ohnehin eher nachlässig skizzierten Handlung zusammenhängenden Liedern. Die Musikeinlagen sind sehr schön; sie sind nur sparsam choreografiert, bestehen hauptsächlich aus Großaufnahmen der singenden Stars, kein überbordendes Spektakel wie im indischen Kino (wo die Liebe scheinbar immer gleich der ganzen Stadt mitgeteilt werden muss), sondern eher intime Gefühlsexpressionen (oft in Form von Duetten / Dialogen).
Thursday, November 03, 2011
Swamp Thing, Wes Craven, 1982 (American Eighties 11)
Woher hat Dominik Graf eigentlich seine Sumpfblumenmetapher? Sie könnte direkt aus Swamp Thing stammen. Gleich mehrmals tauchen da verführerisch leuchtende, geheimnisvolle und irgendwie instant-symbolische Blumen auf, die in Wes Cravens wunderschönem Comic-b-movie-Sumpf blühen und die die Helden des Films magisch anzuziehen scheint. Eine dieser Blumen bringt denn auch den phantastischen Plot in Schwung. Überhaupt: der Schauplatz. "Gedreht in authentischen Sümpfen" - kann es eine bessere Werbung für einen Film geben? Trotz aller Bedrohung durch Paramilitärs, "gators" und anderen Sumpfgetiers hat es immer etwas lustvolles, wenn die Figuren in Swamp Thing durch die Sümpfe waten. Gerade während des Flirts der Hauptfigur mit dem späteren Sumpf Ding ist der matschige Untergrund der ideale Nährboden für eine Romanze, die später auch die Entmenschlichung eines der Beteiligten nicht beenden kann. Die Blumen haben in dieser Szene ihren ersten großen Auftritt:
Aus Craven werde ich nach wie vor nicht so recht schlau. Der direkte Vorgänger Deadly Blessing ist indiskutabler Scrott, nur knapp über Ted-V.-Mikels-Niveau, ein Jahr später dreht er das - mindestens - kleine Meisterwerk Swamp Thing. Ich mag wirklich alles an dem Film, zum Beispiel auch den rasanten Schnitt, die Comic-Trickblenden, das vollgestopfte Labor mit seinen vielen grellbunten "Substanzen", alles nah am Camp, aber fest verwurzelt in einer B-Film-Tradition, die mindestens bis in die serials der 30er zurückreicht.
Das romantische Monster ist ein Pflanzenmensch mit progressivem politischen Background im Schlabber-Latex-Look (das verdrängte liberale Gewissen der Reagan-Ära? Diesem Film traue ich das zu), der gerade in seiner Unvollkommenheit großartig ist: es sieht so aus, als wäre das Kostüm schon dabei, vom Darsteller "abzublättern", wie tote Rinde von einem Baumstamm. Einmal glauben die bad guys, das Monster in einem Schilfgesträuch eingekreist zu haben, es hat sich dann aber in Luft aufgelöst (eigentlich: es ist "im Schnitt verschwunden") und manifestiert sich erst wieder, als es (buchstäblich) aus heiterem Himmel von oben ins Bild plumpst. Ein Moment "reinen Kinos".
Die Helden sind ungewöhnlich, aber machen sich nichts draus, weder die schlagkräftige Wissenschaftlerin, noch der nerdige afroamerikanische Junge müssen aufwändig gerechtfertigt werden, dazu ist auch gar keine Zeit, schließlich gibt es David Hess, der angetrieben wird von der puren Lust am Schurke-sein und hinter jeder zweiten Ecke hervorlugt. Sein Boss dagegen, Louis Jourdan, zitiert Nietzsche, wohnt in einem herrschaftlichen, feudalen Anwesen und plant irgendetwas antihumanistisch-DC-Comic-Bösewichtiges. Die aprupten Wechsel zwischen Sumpf und Anwesen (wie sich die Räume zueinander verhalten, ist zumindest mir nicht ganz klar geworden, die Montage scheint eine Nachbarschaft zu behaupten, die beim besten Willen nicht wahrscheinlich erscheint) tragen zur halluzinatorischen Anmutung dieses vielleicht schönsten Horrorfilms der frühen Achtziger bei.
Dagegen die Blumengestecke in der Villa der bad guys: rein dekorativ, gezähmt, kein erotisches Potential.
Aus Craven werde ich nach wie vor nicht so recht schlau. Der direkte Vorgänger Deadly Blessing ist indiskutabler Scrott, nur knapp über Ted-V.-Mikels-Niveau, ein Jahr später dreht er das - mindestens - kleine Meisterwerk Swamp Thing. Ich mag wirklich alles an dem Film, zum Beispiel auch den rasanten Schnitt, die Comic-Trickblenden, das vollgestopfte Labor mit seinen vielen grellbunten "Substanzen", alles nah am Camp, aber fest verwurzelt in einer B-Film-Tradition, die mindestens bis in die serials der 30er zurückreicht.
Das romantische Monster ist ein Pflanzenmensch mit progressivem politischen Background im Schlabber-Latex-Look (das verdrängte liberale Gewissen der Reagan-Ära? Diesem Film traue ich das zu), der gerade in seiner Unvollkommenheit großartig ist: es sieht so aus, als wäre das Kostüm schon dabei, vom Darsteller "abzublättern", wie tote Rinde von einem Baumstamm. Einmal glauben die bad guys, das Monster in einem Schilfgesträuch eingekreist zu haben, es hat sich dann aber in Luft aufgelöst (eigentlich: es ist "im Schnitt verschwunden") und manifestiert sich erst wieder, als es (buchstäblich) aus heiterem Himmel von oben ins Bild plumpst. Ein Moment "reinen Kinos".
Die Helden sind ungewöhnlich, aber machen sich nichts draus, weder die schlagkräftige Wissenschaftlerin, noch der nerdige afroamerikanische Junge müssen aufwändig gerechtfertigt werden, dazu ist auch gar keine Zeit, schließlich gibt es David Hess, der angetrieben wird von der puren Lust am Schurke-sein und hinter jeder zweiten Ecke hervorlugt. Sein Boss dagegen, Louis Jourdan, zitiert Nietzsche, wohnt in einem herrschaftlichen, feudalen Anwesen und plant irgendetwas antihumanistisch-DC-Comic-Bösewichtiges. Die aprupten Wechsel zwischen Sumpf und Anwesen (wie sich die Räume zueinander verhalten, ist zumindest mir nicht ganz klar geworden, die Montage scheint eine Nachbarschaft zu behaupten, die beim besten Willen nicht wahrscheinlich erscheint) tragen zur halluzinatorischen Anmutung dieses vielleicht schönsten Horrorfilms der frühen Achtziger bei.
Dagegen die Blumengestecke in der Villa der bad guys: rein dekorativ, gezähmt, kein erotisches Potential.
Labels:
American Eighties,
Blumen,
Comic,
Horror,
Science Fiction,
Swamp Thing,
USA,
Wes Craven
Wednesday, November 02, 2011
Late Kurosawa
Schwer zu verarbeiten, manchmal schwer zu ertragen waren für mich die beiden letzten Filme Akira Kurosawas, Rhapsody in August und Madadayo. Ihre Schönheit wirft mich um, aber was für eine Schönheit ist das? Die politics beider Filme verabscheue ich aus ganzem Herzen, aber was bedeutet das für die Schönheit (ihren Status im Film)? Ein Komplize der Politik ist sie nicht so ohne weiteres, aber stellt sie sich ihr deswegen schon entgegen?
Die Filme sind nicht einfach nur sehr offensichtlich konservativ und restaurativ, darüber hinaus ist ihnen ein fragwürdiger erinnerungspolitischer Einsatz gemeinsam, der in beiden Fällen darauf hinausläuft, den von Japan verschuldeten Pazifikkrieg zu verdrängen und wo das nicht geht, zu naturalisieren und die Täter mit der derart von der Geschichte bereinigten Geschichte zu versöhnen (als leidende Objekte). In Rhapsody in August werden die Atombombenabwürfe nicht dem japanischen Faschismus, ja noch nicht einmal den Amerikanern (nach deren Motiven man dann fragen müsste), sondern "dem Krieg" zur Last gelegt und dadurch ebenfalls der Geschichte entrissen. (Damit man nicht falsch versteht: Ich habe kein Problem damit, dass Kurosawa zeigt, dass und wie der Toten in Nagasaki gedacht wird, das sind ergreifende Darstellungen nachvollziehbarer Trauer, es geht mir um den erkennbaren Willen zur selektiven Wahrnehmung von Geschichte, um die immense Verdrängungsleistung, die sich direkt in den Dialogen manifestiert.)
In Madadayo zerstört "der Krieg" das Haus der Hauptfigur, eines Deutschprofessors, wie eine Naturkatastrophe. Wenn dann kurz nach dem Krieg der Professor und seine ehemaligen Schüler hinter fetten Biergläsern und vor mit deutschsprachigen Plakaten geschmückten Wänden sitzen, der gemeinsamen Universitätszeit gedenken und sich über Korruption und moralischen Verfall in der Besatzungszeit lustig machen, erkennt der Film in keiner Weise den fast schon grotesk reaktionären Charakter der Veranstaltung, die er da skizziert, an. Im Alkoholrausch werden die strengen Hierachien gerade in ihrer Überschreitung wieder und wieder bestätigt. Später, bei der zweiten Feier, sind Frauen und Töchter mit dabei, die Gesellschaft hat sich demokratisiert, allerdings unter zutiefst autoritären Vorzeichen. Das ewige "madadayo" ("noch nicht") des Titels ist überwunden.
Der dynamische Erneuerer, Modernisierer - nach amerikanischem Vorbild - des japanischen Kinos war Kurosawa zu Beginn der Neunziger Jahre schon lange nicht mehr. Schon spätestens Dodeskaden (1970) (wo Kurosawa die verschiedenen Episoden nicht synthetisiert, sondern als ein Panorama präsentiert: das hier gibt es, das hier gibt es und dann gibt es auch noch das hier) weist in eine fast entgegengesetzte Richtung, auf ein Kino jenseits der narrativen Integration, bei dem Kurosawa erst mit seinem allerletzten Film vollends anlangt. In Rhapsody in August gibt es noch als Klammer einen festen Zeithorizont - die Sommerferien - und ein Spannungsmoment (wird die Familie nach Amerika fahren?), die einzelnen Szenen, gerade die langen, fast durchweg mit statischer Kamera gefilmten Gespräche der Enkel untereinander und mit der Großmutter, stehen dennoch immer zuerst für sich selbst und außerhalb der Zeit. Die ständig wiederkehrenden schiefen Klänge der verstimmten Orgel, auf der der älteste Enkel fast zwanghaft alle paar Minuten verschiedene Melodien ausprobiert, isolieren das traditionelle Haus der Großmutter vom Rest der Welt. Madadayo setzt dann nur noch eine Handvoll langer, unbehauen wirkender Blöcke hintereinander: Krieg, Kriegsende, erste Feier, Tod der Katze, zweite Feier.
Kurosawa übertreibt in jedem Abschnitt: zu viele Details, zu viele Trinksprüche, zu viele emotionale Exzesse, zu viel Liebe für die Hauptfigur (und in der einen bösartigen Szene des Films dann viel zu viel Hass für den Grundstückspekulanten, der ein Hochhaus vor deren Nase bauen möchte). Die Katzenepisode gehört zum schönsten, was ich im Kino dieses Jahr gesehen habe. In einer besonders tollen Einstellung schleicht das Tier im Hintergrund herum, eigensinnig und ohne Sinn für Kadrierung oder Drama. Bald darauf zähmt der Film die Katze mit Hilfe einer Zeitlupe, danach ist sie verschwunden und vermutlich tot.
In beiden Filmen tritt die Musik Vivaldis (in Rhapsody in August "Stabat Mater", in Madadayo das zweite Konzert aus dem "L'estro Armonico"-Zyklus) in einigen, wenigen Momenten von außen an die Bilder. Auch, weil es nichts in den Filmen gibt, an was sie direkt andocken könnten (keine throw-away-Landschaftsaufnahmen zum Beispiel), kann man sich dieser Musik nicht entziehen, man muss sich auf sie um ihrer selbst willen einlassen.
Das mag alles geeignet sein, die ideologische Schlichtheit der Filme zu verkomplizieren, aber das genügt nicht, glaube ich. Nicht so recht zu fassen bekomme ich auch über solche Gedanken das, was mich an der Schönheit der Filme zutiefst verstört hat.
Die Filme sind nicht einfach nur sehr offensichtlich konservativ und restaurativ, darüber hinaus ist ihnen ein fragwürdiger erinnerungspolitischer Einsatz gemeinsam, der in beiden Fällen darauf hinausläuft, den von Japan verschuldeten Pazifikkrieg zu verdrängen und wo das nicht geht, zu naturalisieren und die Täter mit der derart von der Geschichte bereinigten Geschichte zu versöhnen (als leidende Objekte). In Rhapsody in August werden die Atombombenabwürfe nicht dem japanischen Faschismus, ja noch nicht einmal den Amerikanern (nach deren Motiven man dann fragen müsste), sondern "dem Krieg" zur Last gelegt und dadurch ebenfalls der Geschichte entrissen. (Damit man nicht falsch versteht: Ich habe kein Problem damit, dass Kurosawa zeigt, dass und wie der Toten in Nagasaki gedacht wird, das sind ergreifende Darstellungen nachvollziehbarer Trauer, es geht mir um den erkennbaren Willen zur selektiven Wahrnehmung von Geschichte, um die immense Verdrängungsleistung, die sich direkt in den Dialogen manifestiert.)
In Madadayo zerstört "der Krieg" das Haus der Hauptfigur, eines Deutschprofessors, wie eine Naturkatastrophe. Wenn dann kurz nach dem Krieg der Professor und seine ehemaligen Schüler hinter fetten Biergläsern und vor mit deutschsprachigen Plakaten geschmückten Wänden sitzen, der gemeinsamen Universitätszeit gedenken und sich über Korruption und moralischen Verfall in der Besatzungszeit lustig machen, erkennt der Film in keiner Weise den fast schon grotesk reaktionären Charakter der Veranstaltung, die er da skizziert, an. Im Alkoholrausch werden die strengen Hierachien gerade in ihrer Überschreitung wieder und wieder bestätigt. Später, bei der zweiten Feier, sind Frauen und Töchter mit dabei, die Gesellschaft hat sich demokratisiert, allerdings unter zutiefst autoritären Vorzeichen. Das ewige "madadayo" ("noch nicht") des Titels ist überwunden.
Der dynamische Erneuerer, Modernisierer - nach amerikanischem Vorbild - des japanischen Kinos war Kurosawa zu Beginn der Neunziger Jahre schon lange nicht mehr. Schon spätestens Dodeskaden (1970) (wo Kurosawa die verschiedenen Episoden nicht synthetisiert, sondern als ein Panorama präsentiert: das hier gibt es, das hier gibt es und dann gibt es auch noch das hier) weist in eine fast entgegengesetzte Richtung, auf ein Kino jenseits der narrativen Integration, bei dem Kurosawa erst mit seinem allerletzten Film vollends anlangt. In Rhapsody in August gibt es noch als Klammer einen festen Zeithorizont - die Sommerferien - und ein Spannungsmoment (wird die Familie nach Amerika fahren?), die einzelnen Szenen, gerade die langen, fast durchweg mit statischer Kamera gefilmten Gespräche der Enkel untereinander und mit der Großmutter, stehen dennoch immer zuerst für sich selbst und außerhalb der Zeit. Die ständig wiederkehrenden schiefen Klänge der verstimmten Orgel, auf der der älteste Enkel fast zwanghaft alle paar Minuten verschiedene Melodien ausprobiert, isolieren das traditionelle Haus der Großmutter vom Rest der Welt. Madadayo setzt dann nur noch eine Handvoll langer, unbehauen wirkender Blöcke hintereinander: Krieg, Kriegsende, erste Feier, Tod der Katze, zweite Feier.
Kurosawa übertreibt in jedem Abschnitt: zu viele Details, zu viele Trinksprüche, zu viele emotionale Exzesse, zu viel Liebe für die Hauptfigur (und in der einen bösartigen Szene des Films dann viel zu viel Hass für den Grundstückspekulanten, der ein Hochhaus vor deren Nase bauen möchte). Die Katzenepisode gehört zum schönsten, was ich im Kino dieses Jahr gesehen habe. In einer besonders tollen Einstellung schleicht das Tier im Hintergrund herum, eigensinnig und ohne Sinn für Kadrierung oder Drama. Bald darauf zähmt der Film die Katze mit Hilfe einer Zeitlupe, danach ist sie verschwunden und vermutlich tot.
In beiden Filmen tritt die Musik Vivaldis (in Rhapsody in August "Stabat Mater", in Madadayo das zweite Konzert aus dem "L'estro Armonico"-Zyklus) in einigen, wenigen Momenten von außen an die Bilder. Auch, weil es nichts in den Filmen gibt, an was sie direkt andocken könnten (keine throw-away-Landschaftsaufnahmen zum Beispiel), kann man sich dieser Musik nicht entziehen, man muss sich auf sie um ihrer selbst willen einlassen.
Das mag alles geeignet sein, die ideologische Schlichtheit der Filme zu verkomplizieren, aber das genügt nicht, glaube ich. Nicht so recht zu fassen bekomme ich auch über solche Gedanken das, was mich an der Schönheit der Filme zutiefst verstört hat.
Labels:
Akira Kurosawa,
Atombombe,
Japan,
Katze,
Madadayo,
politisches Kino,
Rhapsody in August,
Tiere
Subscribe to:
Posts (Atom)