Monday, June 20, 2016

KoreanFilm 6: Hyeolmaek / Kinship, Kim Soo-yong, 1963

https://www.youtube.com/watch?v=PkOExw6yU8s

Flüchtlinge aus dem Norden in einem Slum hoch über der Stadt... wobei ich weder die räumlichen, noch die politischen Bezüge bis ins letzte verstanden habe. Es scheint um eine Fortschrittserzählung zu gehen, um die gesellschaftliche Modernisierung, die einerseits als Generationenkonflikt ausagiert wird (auch in dem Sinne, dass dem freudigen, hemmungslosen overacting der Eltern das eher zurückgenommene Spiel der Kinder gegenübersteht), andererseits quer steht zur politischen Teilung des Landes.

In einem Haus schimpft der Vater mit dem Sohn, in dem anderen die Mutter mit der Tochter. Was in dem einen Haus passiert, ist im anderen sicht- und hörbar, alle Häuser sind auf die eine oder andere Art durchlässig, jeder sieht alles, jeder hat eine Meinung zu allem. Der Sohn soll in die amerikansiche Armee, die Tochter als Geisha an eine Bar verschachert werden. Dafür werden ihr anzügliche Barlieder eingehämmert - mit einem Rhythmusstock, der Geschirr maltraitiert. Sohn wie Tochter wollen lieber weg aus der engen Welt, in der sie aufgewachsen sind, in die Produktion. Erst ganz am Ende gelingt es ihnen, die Fabrik, in der sie ankommen, ist ein Ort der Befreiung.

Vorerst sind sie gefangen zwischen Fenstern. Kinship ist ein lebhafter Film, der aber auch zeigt, dass es eine bedrückende, erdrückende Art von Lebhaftigkeit gibt. Die sich über Fenster artikuliert, die ihrerseits immer wieder klug in die Scope-Einstellungen integriert sind. In einer großartigen, lang ungeschnitten weiterlaufenden, in gekanteter Kameraperspektive gefilmten Einstellung wütet ein Patriarch in seinem Haus, knallt zuerst ein Fenster aus dem Rahmen, das zwei Zimmer miteinander verbindet, macht dann noch allerhand kaputt, bis er von zwei weiblichen Familienangehörigen überwältigt wird und man gemeinsam auf dem Boden liegend die Tristesse des eigenen Lebens einsieht. Fenster öffnen sich nicht ins Freie, sondern auf andere Fenster, es geht nicht so sehr darum, dass man durch sie hinausblicken kann, sondern eher darum, dass man in sie hineinblicken kann; wenn nicht gar hineingreifen, hineinspringen, in einer Szene auch: hineinpissen.

Wild City, Ringo Lam, 2015

Everything's in the right place, and Ringo Lam still is second to few when it comes to action scenes set in public space. But when Shawn Yue tries to hit Michael Tse with a candlestand, Louis Koo takes the weapon away from her, and she has to throw a weak punch with her fist. Throughout the film, emotion and action is toned down for tactical reasons. The result is a film that feels, for all its obvious competence, tactical itself, or at least rather non-committal. Still, if the main purpose of this was for Lam to prove he can make a decent film in the current marketplace, it sure is a success. And judging from teaser and cover art, SKY ON FIRE might be a different kind of beast.

Friday, June 17, 2016

Okuni to Gohei, Mikio Naruse, 1952

Ein Film über lockende, flirrende Töne, die einen des Nachts heimsuchen. Fast noch könnte man sie, wenn man sie nebenbei hört, mit Naturgeräuschen verwechseln, und vielleicht kommt man deshalb auf den Gedanken, dass das Glück, von dem sie zu kunden scheinen, einem auch tatsächlich zusteht, gegen alle gesellschaftlichen Wahrscheinlichkeiten. Der Sehnsucht, der diese Töne einerseits entsprechen und die sie andererseits hervorrufen, kann Okuni (Michiyo Kogure) nicht nachgeben, nicht mehr, zumindest. Einmal, früh im Film, zeigt eine Rückblende, wie sie sich eines Nachts von ihrem Bett erhebt und den Klängen folgt, die ihr Geliebter Tomonojo auf seinem Shakuhachi erzeugt. Sie eilt durch eine der schönen, pittoresken, durchaus offensiv artifiziellen Studiokulissen, in denen ein großer Teil des stets bewußt gestalteten Films spielt, kann Tomonojo, mit dem sie, das wird am Ende explizit, ein sexuelles Verhältnis hatte, aber nur einen Abschiedsbrief überreichen.

Der Brief macht Tomonojo zum Mörder: Er bringt den Mann um, den Okuni statt ihm heiratet. Daraufhin wird Okuni vermittels eines weiteren Briefs aufgetragen, ihrerseits Tomonojo zu töten, gemeinsam mit Gohei, einem Untergebenen des Toten. Die Schrift verurteilt, die Menschen sind die widerwilligen Henker.

Okuni und Gohei sehen sich in einem vorläufigen, nie so recht harmonischen Bündnis geeint. Die Bewegungen, die Blicke, selbst die Dialoge sind selten synchron. Beide misstrauen einander und verkennen sich. Okuni sieht in Gohei einen schlechten, schwächlichen Ersatz für den mörderischen Geliebten, Gohei in Okuni eine Verkörperung seines Meisters, der allerdings das Geschlecht gewechselt hat, was ihn in Verwirrung stürzt. In ihrem Begehren blockiert durch einen lebenden Mörder und dessen Opfer durchstreifen sie das Land. Aus der Ferne klingt, erst gelegentlich, dann immer öfter, und bald nicht mehr wirklich aus der Ferne, sondern schon fast zum Greifen nah, und nicht mehr länger nur nachts, sondern auch am hellichten Tage, ein Shakuhachi. Dass nicht beide sofort erkennen, dass die Situation sich längst umgedreht hat, weil nicht sie Tomonojo verfolgen, sondern Tomonojo sich an ihre Fersen geheftet hat, ist nach psychologischen Maßstäben Unfug; es passt aber wunderbar sowohl zur perversen Anlage des Films, als auch zu Okuni und Gohei, die sich beide derart hoffnungslos in den Abgründen ihres Begehrens verlaufen haben, dass sie den Wald vor lauter Studiobäumen nicht mehr sehen.

Wieviel Land auch durchmessen wird im Verlauf des Films, im Kern entfaltet er sich ins Innere seiner Figuren hinein, produziert psychologische Kurzschlüsse. Besonders deutlich wird das in einer langen, umwerfenden Passage nach ungefähr zwei Dritteln des Films: Okuni wird krank, zieht sich in ihr Bett, hinter ihr Moskitonetz zurück. Der Kopf ruht auf einer hölzernen Stütze, die ihr Antlitz im Bild isoliert. Gohei pflegt sie, und geht in dieser Tätigkeit weit mehr auf als in der Jagd nach Tomonojo. Gerade das sie trennende Moskitonetz scheint ein notwendiges Medium ihrer Liebe zu sein. Erst jetzt erkennen sie sich.






















Sunday, June 12, 2016

The Event, Sergei Loznitsa, 2015

I suppose I just don't get Loznitsa, at least not his documentary mode (I like his two fiction films, especially IN THE FOG). Here, the shots themselves are more interesting than in MAIDAN - those free-floating passages through crowds on eye level alone make it worth seeing. But the rather blunt rhetorics are even more evident than in the earlier film (Tschaikovsky), and once again, Loznitsa doesn't care at all for detail, and it feels like everything was decided before even looking at those images, based on some probably rather sound theories, which in the end aren't disturbed at all by actual history. Thomas Heise's MATERIAL (especially its first half) might be the right antidote to this.

Thursday, June 09, 2016

Arakure / Untamed Woman, Mikio Naruse, 1957

I haven't seen enough Japanese films of the late 1950s to make substantial claims, but this and some Kinoshita films of the period alone suggest that the excitement over the Japanese New Wave covered up some extremely interesting and in some respects at least equally modernist films made by the old guard (just like New Hollywood buried a lot of great Old Hollywood stuff of the 1960s). Untamed woman is in many ways a completely free-wheeling film, a film of unmitigated ellipses and harsh mood swings. New men, new cities, new vocations, new burdens. Only Hideko Takamine's inexhaustible (yet more often than not also self-destructive) energy holds things together. It's as if the slate's almost completely cleaned between scenes. Naruse's 180° cuts are especially effective, as they seem to announce that nothing is out of limits this time.

Hideko Takamine's Oshima is always on the verge of eruption, and if she does boil over, she's positively unstoppable. The plot might feel a bit stuffed or needlessly episodic at first, but after a while, when attuned to the strange energy of Takamine's performance, this doesn't matter at all. Because each scene is just another instant of Oshima being tired of doing double duty, during the day and at nighttime. Because classical cinema can't actually show much of the latter, her tiresome sex life must be somehow implicated in the daytime scenes. And indeed, even her strained, almost metallic voice speaks of a fedupness that encompasses all parts of her existence. Even marrying the ugliest guy around doesn't help.

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While allegedly more "modern" directors like Shindo or Imamura entertain the idea that (especially) the (female) body will save us all, Untamed Woman remains, for all its celebration of Takamine's vitality and corporeality, much more sceptical. The body is basically just there, and sometimes it even is in the way (as when Oshima has to tie up her breasts in order to be able to perform hard labour). That being said, Takamine kicking the shit out of basically every scumbag she encounters, male or female, is just about the greatest thing ever.

Also, unlike in some Imamura films, in Naruse there's no escaping the city, modernity, the strains of capitalism. Oshima's longing for the mountains (and her weak, soft, almost child-like lover living there) doesn't lead anywhere, is nothing but an imaginary solution.

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Some of the smaller, along the way scenes like Takamine learning to ride the bicylce are beyond beautiful.

Saturday, June 04, 2016

Ore mo omae mo / Both You and I, Mikio Naruse, 1946

Der Anfang führt in die Irre - und doch nicht: Zwei Männer führen eine humoristische Tanznummer auf; zwar stecken sie dabei nicht in einem Eselskostüm wie in Travelling Actors, aber auch hier ist klar, dass es nicht unbedingt um die Könige der Entertainment-Industrie geht, sondern eher um zwei Außenseiter, die sich am prekären Rand der Spaßgesellschaft abstrampeln. Tatsächlich sind die beiden, stellt sich bald heraus, hauptberuflich stinknormale Firmenangestellte, salary men, die sich lediglich aus Unterwürfigkeit gegenüber ihrem Boss gelegentlich in Kostüme zwängen um kurze Sketsche oder Tänze aufzuführen.

Nimmt man den recht offensichtlich mit einem prodemokratischen Propagandaauftrag versehenen Film beim Drehbuch-Wort, so geht es ihm darum, dass die beiden Angestellten sich von ihrer Clownsrolle, die von einem falsch verstandenen Loyalitätsgefühl herrührt, zu emanzipieren haben. Was schließlich auch, dank der jüngeren, progressiveren Generation gelingt.

Freilich geht der Film insgesamt so gar nicht in diesem Fortschrittsnarrativ auf; anstatt einer bürgerlich-aufgeklärten conclusio zuzustreben, verflüchtigt er sich auf bezaubernde Art in ein Nebeneinander von nur selten wirklich komischen, meist eher derangierten, aber insgesamt durchaus bezaubernden Einzelnummern, die die beiden Hauptdarsteller (die bezeichnenderweise nicht als Filmschauspieler, sondern als manzai-Comedy-Team Berühmtheit erlangt hatten) mal gemeinsam, mal alleine mit sozialen Situationen konfrontieren, die eher läppisch als analytisch eine Unangemessenheit bezeichnen: Die beiden passen einfach sehr grundsätzlich nicht in das Leben, das sie führen - und zwar passen sie genausowenig zu ihren progressiven Familien, wie zu ihren reaktionären Bossen.

Die eigentliche Differenz ist eine andere: Auf der einen Seite gesellschaftliche Zwangssysteme (Familie / Firma), die auf Seßhaftigkeit und Besitzstandwahrung aus sind, auf der anderen Seite zwei grundsätzlich desintegrierte Individuen (nicht free as a bird, aber doch dem Vagabundieren nahe; wobei ihr Vagabundieren eher eine Selbsttechnik ist als ein Lebensstil). Insofern sind die beiden eigentlich nur in jenen Szenen ganz bei sich, in denen das Drehbuch sie als gedemütigt vorführen möchte: Eben wären der Auftritte für die Bosse. In diesen Szenen offenbart sich der Film als eine Fortführung von Naruses Showbiz-Filmen der Vorkriegszeit (Travelling Actors, Tsuruhachi and Tsurujiro, Five Men in the Circus etc). Im Nachkriegsjapan ist kein Platz mehr für solche ihre Haut zum Entertainment-Markte tragende Herumtreiber. Auch sie müssen ab sofort in die Produktion. Naruse lässt sie immerhin noch einmal einen Film kaputt machen.

Thursday, June 02, 2016

neue filmgeschichte

Christoph Hochhäusler schreibt auf facebook: "Wenn wir uns einig sind, dass die Filmgeschichte nicht aus "Wellen", "Schulen" und "Meisterwerken" besteht, sondern eine viel verwickeltere Sache ist, ja sich in der Unordnung vielfältiger Berührungen ihr eigentlicher Reichtum zeigt, bliebe die Frage, mit welchen Mitteln wir sie am besten erfahren, erforschen, beschreiben sollen."

mein erster impuls: gibt es doch alles schon, schwelgerische cinephilie kennt keine grenzen. "die collagen von rainer knepperges auf der einen, umfangreiche historische detailuntersuchung / liebhaberprojekte (zum beispiel zu shapiro glickenhaus entertainment) auf der anderen seite. das reicht vermutlich nicht, ist aber ein guter ausgangspunkt, finde ich."

aber es reicht eben tatsächlich nicht, und das nicht reichen erlebe ich selbst als krise in meiner beschäftigung mit dem kino (und auch mit anderen dingen manchmal). vielleicht fehlt ja eher als eine neue filmgeschichte, denke ich mir, eine neue politische theorie des kinos, bzw eine, auf die sich zumindest ein paar leute einigen können - oder die zumindest von genügend leuten wahrgenommen wird; wenn ich mir zum beispiel godards "histoire(s)" ansehe ist sofort klar, dass es ein solches denken über film nicht mehr gibt, jedenfalls nicht mehr an halbwegs exponierter stelle. die "histoire(s)" entstammen freilich noch dem zeitalter der wellen, schulen und meisterwerke, und schleppen auch sonst einigen ideologischen ballast mit sich herum. gibt es heute irgendeine möglichkeit, so etwas zu aktualisieren / entstalinisieren?