Friday, January 11, 2008

Dreimal Wenders

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, 1972

Alice in den Städten, 1974

Falsche Bewegung, 1975

Zweimal Rüdiger Vogler und einmal Arthur Brauss auf Irrwegen durch Deutschland. Beide sehen ohnehin so gleich aus, dass ich lange brauche, um zu bemerken, dass Brauss nicht ebenfalls Vogler ist. Das Phantombild, welches in der Zeitung im Provinzgasthaus in Die Angst des Tormanns beim Elfmeter erscheint, trifft beide Schauspieler gleichermaßen. Brauss fragt außerdem im Film seine Ex, wie die Provinzler vögeln. Wenn das mal kein Zufall ist. Zweimal ist Peter Handke am Drehbuch beteiligt, einmal verformt er Goethe, einmal seinen eigenen Roman. Letzteres gelingt ihm erwartbarerweise besser. Der dritte Film, ohne seine Beteiligung, ist Alice in den Städten und möglicherweise das beste, was Wenders jemals gedreht hat.
Zu Beginn läuft die Bildproduktion auf Hochtouren. Vogler fährt durch Amerika mit einer Polaroidkamera, verdoppelt und verfremdet Reklameschilder, Autos, Menschen. Im Fernsehen laufen amerikanische Genrefilme, Amerika ist fast nie direkt präsent, immer nur als Klischee, als zweifache mediale Vermittlung, ein Amerika zweiten Grades. In Holland gerät die Bildproduktion langsam ins Stocken, doch die Stadt im Hintergrund wirkt immer noch wie aus einem Reiseprospekt. Erst in Deutschland dann, in Wuppertal, später in Duisburg und Gelsenkirchen fällt die Vermittlung uind Verdopplung weg. Statt desen dringen die Siebziger Jahre mit aller Macht in das Bild ein: Mitteilungsbedürftige Rentner am Wegesrand in einer seltsam ländlich anmutenden Altbausiedlung mitten im Pott, auch der Taxifahrer redet zu viel, später überquert ein türkisches Ehepaar hektisch die Straße.
Die kleine Alice hängt in der Drehtür fest, als Vogler sie aufgabelt, ihre Gedanken scheinen auch im späteren Verlauf nie einen geraden Weg zu finden.
Vielleicht ist Alice trotz aller Zurückhaltung, die sich Wenders glücklicherweise auferlegt, eine etwas zu putzige Projektionsfläche für Kinopoesie. Überhaupt ist vieles, was an Wenders seit den Achtziger Jahren nervt und in Richtung Gegenwart zunehmend unerträglich wird, im Kern schon in diesen Filmen angelegt. Vor allem in Falsche Bewegung. Die programmatischeAbsage an Politik ist genauso unauthentisch wie die Harlekinfigur. Dennoch ist auch Falsche Bewegung kein schlechter Film.
Hier ist Vogler, wie in Alice in den Städten, Schriftsteller. In beiden Fällen ein Schriftsteller, der Worte sucht, sich aber im Grunde nach Dingen sehnt. Alice in den Städten formuliert das aus und hier gelingt Vogler denn auch eine Art ganz persönliche Erretung der physikalischen Wirklichkeit. Falsche Bewegung dagegen zeigt das Versagen der Worte in langen, ausufernden Dialogen. Eigentlich sind weniger die Bewegungen falsch, sondern die Worte. Die Bewegungen, ohnehin nur Reflex und ziellos, sind nicht falsch sondern egal. Der Raum wandelt sich ohnehin mehr und mehr zu einem bloßen Hintergrund, beziehungsweise manchmal zu einer Spielwiese für semiautonome Kamerabewegungen, die aber ebenfalls eher egal sind. Großartig sind die Kamerabewegungen am Anfang, als sie solange das Fenster in Voglers Zimmer penetrieren, bis dieser es ihnen gleichtun will und sie mit bloßer Hand durchschlägt.
Der Mord, der in Falsche Bewegung misslingt, weil er berechtigt und motiviert wäre, gelingt statt dessen in Die Angst des Tormanns beim Elfmeter gerade als unberechtigter und unmotivierter. Arthur Brauss ist Rüdiger Vogler bevor der sich sich selbst bewußt wird. Vielleicht: Rüdiger Vogler ist ein Arthur Brauss zweiten Grades. Was bei Brauss noch Lethargie und höchstens vulgärexistentialistische Sinnkrise ist, verwandelt sich bei Vogler in die narzisstische, selbstreflexive Künstlerpersönlichkeit, die in Alice in den Städten noch einmal einen Ausweg findet, in Falsche Bewegung hingegen schon keinen mehr.
Die Angst des Tormanns beim Elfmeter und Alice in den Städten sind voller Filme. Und die kommen meistens aus Amerika. Dito die Musik (Vogler singt eine unglaublich misslungene Version von "Under the Boardwalk", die Szene erinnert mich an Top Gun, wo dasselbe Lied noch einmal auf mindestens doppelt so widerliche Art und Weise verwurstet wird, Brauss hört "The Lion Sleeps Tonight"). In Falsche Bewegung läuft dagegen nur der Bachfilm von Straub-Huillet und im ersten Filmdrittel laufen Vogler und seine Bande an einer Kinowerbung des Eurotrash-Klassikers Die Rückkehr der reitenden Leichen vorbei. In Die Angst des Tormanns beim Elfmeter findet der Film noch im Kino statt, am ehesten ist auch dieses Frühwerk noch ein Film über Cinephilie. Doch bereits hier ist Brauss' Kinobegeisterung zu wenig in seiner Lebenswirklichkeit verankert, als dass der Mord tatsächlich als Übersprungshandlung ausgelegt werden kann. In den späteren Filmen verflüchtigt sich das Kino ins Fernsehen. Dessen Materialität wird vor allem in Alice in den Städten betont, aber nicht wirklich betrauert. Eine erkaltete Cinephilie, eine Cinephilie zweiten Grades, wenn überhaupt eine, spricht aus Wenders Frühwerk. Vielleicht eine Folge der vermittelten Initiation ins Kino: Der Blick auf die Amerikaner geht immer schon über die Franzosen und die Nouvelle Vague.

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