Thursday, January 24, 2008

Berlinale 2008: Eisenbahnfilme

La frontera infinita, Juan Manuel Sepulveda, 2007

RR, James Benning, 2007

Kurz vor Ende des Films findet La frontera infinita doch noch das große Bild, auf welches Sepulveda vorher schon das eine oder andere Mal aus war: Ein Güterzug setzt sich langsam in Bewegung und beginnt eine langsame, mühselige Fahrt durch das struppig-chaotische Mexiko. Dutzende oder gar Hunderte von Menschen springen auf und in die Waggons, wer kein Platz im Inneren findet, bedeckt sich mit Laub, damit die allgegenwärtige Migra am Zugriff gehindert wird. Bestenfalls im Schritttempo bewegt sich der Zug vorwärts, einem utopischen Ort entgegen, der zwischen sich und diesen Passagieren zur selben Zeit eine Mauer hochzieht.
In der Mitte des Films präsentiert La frontera infinita einen anderen Zug, in einer historischen Aufnahme, die wohl vom Beginn des 20. Jahrhunderts datiert. Ein Personenzug diesmal. Doch, wie der hier urplötzlich auftauchende Voice-Over Kommentar erklärt, ist ein solcher Zug nie für die Mexikaner selbst gedacht, sondern immer für die anderen, die Ausländer, die Kartenbesitzer. Für die Mexikaner bleibt nur der Güterzug, als blinde Passagiere im Warenkreislauf riskieren sie ihr Leben und inbesondere, wie der Film eindrücklich deutlich macht, ihre Gliedmaßen, um der perspektivlosen Gegenwart zu entkommen.
Nicht ganz sicher scheint sich der Film zu sein, wie er sein ehrevolles Projekt in Angriff nehmen soll. Die halbinszenierten Sequenzen zu Beginn funktionieren tendenziell besser, als die späteren genuin dokumentarischen. Wenn etwa einer der Betroffenen seine Kameraden über das Unheil aufklärt, welches die USA über die dritte Welt gebracht haben, kann er doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er nirgendwo lieber leben würde als im Land George W. Bushs. In einer anderen Sequenz stehen mehrere potentielle Immigranten hilflos vor einer großen Landkarte, deren positivistisches Raumverständnis mit der konkreten Lebenswirklichkeit der Mexikaner unvereinbar ist.
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Sepulvedas Züge durchqueren Raum, Bennings Züge durchqueren Zeit. Jede Einstellung in RR beginnt mit der Einfahrt/Anfahrt eines Zuges und endet mit der Ausfahrt respektive dem Stillstand eines Schienenfahrzeugs. Kleine Tricks gibt es freilich auch: Einmal fährt ohne jede Vorwarnung ein zweiter Zug im rechten Winkel zum ersten durchs Bild, noch dazu einer mit den identischen Güterwaggons. (EDIT: Stimmt gar nicht, es ist derselbe Zug, die Kamera stand hier - ähnliche Perspektive wie im ersten Bild von oben - und so kommt man da hin) Und richtig heikel wird das Konzept auf dem Rangierbahnhof. Dennoch dienen die Züge primär als letztlich kontingente Zeitmarker. Die einzelnen Waggons sorgen für Mikrounterteilung, wenn sie das Bild verlassen oder ein herausgehobenes Landschaftsmerkmal passieren. Interessanter ist eigentlich, was neben den Zügen passiert, innerhalb des von diesen markierten Zeitfensters. Meistens freilich: Gar nichts. Ein Baum ist ein Baum ist ein Baum. Schmetterlinge werden zu Akteuren, Autos und Motorboote zu Großereignissen. Einmal bellt ein Hund. Manchmal scheint irgendwo ein Radio positioniert zu sein. Daraus tönt es dann stets sehr amerikanisch, manchmal in Text-, manchmal in Musikform. Korrespondierend dazu Amerikafahnen auf Lokomotiven und einmal auch im Hintergrund. Das Themenfeld Amerika-Landschaft-Eisenbahn ist gesetzt, wird aber natürlich in keine Richtung ausformuliert.
Keine Frage: RR hat meditative Qualitäten und ist gleichzeitig ein Spannungsfilm: Wird nicht jeden Moment vielleicht doch Godzilla ins Bild treten und dem harmonischen Rattern und Tuckern ein Ende bereiten? Oder wäre es nicht fabelhaft, wenn nach einer von der Kamera nicht einsehbaren Kurve eine andere Lokomotive ins Bild fahren würde, als die, die vorher zu sehen war? Dennoch mag mir RR, anders als der grandiose 13 Lakes, nicht so recht einleuchten. Vielleicht nur, weil ich zurzeit zu oft tagsüber im Kino sitze. Vielleicht aber auch, weil mir Züge die Raum durchqueren lieber sind.

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