Sunday, January 06, 2008

Keoma, Enzo G. Castellari, 1976

Barock ohne Ende, noch in fast jeder Einstellung schieben sich pittoreske Vordergrundelemente vor die Handlungsebene, Verschiebungen, Vermittlungen unterschiedlichster Art: Nie ist die Handlung nur Handlung, immer zuerst deren Präsentation. Beim Wettschießen wird die Leinwand selbst durchlöchert, Franco Neros Fingern entsprechen gleichzeitig Pistolenkugeln und die Bösewichter, für die die Kugeln bestimmt sind. Mehr intellektuelle Montage in einer Einstellung habe ich noch selten gesehen. Erst recht nicht im populären Film.
Eine weitere Ebene: Die vollkommen großartige Musik. Ein Leonard Cohen Parodist / Imitator (mehr Grabesstimme geht nicht), dazu eine Frauenstimme irgendwo zwischen Kate Bush und Patti Smith. Die Songs sind nicht Hintergrund, sondern Kommentar und situieren sich irgendwo zwischen Intensivierung und Parodie. Genauso Franco Nero, Zitat eines Zitats und dennoch selbst mit freiem Oberkörper und grotesk wehendem Haar bierernst.
Alles ist Dekor, zuvorderst natürlich die Nebenfiguren: Die alte Hexe, der schwarze Säufer (der mit Hilfe einer Riefenstahlschen Rückblende eingeführt wird), die Dandy-Bösewichte. Eine besonders sonderbare italienische Reimagination Amerikas unter all den sonderbaren Reimaginationen des Italowesterns (das interessanteste diesbezüglich ist jedoch die thematische und motivische Vielfalt, die Breite der rückprojizierten Welthaltigkeit:Antonio Margheritis Take a Hard ride beispielsweise, den ich ebenfalls vor Kurzem in einer wunderbaren 35mm Kopie genießen durfte - den Freunden des schrägen Films sei's gedankt -, scheint gleich die gesamte Geschichte der USA vom Bürgerkrieg bis zu den Black Panthers erzählen zu wollen). Keoma selbst ist natürlich auch halber Indianer.
Besonders großartig das Ende: Die Frau kann Keoma nicht retten, wohl aber das Kind. Allerdings denkt der Anarchist aus Überzeugung nicht daran, den Neugeborenen in die Zivilisation mitzunehmen und lässt ihn stattdessen zwischen verkohlten Leichen liegen, denn: "Er ist ein freier Mensch. Ein freier Mensch braucht nichts!"
Keoma, ein Mann ohne stahlhartes Gehäuse.

2 comments:

Anonymous said...

ganz grandioser film - und die grabesstimme auf dem soundtrack ist meines wissens sogar franco nero selbst :D

grüße
thomas

Lukas Foerster said...

Wenn das tatsächlich Neros Stimme ist, mus ich den Film unbedingt mal in der italienischen ersion sehen... Wobei mich diese hysterische Frauenstimme seit dem Kinobesuch fast noch mehr verfolgt.