Sunday, January 20, 2008

Berlinale 2008: Jitsuroku Rengo Sekigun: Asama Sanso E No Michi (United Red Army), Koji Wakamatsu, 2007

Nach Phillip Garrels Les amants reguliers und Marco Bellocchios Buongiorno, notte findet sich im diesjährigen Programm des Forums ein dritter Film eines seinerzeit extrem politisierten Regisseurs, der nach über dreißig Jahren einen (teilweise) revisionistischen Blick auf die Studentenbewegung der späten Sechziger und was daraus folgte, wirft. Ein Vergleich dieser drei Filme wäre sicherlich hochinteressant, einen solchen überlasse ich jedoch Kompetenteren.
Koji Wakamatsu drehte in den Sechzigern und Siebzigern eine Reihe radikaler Polit-Exploiatationfilme, die einst höchst umstritten waren (Amos Vogel beispielsweise fertigt Wakamatsu in Film As A Subversive Art glaube ich in wenigen abfälligen Sätzen ab) und inzwischen zu Kultklassikern avanciert sind. Drei davon werden neben United Red Army im Rahmen des Forums zu sehen sein. In den Achtzigern, Neunzigern sowie im neuen Jahrtausend drehte er fleißig weiter, so richtig interessiert hat das meines Wissens aber selbst in Japan niemand mehr. Umso überraschender ist sein neues Werk United Red Army, ein überaus ambitioniertes und letzten Endes auch sehr großartiges Dreistundenepos über die Selbstzerstörung der radikalen politischen Linken Japans in den Siebzieger Jahren.
United Red Army verbindet Archivmaterial mit Nachinszenierungen der historischen Ereignisse. Start- wie Endpunkt ist die Historie. Der Film setzt mit einer fast Einstündigen Montagesequenz ein, die die Ereignisse zwischen der Politisierung der japanischen Studenten anlässlich der Proteste gegen die Verlängerung des Sicherheitsvertrages mit den USA 1959/60 (die Radikalisierung der japanischen Linken hatte ihre Wurzeln lange vor Mai 68 und Rudi Dutschke) bis zu der konsequenten Militarisierung und ideologischen Aufrüstung zwischen 1968 und 1970 nachzeichnet. Dominant ist Archivmaterial, doch bereits hier wird dieses durch Nachinszeniertes ergänzt.
Punktgenau durchkomponiert sind diese Vignetten, fast scheinen die seltsam entleerten Bilder etwas zu gut auszusehen für das, was sie darstellen sollen. Genau wie auch die Musik, hypnotisierter Retro-Gitarrenrock von Jim O'Rourke, fast zu schön zu sein scheint, weil sie die unterschiedlichen Bildformen ihrer Widerständigkeit beraubt. Zweifellos ist Wakamatsu zuerst ein Ästhet und (wenn überhaupt) erst dann ein Analytiker und zweifellos ist United Red Army auf seine Weise auch ein Nostalgiefilm, der Geschichte in Dekoration verwandelt. Insbesondere die Erzählerstimme, die abwechselnd mit Jim O'Rourke die Bilder begleitet, gerät aufgrund ihres autoritären Timbres in der ersten halben Stunde fast unter Guido-Knopp-Verdacht. Überhaupt konnte ich mich nie so recht anfreunden mit dieser Erzählerstimme, erst recht nicht im weiteren Verlauf des Films, wenn das Archivmaterial verschwindet und der Inszenierung weicht. Denn dieser Erzählerstimme ist ein seltsam affirmativer, objektivistischer Duktus eigen, der diesem Film, der von nostalgischen Dystopien, paranoiden Fantasmen und allgemeiner von Verlust spricht, ansonsten fremd ist.
United Red Army ist primär nicht analytisch. Vielleicht ist er stellenweise sogar dumm und wahrscheinlich geht der Sexismus des Dargestellten bisweilen in einen Sexismus des Films selbst über: Nicht nur gründet die Politisierung der Frauen immer im persönlichen, die der Männer in dagegen in der Theorie; Frauengesichter haben einen grundsätzlich anderen Status als Männergesichter, dienen als Projektionsfläche für den Affekt der Geschichte. Dennoch ist Wakamatsu in seinem eigenen ästhetischen System präzise. Die zunehmende Hierarchisierung der Studentenbewegung findet Ausdruck in einer Serie von Gruppenanordnungen. Von der demokratischen Diskussionsrunde über das Führerprinzip bis zur quasistalinistischen Bürokratisierung: Die Parteielite an dem einen, das Fußvolk am anderen Tisch, nur scheinbar auf gleicher Ebene.
Diese Stalinisierung findet im zweiten Teil des Films statt. Die Studentenbewegung hat jede Anbindung an andere gesellschaftliche Gruppierungen verloren und mutiert ins Sektiererische. In den Bergen übt sie Selbstkritik, soll heißen: Die Parteielite sorgt dafür, dass sich das Fußvolk gegenseitig den Schädel einschlägt. Der Film entwickelt, befreit von der Faktenfülle der Anfangsstunde, eine ungemeine Intensität. Überraschend zurückhaltend ist United Red Army dabei auf der Bildebene. Die Selbstzerfleischung der Studenten, mitsamt ihres ganz speziellen Genderings, hätte der Wakamatsu der Sechziger wohl in einer Sex'n Gore Orgie aufgelöst. Hier optiert er jedoch, möglicherweise auch, um den Film im internationalen Festivalzirkus platzieren zu können, für eine in grafischer Hinsicht zurückhaltendere Variante. Sexuelle Gewalt spielt überhaupt keine Rolle und die übrige findet größtenteils Offscreen statt. Überhaupt Reduktion auf allen Ebenen: Die weit ausgreifende Geschichtserzählung zieht sich auf einen einzigen Schauplatz zusammen (eine Waldhütte, die am Anfang dieser ausführlichen Episode aufgebaut, am Ende wieder abgerissen wird), auf die Auseinandersetzung einer Handvoll Charaktere, die auf historischen Vorbildern basieren und nur mit einem Minimum an fiktivem Mehrwert ausgestattet werden. Weiterhin bleiben die Bilder einfach, die Kompositionen präzise, alle Montagemanöver höchstens dekorativ, nie manipulativ. In der Reduktion gelingen unglaublich eindringliche Sequenzen, das umgekehrte Spiegelstadium einer verzweifelten Revolutionärin nach der Selbstgeiselung oder das Begräbnis einer anderen als perverser Höhepunkt einer Bestrafungsorgie.
Schließlich wandelt sich der Film ein zweites Mal, fast ohne Ankündigung. Die beiden Hauptfiguren des Mittelteils verschwinden zwischen zwei Schnitten, ihr Schicksal erfährt das Publikum genau wie die Kleingruppe der letzten Aufrechten übers Radio. Im Epilog wird man erfahren, dass die sadistische Anführerin noch immer auf die Vollstreckung ihres Todesurteils wartet. Unified Red Army begiebt sich mit den letzten fünf Terroristen in deren finale Zufluchtsstätte: Ein Wohnhaus, wo sie sich gemeinsam mit der Gattin des Besitzers verschanzen, während draußen vor der Tür ein Polizeitrupp nach dem nächsten auffährt. Der Film jedoch bleibt im Haus, bis ganz am Ende, bis zur endgültigen Stürmung taucht nicht ein einziger Polizist im Bild auf. Die Polizei und die von dieser herbeizitierten Eltern der Studenten dringen nur als Stimme in das Bild ein, einen Körper gewinnen sie nie. Ihre Selbstisolierung halten die Studenten bis zum bitteren Ende aufrecht. Was in dieses Haus eindringt, in ein Haus, das sich zeitweise in der filmischen inszenierung von allen raumzeitlichen Beziehungen zur Außenwelt abgelöst hat, ist denn auch weniger die reale, spröde Staatsgewalt, als vielmehr hell leuchtendes Chaos, das die seit Jahren in ihrer Privatmysthik versteinerten Terroristen zu befreien verspricht. In diesem hell leuchtenden Chaos geht denn auch schließlich, kurz vor dem endgültigen Zugriff der Polizei, die Ideologie zugrunde. Wie dies geschieht, ist wie manch anderes in United Red Army möglicherweise etwas sentimental und inkonsequent. In Wakamatsus inszenatorischer, imaginativen Wucht jedoch schlicht und einfach und vor allem anderen großartig.

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