Den post-Tarantino-Gangsterclan zu Beginn lösen die Ninjas nach wenigen Minuten in seine körperlichen Einzelteile auf, ohne auch nur einmal im Bild zu erscheinen. Gerade Schnittstellen durch Hals, Arm, Bein. Maßarbeit statt dumme Sprüche. Materialistisches Kino par exzellence.
Dann folgen einige eher öde Trainingssequenzen, mitsamt Rückblenden in die Kindheit der Hauptfigur und angedeuteter und danach nie weiter verfolgter love story. Der koreanische Popstar Rain macht sein Mitwirken in Park Chan-wooks unerträglichem I'm A Cyborg, But That's OK nachhaltig wieder wett. Er gibt den erwachsenen "Ninja Assassin", der gegen den eigenen Orden aufbegehrt und sich mit Naomie Harris als Europol-Agentin verbündet.
Das Training ist bald vorbei und der Film verlegt sich nach Berlin. Eine gute Stunde lang hetzen dann Splatter-Ninjas durch Berlin, stürmen eine Europol-Zentrale, jagen durch Parkhäuser und Berliner Straßen, werden dabei Kampfsequenz für Kampfsequenz ein wenig sichtbarer, bis sie schließlich am Ende, wieder in Japan, von hochgerüsteten, völlig anonymen Soldaten mit modernster Technik platt gemacht werden. Unbarmherzig setzt sich die Geschichte wieder selbst ins Recht, der Film verzichtet nicht nur auf Re-Individualisierung, sondern im weiteren Sinne auf jede Romantisierung.
Das alles ist von einer unbestreitbaren Konsequenz, wird von rein funktionalen Dialogen voran getrieben und von keinerlei expressionistischem Schnickschnack abgelenkt (letzteres überrascht bei einer Wachowski-Produktion ganz besonders). Am Ende war ich mir ziemlich sicher, den besten Hollywood-Actionfilm des Jahres 2009 gesehen zu haben.
Tuesday, June 29, 2010
Monday, June 21, 2010
Couro de Gato / Cat Skin, Joaquim Pedro de Andrade, 1960
Mit den Langfilmen de Andrades werde ich nicht so recht warm. Der frühe Kurzfilm Cat Skin aber ist ziemlich toll. Es geht um Trommeln, die mit Katzenfell bespannt werden, beziehungsweise vor allem um die Ökonomie, die sich um diese Katzenfelle aufspannt. Kinder aus den Favelas jagen Katzen in den besser gestellten Wohnvierteln. Solange der Film dort bleibt, in den Cafes und Vorgärten der Bourgeoisie, bleibt Cat Skin eine klassische Slapstick-Komödie in altmodischem schwarz-weiß, mit stark rhythmisierter Musik als einziger Tonspur und Verfolgungsjagden samt genretypischem Personal: aufgetakelte Society-Ladies, linkische Kellner, ungelenke Polizisten (samt Schnurrbart sogar, glaube ich). Einmal entwendet ein eventuell sogar weiß geschminktes Keaton-Lookalike einem Straßenkind den Sack mit Katze drin.
Aber sobald die Beute gemacht ist und zur Verarbeitung in die Armenviertel gebracht wird, ändert sich der Tonfall des Films radikal. Die Grenzen der Favelas sind auch die Grenzen der Slapstick-Komödie. Ein älterer Mann blickt den Verfolgern ins Gesicht. Seine Gesichtszüge taugen nicht zum Oberflächenspiel der Bewegungscomedy. In einer tieftraurigen Szene raucht eines der Kinder noch eine Zigarette und streichelt der gefangenen Katze sanft übers Fell. Ein letzter kurzer Aufschub, dann wechselt die Katze ein weiteres und letztes Mal ihren Besitzer. Den letzten Blick, den das Kind dem Tier zuwirft, bevor es sich wieder auf den Weg ins Slapstickland macht, den werde ich nicht so schnell vergessen können.
Aber sobald die Beute gemacht ist und zur Verarbeitung in die Armenviertel gebracht wird, ändert sich der Tonfall des Films radikal. Die Grenzen der Favelas sind auch die Grenzen der Slapstick-Komödie. Ein älterer Mann blickt den Verfolgern ins Gesicht. Seine Gesichtszüge taugen nicht zum Oberflächenspiel der Bewegungscomedy. In einer tieftraurigen Szene raucht eines der Kinder noch eine Zigarette und streichelt der gefangenen Katze sanft übers Fell. Ein letzter kurzer Aufschub, dann wechselt die Katze ein weiteres und letztes Mal ihren Besitzer. Den letzten Blick, den das Kind dem Tier zuwirft, bevor es sich wieder auf den Weg ins Slapstickland macht, den werde ich nicht so schnell vergessen können.
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Friday, June 18, 2010
A Grande Arte, Walter Salles, 1991
Ein Film, der sich von Anfang an in der widersprüchlichen Konfiguration seines eigenen Blicks verfängt. Es beginnt mit einer Hitchcock-Allusion: Eine offensichtlich tote junge Frau liegt auf einem Bett, ihr Mörder, dessen Gesicht im Off bleibt, kniet über ihr und ritzt ihr den Buchstaben "P" in die Wange. Die Kamera entfernt sich dann von der Szene, entschwindet aus dem Fenster und öffnet sich für eine Panoramaaufnahme Rio de Janeiros. Dann ein Voice Over: "All my life my eyes have searched for somethin... different." Dann blickt die Kamera auf eine Hausfront, die das gesamte Frame einnimmt und in deren Mitte sich ein Fenster befindet, aus dem eine Frau fast direkt in die Linse blickt. Die Hausfront kollabiert und damit die gesamte Einstellung, erst nach ein paar Sekunden kommt der Abrissbagger als Ursache dieser totalen Disruption ins Bild. Dann folgen Großaufnahmen der Frau, die zu schwarz-weiß-Fotografien einfrieren. Es geht dann noch ein paar Minuten so weiter: die sekundäre Kamera friert die Bilder der primären ein und die Stilisierung der sekundären Bilder verweist vor allem darauf, dass bereits die ersten hochgradig stilisiert sind. Mit dem entfremdeten Blick über den entfremdeten Blick hinaus will A grande arte von der ersten bis zur letzten Minute. Die Form, die Walter Salles wählt, ist die des pulpigen, leicht angetrashten Thrillers, eine Form, die immer eher ein Bild zuviel, als eines zuwenig auswählt, der ich aber eben dafür fast nie ernsthaft böse sein kann.
Bereits Salles' erster Langfilm entstand mit amerikanischem Geld und man hat doch bisweilen das Gefühl, als habe Salles das Projekt nicht immer voll unter Kontrolle gehabt. Der Hollywood-Schauspieler Peter Coyote (unter anderem bekannt aus E.T.) übernimmt die Hauptrolle. Coyote spielt den amerikanischen Fotografen Peter Mandrake, der in Brasilien lebt und dem seine von ihm als distanzierend erlebte Profession nicht mehr ausreicht, der sich danach sehnt, direkteren Kontakt mit der sozialen Realität seiner Wahlheimat aufzunehmen. Der Film beginnt mit Beschreibungen seines Arbeitsalltags. Er lernt dann eine Prostituierte kennen, mit der er nicht nur flirtet, um der wenig entspannten Beziehung zu einer Archäologin wenigstens gedanklich zu entkommen, sondern weil schon dieser Flirt ihn ein wenig von der Position hinter der Kamera befreit und ein kleiner Einbrauch des Realen ist. Die Prostituierte wird ermordet und Coyote beginnt, Unterricht im Messerkampf zu nehmen, weil klar: Pistole wäre eine Fortsetzung der Kamera und ein weiteres Instrument der Distanzierung, wohingegen Mann gegen Mann, Messer gegen Messer, das ist was anderes. Natürlich ist das alles etwas albern, erst recht, wenn der Plot seinen Lauf nimmt und Mandrake zwischen die Fronten eines Drogenkriegs gerät, der von Halunken bestritten wird, die aussehen, als seien sie einem James Bond-Film der Siebziger entsprungen.
Alles etwas platt also, aber sehr interessant dennoch, vor allem aufgrund der Hauptfigur. Der Film erinnert in vieler Hinsicht an Oliver Stones Salvador, der ebenfalls alles zugleich will: Geopolitik, Liebesgeschichte, Paranoiathrills, Genredynamik. Nicht nur in seiner Ausgangssituation: Der Reporter / Bildproduzent als bürgerliche Monade, die versucht, sich selbst zu überschreiten, hin auf ihr postkoloniales Anderes und die dabei von Anfang an alles falsch macht. Er partizipiert auch an den ideologischen blinden Flecken des Sandinisten-Reißers, über die ich hier geschrieben habe - obwohl Salles mit ziemlicher Sicherheit wenn zwar nicht unbedingt ein dynamischerer, aber doch sicher ein klügerer Regisseur als Stone ist. Sicher ist es so, dass auch A grande arte ein etwas aus dem Ruder gelaufener Versuch ist, sich aus dezidiert liberaler Perspektive einen Reim auf die Weltverhältnisse zu machen. Aber wo James Woods' Richard Boyle von allem etwas zu viel ist (zu viril, zu agil, zu artikuliert), ist Peter Coyotes Mandrake von allem zu wenig und pflegt anfangs ein ironisches Verhältnis zur Welt. Mandrake gerät in die Räuberpistole nicht aus Übermut und Tatendrang, sondern aufgrund der Leere in ihm und in seinem Leben. Fast wirkt der gesamte Plot, der sich nach den bildreflexiven ersten zehn Minuten entspinnt, wie eine bloße Projektion auf diese Leere. Das heißt aber auch: Die Sprecherposition des Films selbst ist sich ihrer Sache weit weniger gewiss, als man zu Beginn annehmen konnte. Salles erzählt nicht aus einer Position der Stärke heraus, sondern aus einer der von Innen ausgehöhlten Dominanz. Am Ende greift Mandrake wieder zur Kamera. Es steht zu bezweifeln, dass er der Wirklichkeit näher gerückt ist während seiner ganz persönlichen pulp fiction. Und der Film? Der hat von Anfang an den Umweg durchs Dickicht des Popkulturellen gewählt. Und er ist nicht schlecht damit gefahren.
Bereits Salles' erster Langfilm entstand mit amerikanischem Geld und man hat doch bisweilen das Gefühl, als habe Salles das Projekt nicht immer voll unter Kontrolle gehabt. Der Hollywood-Schauspieler Peter Coyote (unter anderem bekannt aus E.T.) übernimmt die Hauptrolle. Coyote spielt den amerikanischen Fotografen Peter Mandrake, der in Brasilien lebt und dem seine von ihm als distanzierend erlebte Profession nicht mehr ausreicht, der sich danach sehnt, direkteren Kontakt mit der sozialen Realität seiner Wahlheimat aufzunehmen. Der Film beginnt mit Beschreibungen seines Arbeitsalltags. Er lernt dann eine Prostituierte kennen, mit der er nicht nur flirtet, um der wenig entspannten Beziehung zu einer Archäologin wenigstens gedanklich zu entkommen, sondern weil schon dieser Flirt ihn ein wenig von der Position hinter der Kamera befreit und ein kleiner Einbrauch des Realen ist. Die Prostituierte wird ermordet und Coyote beginnt, Unterricht im Messerkampf zu nehmen, weil klar: Pistole wäre eine Fortsetzung der Kamera und ein weiteres Instrument der Distanzierung, wohingegen Mann gegen Mann, Messer gegen Messer, das ist was anderes. Natürlich ist das alles etwas albern, erst recht, wenn der Plot seinen Lauf nimmt und Mandrake zwischen die Fronten eines Drogenkriegs gerät, der von Halunken bestritten wird, die aussehen, als seien sie einem James Bond-Film der Siebziger entsprungen.
Alles etwas platt also, aber sehr interessant dennoch, vor allem aufgrund der Hauptfigur. Der Film erinnert in vieler Hinsicht an Oliver Stones Salvador, der ebenfalls alles zugleich will: Geopolitik, Liebesgeschichte, Paranoiathrills, Genredynamik. Nicht nur in seiner Ausgangssituation: Der Reporter / Bildproduzent als bürgerliche Monade, die versucht, sich selbst zu überschreiten, hin auf ihr postkoloniales Anderes und die dabei von Anfang an alles falsch macht. Er partizipiert auch an den ideologischen blinden Flecken des Sandinisten-Reißers, über die ich hier geschrieben habe - obwohl Salles mit ziemlicher Sicherheit wenn zwar nicht unbedingt ein dynamischerer, aber doch sicher ein klügerer Regisseur als Stone ist. Sicher ist es so, dass auch A grande arte ein etwas aus dem Ruder gelaufener Versuch ist, sich aus dezidiert liberaler Perspektive einen Reim auf die Weltverhältnisse zu machen. Aber wo James Woods' Richard Boyle von allem etwas zu viel ist (zu viril, zu agil, zu artikuliert), ist Peter Coyotes Mandrake von allem zu wenig und pflegt anfangs ein ironisches Verhältnis zur Welt. Mandrake gerät in die Räuberpistole nicht aus Übermut und Tatendrang, sondern aufgrund der Leere in ihm und in seinem Leben. Fast wirkt der gesamte Plot, der sich nach den bildreflexiven ersten zehn Minuten entspinnt, wie eine bloße Projektion auf diese Leere. Das heißt aber auch: Die Sprecherposition des Films selbst ist sich ihrer Sache weit weniger gewiss, als man zu Beginn annehmen konnte. Salles erzählt nicht aus einer Position der Stärke heraus, sondern aus einer der von Innen ausgehöhlten Dominanz. Am Ende greift Mandrake wieder zur Kamera. Es steht zu bezweifeln, dass er der Wirklichkeit näher gerückt ist während seiner ganz persönlichen pulp fiction. Und der Film? Der hat von Anfang an den Umweg durchs Dickicht des Popkulturellen gewählt. Und er ist nicht schlecht damit gefahren.
Thursday, June 17, 2010
"Film"-Serie, deco dawson, 1998-2001
Eine wunderschöne Entdeckung, die ich dem Betreiber dieses schönen Blogs zu verdanken habe: deco dawson war an einigen Arbeiten Guy Maddins als Editor beteiligt, unter anderem hat er den großartigen Kurzfilm The Heart of the World montiert. Sein eigenes Regiewerk entfaltet sich seit den späten Neunziger Jahren in unmittelbarer ästhetischer Nähe zum berühmtesten Filmemacher Winnipegs. Die Film-Serie besteht aus fünf kurzen Streifen, gedreht auf 8mm in schwarz-weiß, nahe am expressionistischen Stummfilmstil und, wer The Heart of the World gesehen hat, kann sich darüber kaum wundern, sind zuerst einmal großartig montiert.
Allerdings ist deco dawson nicht einfach nur ein Maddin-Epigone. Seine Filme haben, zumindest auf den zweiten Blick, außerhalb ihrer Materialität nicht viel mit dessen Werk gemein. Eigentlich produziert deco dawson sogar Bilder ganz anderer Art, viel reduziertere Bilder, die sich zum bloßen Schattenspiel hin entgrenzen. Ein hart beleuchtetes Gesicht, ein strahlender Gegenstand vor schwarzem Hintergrund, das ist oft alles. Dazwischen dann manchmal gespenstisch anmutende Landschaftsaufnahmen, Bilder einer Welt, von der der Betrachter vieleicht doch etwas grundlegender abwesend ist, als Cavell das fürs gesamte Medium postuliert. Wobei, vielleicht ist es doch anders herum und in Werken wie dem komplett wahnwitzigen Film(emend) zeigt sich erst die gesamte Reichweite dieser Idee, weil eben auch da die Kamera nicht anders kann, als einen Weltbezug herzustellen und sei der auch noch so verschroben.
Im Grunde ist der Bezug auf Filmgeschichte diesen Filmen nicht konstitutiv, oder zumindest nicht im selben Maße wie zB Maddins Careful. Eigentlich zielen die Filme auf Zeitloses, sozusagen eher auf das, was analytisch im Medium drin steckt, denn auf eine bestimmte Aktualisierung dieses Potentials. Die Reduktion ist kein nachgestellter Primitivismus, sondern eher Versuchsaufbau (allerdings ohne jede Versuchsbeschreibung. Nur folgerichtig ist dann auch, dass deco dawson sich inzwischen ganz anderen filmästhetischen Mustern zuwenden zu scheint.
Film(emend) zeigt einen Mann, der Schuhe cremt und poliert, erst gemächlich, dann zunehmend manisch. Dann klettert er über eine Mauer und trifft auf der anderen Seite auf noch mehr Schuhe. aber er hat sein Schuhputztuch vergessen. Statt dessen greift er zu einem Buch, reisst dessen Seiten heraus und trägt auf ihnen die Creme auf. deco dawson entwirft keine Allegorien, er interessiert sich für Desintegration und psychotische Reorganisation von Materie. Objekte, die außer Kontrolle geraten, Subjekt-Objekt-Beziehungen, die auf einmal wieder völlig neu ausgehandelt werden können. Die Welt scheint oft von Einstellung zu Einstellung zu zerfallen und sich wieder neu, aber (semantisch?) verschoben, zusammen zu setzen.
Die Filme werden dann doch langsam barocker, Höhepunkt ist der letzte und mit gut 20 Minuten längste Teil der Reihe, Film(dzama). Die Objekte sind diesmal Zeichnungen und die werden lebendig. Ein ganz eigener, seltsam hybrider, zwischendrin auch ein wenig pornografischer Schöpfungsmythos.
---
Film(knout) (2000):
Allerdings ist deco dawson nicht einfach nur ein Maddin-Epigone. Seine Filme haben, zumindest auf den zweiten Blick, außerhalb ihrer Materialität nicht viel mit dessen Werk gemein. Eigentlich produziert deco dawson sogar Bilder ganz anderer Art, viel reduziertere Bilder, die sich zum bloßen Schattenspiel hin entgrenzen. Ein hart beleuchtetes Gesicht, ein strahlender Gegenstand vor schwarzem Hintergrund, das ist oft alles. Dazwischen dann manchmal gespenstisch anmutende Landschaftsaufnahmen, Bilder einer Welt, von der der Betrachter vieleicht doch etwas grundlegender abwesend ist, als Cavell das fürs gesamte Medium postuliert. Wobei, vielleicht ist es doch anders herum und in Werken wie dem komplett wahnwitzigen Film(emend) zeigt sich erst die gesamte Reichweite dieser Idee, weil eben auch da die Kamera nicht anders kann, als einen Weltbezug herzustellen und sei der auch noch so verschroben.
Im Grunde ist der Bezug auf Filmgeschichte diesen Filmen nicht konstitutiv, oder zumindest nicht im selben Maße wie zB Maddins Careful. Eigentlich zielen die Filme auf Zeitloses, sozusagen eher auf das, was analytisch im Medium drin steckt, denn auf eine bestimmte Aktualisierung dieses Potentials. Die Reduktion ist kein nachgestellter Primitivismus, sondern eher Versuchsaufbau (allerdings ohne jede Versuchsbeschreibung. Nur folgerichtig ist dann auch, dass deco dawson sich inzwischen ganz anderen filmästhetischen Mustern zuwenden zu scheint.
Film(emend) zeigt einen Mann, der Schuhe cremt und poliert, erst gemächlich, dann zunehmend manisch. Dann klettert er über eine Mauer und trifft auf der anderen Seite auf noch mehr Schuhe. aber er hat sein Schuhputztuch vergessen. Statt dessen greift er zu einem Buch, reisst dessen Seiten heraus und trägt auf ihnen die Creme auf. deco dawson entwirft keine Allegorien, er interessiert sich für Desintegration und psychotische Reorganisation von Materie. Objekte, die außer Kontrolle geraten, Subjekt-Objekt-Beziehungen, die auf einmal wieder völlig neu ausgehandelt werden können. Die Welt scheint oft von Einstellung zu Einstellung zu zerfallen und sich wieder neu, aber (semantisch?) verschoben, zusammen zu setzen.
Die Filme werden dann doch langsam barocker, Höhepunkt ist der letzte und mit gut 20 Minuten längste Teil der Reihe, Film(dzama). Die Objekte sind diesmal Zeichnungen und die werden lebendig. Ein ganz eigener, seltsam hybrider, zwischendrin auch ein wenig pornografischer Schöpfungsmythos.
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Film(knout) (2000):
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Friday, June 11, 2010
Yahşi Batı, Ömer Faruk Sorak, 2010
Dem türkischen Kino geht es, nach einer schwerwiegenden Rezession Anfang der Neunziger Jahren, als jährlich kaum ein halbes Dutzend Filme produziert wurden, wieder ausgezeichnet. Und zwar nicht nur dank den neuen Autorenfilmern um Nuri Bilge Ceylan. Mindestens ebenso eindrucksvoll wie deren Festivalerfolge gerät die Renaissance des populären Kino. Jahr für Jahr reüssieren zahlreiche Blockbuster an den türkischen Kinokassen, der Marktanteil einheimischer Produktionen übersteigt in manchen Jahren 50% - ein Wert, der in den meisten europäischen Ländern nicht einmal annähernd realisierbar scheint. Kulturelle und anderweitige Übersetzungsschwierigkeiten sorgen dafür, dass die Mehrzahl dieser Filme außerhalb der Türkei praktisch überhaupt nicht wahrgenommen wird. Außer natürlich in den umfangreichen Auslandsgemeinden: In deutschen Großstädten kann man sich dank Verleihern wie "Maxximum Film und Kunst", die - oft zeitgleich zum türkischen Kinostart - deutsch untertitelte Kopien in Berlin, München und anderen Städten vertreiben, ein recht umfassendes Bild des populären türkischen Kinos machen. Wie wenig sich die deutsche Presse mit diesem parallelen Kino auskennt, konnte man 2006 anlässlich der hysterischen Reaktionen auf den Actionfilm Kurtlar Vadisi - Irak beobachten. Die Aufregung war damals schnell verflogen und dass in den Folgejahren zwei weitere Kurtlar Vadisi-Filme (Kurtlar vadisi - Muro, 2008 & Kurtlar vadisi - Gladio, 2009) sowie eine Kurtlar Vadisi-Parodie (Maskeli Beşler – Irak, 2007) in den deutschen Kinos starteten, hat bereits kaum jemand mehr mitbekommen.
Die Wiederbelebung des türkischen Kinos ist allerdings primär nicht dem B-Actionfilm, sondern einem ganz anderen Genre zu verdanke: der Komödie. Die Dorfklamotte Vizontele aus dem Jahr 2001 darf als einer der wichtigsten Filme für die Wiederbelebung Yeşilçams (die türkische Filmindistrie wird Yeşilçam genannt nach der Istanbuler Straße, in der zahlreiche Filmstudios ihren Sitz hatten) gelten. Cem Yılmaz war in Visontele in einer Nebenrolle zu sehen. Während die meisten Comedy-Stars des türkischen Kinos ihre Sporen im Fersehen verdienten, machte sich Cem Yılmaz als Stand-up-Komiker einen Namen. Seit seiner Science-Fiction-Farce G.O.R.A. (2004) ist Yılmaz der einzige türkische Comedystar, der hierzulande einem etwas breiteren Publikum ein Begriff ist. Seine Formel ist ebenso einfach wie einleuchtend: alles kann und muss türkisiert werden. In G.O.R.A. war das Weltall und die Zukunft an der Reihe, im Nachfolger A.R.O.G. (2008) die Steinzeit. Gemeinsam mit G.O.R.A.-Regisseur Ömer Faruk Sorak überträgt Yılmaz sein Erfolgsrezept nun auf einen ganz anderen Zusammenhang: Yahşi Batı ist ein Western mit Postkutschen, Totempfählen und auch sonst allem drum und dran. Und während G.O.R.A. seinerzeit unter seinem eigenen für türkische Verhältnisse extrem hohen Büdget zu ersticken drohte, ist Yılmaz / Sorak diesmal eine gut geölte Mainstreamkomödie gelungen, die nicht nur auf ein beachtliches Produktionsniveau, sondern auch auf handwerkliche Routine verweist.
Eine rudimentäre Rahmenhandlung in der Gegenwart führt in den Film ein: Anlässlich eines Verkaufsgesprächs erzählt ein übereifriger Geschäftsmann eine Räuberpistole aus vergangenen Zeiten. Es geht um zwei Abgesandte des Sultans, Aziz Efendi (Cem Yılmaz) und Lemi Bey (Ozan Güven), die dem amerikanischen Präsidenten einen faustgroßen Diamanten als Geschenk überbringen sollen. Nachdem die ersten Dialoge auf englisch vorgetragen werden, beschwert sich ein Zuhörer und der Film wechselt - per eingeblendetes DVD-Sprachauswahlmenu - ins Türkische. Dass die Banditen, die in dieser Szene Aziz' und Lemis Postkutsche überfallen, türkisch sprechen ist in diesem Film nur konsequent. Der Humor resultiert eben gerade nicht daraus, dass Aziz und Lemi mit einer ihnen völlig fremden Kultur konfrontiert würden. Statt dessen lauert hinter jeder Indianerfedern und unter jedem Cowboyhut immer schon die Türkei und wartet nur darauf, von den Neuankömmlingen aktiviert zu werden. Wenn die beiden Helden die Poststation betreten, begrüßt sie der Postbeamte mit Wangenküsschen und reicht ihnen Tee. Der Bösewicht des Films, der gleichzeitig Sheriff und Pastor ist, hat einen starken südostanatolischen Dialekt und die Indianer tragen allesamt Namen Istanbuler Fast-Food-Restaurants. Ein running gag greift währenddessen die vor einigen Jahrzehnten in der Türkei populäre Theorie auf, dass Indianer und Türken dieselben zentralasiatischen Vorfahren gehabt hätten und dass deshalb Indianer irgendwie auch Türken seien und die in einer langen Reihe steht mit ähnlich gelagerten Selbstbetrachtungen des Türkentums. In Filmen wie Yahşi Batı allerdings wird Kultur gerade nicht mehr essenzialistisch und identitär, sondern spielerisch verhandelt.
So kalauern sich Aziz und Lemi durch einen der Unternehmung angemessen kulissenhaft ausgestalteten wilden Westen, bandeln mit einem Calamity-Jane-Verschnitt an ("Dein Schnurrbart ist interessant" - "Deiner auch, meine Süße"), nehmen an einem türkischen Ringkampf teil und landen am Ende tatsächlich im weißen Haus, wo ein schwarzer Diener auf die Frage, was seine weiteren Pläne seien, antwortet: "Jetzt pisse ich nur in die Limonade, aber ich habe noch Großes vor".
Die Wiederbelebung des türkischen Kinos ist allerdings primär nicht dem B-Actionfilm, sondern einem ganz anderen Genre zu verdanke: der Komödie. Die Dorfklamotte Vizontele aus dem Jahr 2001 darf als einer der wichtigsten Filme für die Wiederbelebung Yeşilçams (die türkische Filmindistrie wird Yeşilçam genannt nach der Istanbuler Straße, in der zahlreiche Filmstudios ihren Sitz hatten) gelten. Cem Yılmaz war in Visontele in einer Nebenrolle zu sehen. Während die meisten Comedy-Stars des türkischen Kinos ihre Sporen im Fersehen verdienten, machte sich Cem Yılmaz als Stand-up-Komiker einen Namen. Seit seiner Science-Fiction-Farce G.O.R.A. (2004) ist Yılmaz der einzige türkische Comedystar, der hierzulande einem etwas breiteren Publikum ein Begriff ist. Seine Formel ist ebenso einfach wie einleuchtend: alles kann und muss türkisiert werden. In G.O.R.A. war das Weltall und die Zukunft an der Reihe, im Nachfolger A.R.O.G. (2008) die Steinzeit. Gemeinsam mit G.O.R.A.-Regisseur Ömer Faruk Sorak überträgt Yılmaz sein Erfolgsrezept nun auf einen ganz anderen Zusammenhang: Yahşi Batı ist ein Western mit Postkutschen, Totempfählen und auch sonst allem drum und dran. Und während G.O.R.A. seinerzeit unter seinem eigenen für türkische Verhältnisse extrem hohen Büdget zu ersticken drohte, ist Yılmaz / Sorak diesmal eine gut geölte Mainstreamkomödie gelungen, die nicht nur auf ein beachtliches Produktionsniveau, sondern auch auf handwerkliche Routine verweist.
Eine rudimentäre Rahmenhandlung in der Gegenwart führt in den Film ein: Anlässlich eines Verkaufsgesprächs erzählt ein übereifriger Geschäftsmann eine Räuberpistole aus vergangenen Zeiten. Es geht um zwei Abgesandte des Sultans, Aziz Efendi (Cem Yılmaz) und Lemi Bey (Ozan Güven), die dem amerikanischen Präsidenten einen faustgroßen Diamanten als Geschenk überbringen sollen. Nachdem die ersten Dialoge auf englisch vorgetragen werden, beschwert sich ein Zuhörer und der Film wechselt - per eingeblendetes DVD-Sprachauswahlmenu - ins Türkische. Dass die Banditen, die in dieser Szene Aziz' und Lemis Postkutsche überfallen, türkisch sprechen ist in diesem Film nur konsequent. Der Humor resultiert eben gerade nicht daraus, dass Aziz und Lemi mit einer ihnen völlig fremden Kultur konfrontiert würden. Statt dessen lauert hinter jeder Indianerfedern und unter jedem Cowboyhut immer schon die Türkei und wartet nur darauf, von den Neuankömmlingen aktiviert zu werden. Wenn die beiden Helden die Poststation betreten, begrüßt sie der Postbeamte mit Wangenküsschen und reicht ihnen Tee. Der Bösewicht des Films, der gleichzeitig Sheriff und Pastor ist, hat einen starken südostanatolischen Dialekt und die Indianer tragen allesamt Namen Istanbuler Fast-Food-Restaurants. Ein running gag greift währenddessen die vor einigen Jahrzehnten in der Türkei populäre Theorie auf, dass Indianer und Türken dieselben zentralasiatischen Vorfahren gehabt hätten und dass deshalb Indianer irgendwie auch Türken seien und die in einer langen Reihe steht mit ähnlich gelagerten Selbstbetrachtungen des Türkentums. In Filmen wie Yahşi Batı allerdings wird Kultur gerade nicht mehr essenzialistisch und identitär, sondern spielerisch verhandelt.
So kalauern sich Aziz und Lemi durch einen der Unternehmung angemessen kulissenhaft ausgestalteten wilden Westen, bandeln mit einem Calamity-Jane-Verschnitt an ("Dein Schnurrbart ist interessant" - "Deiner auch, meine Süße"), nehmen an einem türkischen Ringkampf teil und landen am Ende tatsächlich im weißen Haus, wo ein schwarzer Diener auf die Frage, was seine weiteren Pläne seien, antwortet: "Jetzt pisse ich nur in die Limonade, aber ich habe noch Großes vor".
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Yahsi Bati
Monday, June 07, 2010
Long Live Philippine Cinema!
Die letzten Tage habe ich noch einmal einige der zentralen Werke des neuen philippinischen Kinos gesehen, Werke von Khavn, Raya Martin und knapp fünf Stunden aus Lav Diaz' Evolution of a Filipino Family. Noch einmal verfestigt hat sich dabei meine Überzeugung, dass auf den Philippinen zur Zeit die aufregendsten, großartigen Filme überhaupt gedreht werden. Auch im Kleinen, im Detail: wie die Tiere in Martins Independencia den Menschen wiederholt Schnäppchen schlagen, obwohl sie (zumindest die Hühner) festgebunden und ja überhaupt im Studio eingepfercht sind. Die Schildkröte paddelt ganz unverfroren durchs Bild. In Raya Martins Dschungel braucht es keine geschlachteten Ziegen, das Kreatürliche kommt auch so zu seinem Recht, im puren Eigensinn von Schildkröte, Huhn und Gürteltier. Wie Khavns Filme aus den ewig gleichen Stadtpassagen immer wieder neue Bilder gewinnen, wie bei Lav Diaz die ältesten Filmaufnahmen sich vergilbten Bildbänden impressionistischer Malerei angleichen.
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Gehen: Lav Diaz, Khavn, Brillante Mendoza
Liegen: Raya Martin, Sherad Anthony Sanchez
(Sitzen: Ramon Mez de Guzman?)
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Gehen: Lav Diaz, Khavn, Brillante Mendoza
Liegen: Raya Martin, Sherad Anthony Sanchez
(Sitzen: Ramon Mez de Guzman?)
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