Kaum je war ein Filmtitel unpassender: Auch ein tendenziell immer eher unsubtiler Regisseur wie Haneke dreht nicht alle Tage einen Film, dessen Code von Anfang an derart offen liegt. Und zwar auf zwei Ebenen. Zum einen macht bereits der dämliche Prolog (der schlechteste Abschnitt des Films) klar, worum es gehen soll, um die unmöglichkeit der Kommunikation sowie der Seinnstiftung in einer chaotischen, globalisierten Welt nämlich. Danach folgen noch genau 28 Wiederholungen desselben Motivs. Die Message wird so lange nach Hause gebracht, bis sie wirklich jeder nicht nur verstanden hat, sondern sie wahrscheinlich im Schlaf vor sich her beten kann. Zum anderen auf der Ebene der Filmsprache, deren Grammatik von Anfang an offenliegt und das Werk so unmittelbar lesbar macht, wie dies bei kaum einer anderen Filmform der Fall ist. Den Code eines Hollywoodfilms etwa versteht man zwar, man kennt ihn deshalb jedoch noch lange nicht, schon gar nicht nach einmaligem Ansehen.
Noch dazu ist das Ganze trotz allem inkonsequent. Die Räume, die Haneke in Paris, Rumänien und Afrika eröffnet, werden zwar nicht durch die Montage manipuliert, erscheinen jedoch stets als Funktion des Erzählregimes, zentriert auf die Figuren und alles übrige durch - dezente - Unschärfe ausschließend.
Code inconnu zeigt Haneke von seiner didaktischsten Seite. Bisweilen ist es in den inzwischen zielstrebig gen Hollywood strebenden Werken des Österreichers gut möglich, diese oberlehrerhafte Schlagseite zu ignorieren und sich auf die autonomen Qualitäten einzelner Episoden oder Erzählstränge zu konzentrieren (denn ein hervorragender und äußerst effektiver Techniker ist Haneke allemal). So hat mir neben dem sehr schönen Cache beispielsweise auch Funny Games viel Freude bereitet. Code inconnu jedoch bietet nur wenige Ansatzpunkte einer alternativen Rezeption, zu streng ist das formale Konzept der moralischen Diktion unterworfen. Lediglich zwei seh schöne Szenen (eine verwirrende und verstörende Begegnung in der U-Bahn und ein auf seltsame Weise intimes Gespräch in einem Swimmingpool auf einem Hochhaus) konnten mich ein wenig mit diesem Lehrstück versöhnen.
Friday, April 27, 2007
Monday, April 23, 2007
Bangiku, Naruse Mikio, 1955
Sind Naruses ruhige, fast spartanische Nachkriegsfilme ein konzentriertes Destillat seines ungestümeren, experimentelleren Vorkriegswerkes, auf das Wesentliche reduziert und deshalb zielgenauer, präziser und wirkungsvoller? Oder sind sie im Gegenteil, wie Noell Burch meint, Zeugnis des Verfalls nicht nur eines Auteurs, sondern einer ganzen Filmnation (im Falle Ozus spricht Burch vom "kalten Akademismus" der Werke der 50er Jahre, was einige Zweifel daran weckt, ob er überhaupt die richtigen Filme gesehen hat...)?
Vielleicht ist es sinnvoller, anstatt über die Unterschiede zwischen den beiden Werkabschnitten zuerst über die Kontinuitäten nachzudenken. Zum Beispiel darüber, wie es Naruse sowohl im Früh- als auch im Spätwerk gelingt, seine oftmals äußerst eklektischen Drehbücher zu einem kohärenten Werk zusammenzufügen, das zwar gerade nicht einer Schließung im engeren Sinne zustrebt, aber doch stets ein Äquilibrium wahrt, welches dem Erzählmaterial eigentlich nicht zu eigen sein scheint. Denn auch wenn die Techniken, die der Regisseur verwendet, sehr unterschiedlich sind, so verweigern sich doch die spielerischen Montageexperimente (Schuss/Gegenschuss-Aufnahmen abwechselnd mit / ohne Achsensprung, rhythmische Cutaways während dramatischer Gespräche usw.) aus Tsuma yo bara no yo ni (1935) in ähnlicher Weise der im Drehbuch angelegten dramaturgischen Klimax des Melodrams wie die ausgedehnten Parallelmontagen, die weite Teile von Bangiku bestimmen und die leitmotivisch (wie in vielen Naruse-Filmen) von Sraßenbildern unterbrochen werden.
Bei näherem betrachten sind in der Tat die Unterschiede zwischen beiden Werksgruppen weit geringer, als man auf den ersten Blick annehmen möchte. Denn auch Bangiku (und in ähnlicher Weise Nagareru oder Yama no oto) besitzen in ihrem Drehbuch, auch wenn sie auf dramaturgische Kunstgriffe wie Rückblenden verzichten, die Anlage zu einem wilden, exzessiven Melodrama. Die Drehbücher sind alles andere als ökonomisch, führen wichtige Personen erstaunlich spät ein, geben andere scheinbar viel zu früh auf, wechseln in unabsehbaren Mustern Schauplätze, Handlungsstränge und Figurenkombinationen (in dieser Hinsicht unterscheiden die Werke sich deutlich von denen Ozus mit ihren standardisierten Setpieces, dem immer wiederkehrendem Personal und dem dezidiert antidramatischen Plotaufbau).
Dennoch verweigert sich alle Werke Naruses (in gewisser Weise sogar seine Stummfilme, obwohl deren Aufführungspraxis - und damit ein Großteil ihrer Wirkkraft zumindest hierzulande nicht nachstellbar ist) den emotionalen Mustern der jeweiligen Genre, in welchen sie sich befinden, gerade innerhalb ihrer Mikrostruktur. Naruses Filme scheinen mit breiteren, allgemeineren emotionalen Pattern zu arbeiten, die ganze Filmabschnitte mit sorgfältig augearbeiteten Stimmungen überziehen und die dadurch die dramaturgische Struktur jedes einzelnen Gesprächs unterlaufen. Vielleicht resultiert die Melancholie, die viele seiner Werke durchzieht, genau aus den zum Scheitern verurteilten Versuchen der Naruse-Figuren, sich gegen die Macht der Inszenierung zur Wehr zu setzen und auf den Wert ihres ganz persönlichen Schicksals zu pochen.
Eine wichtige Rolle scheint dabei die Musik zu spielen. Die Bilder werden in Bangiku in vielen Sequenzen von einfachen, ruhigen und unaufgeregten Melodien untermalt, die sich über mehrere Minuten auch nicht ein klein wenig ändern und sich nur in absoluten Ausnahmefällen den emotionalen Zuständen der Figuren anpassen (die einzige Ausnahme, die mir aufgefallen ist, war ein Geigeneinsatz kurz vor Schluss, während dem Gespräch der geizigen Geisha mit ihrem Ex). Als komplettes Gegenstück zum Mickey Mousing verbinden diese Klänge oft Unvereinbares, jedoch ohne sich selbst in den Vordergrund zu rücken (wie dies die ansonsten manchmal ähnlich funktionierenden neoromantischen Melodiebögen im zeitgenössischen Blockbusterkino zu tun pflegen). Einige Szenen werden gar nur von einem monotonen Stakkato unterlegt, ohne jede Melodie, ohne irgendeine Konnotation eines emotionalen Zustandes. Dieser ebenso auffällige wie unauffällige Soundtrack ebnet noch die disparatesten Momente des Films ein, überbrückt die Brüche zwischen einzelnen Handlungssträngen und entlastet ganz allgemein die Narration von ihrer Dringlichkeit, verschiebt sie bisweilen in den Hintergrund und verhindert dadurch auch deren Schließung.
Denn trotz aller leiser Melancholie ist Bangiku eigentlich kein depressiver Film. Auf den Zusammenbruch der Illusionen folgt eine Serie von Öffnungen, die den Film endgültig von der Narration entfernen und in ein ganz neues Reich zu führen scheinen. Öffnungen zuerst durch ein Fenster in den Regen der Stadt (die vielleicht schönste Szene eines großartigen Films), Öffnungen in das geschäftige Treiben der Fußgänger auf der Straße oder in Richtung des Horizonts durch die Bewegung eines abfahrenden Zuges.
Vielleicht ist es sinnvoller, anstatt über die Unterschiede zwischen den beiden Werkabschnitten zuerst über die Kontinuitäten nachzudenken. Zum Beispiel darüber, wie es Naruse sowohl im Früh- als auch im Spätwerk gelingt, seine oftmals äußerst eklektischen Drehbücher zu einem kohärenten Werk zusammenzufügen, das zwar gerade nicht einer Schließung im engeren Sinne zustrebt, aber doch stets ein Äquilibrium wahrt, welches dem Erzählmaterial eigentlich nicht zu eigen sein scheint. Denn auch wenn die Techniken, die der Regisseur verwendet, sehr unterschiedlich sind, so verweigern sich doch die spielerischen Montageexperimente (Schuss/Gegenschuss-Aufnahmen abwechselnd mit / ohne Achsensprung, rhythmische Cutaways während dramatischer Gespräche usw.) aus Tsuma yo bara no yo ni (1935) in ähnlicher Weise der im Drehbuch angelegten dramaturgischen Klimax des Melodrams wie die ausgedehnten Parallelmontagen, die weite Teile von Bangiku bestimmen und die leitmotivisch (wie in vielen Naruse-Filmen) von Sraßenbildern unterbrochen werden.
Bei näherem betrachten sind in der Tat die Unterschiede zwischen beiden Werksgruppen weit geringer, als man auf den ersten Blick annehmen möchte. Denn auch Bangiku (und in ähnlicher Weise Nagareru oder Yama no oto) besitzen in ihrem Drehbuch, auch wenn sie auf dramaturgische Kunstgriffe wie Rückblenden verzichten, die Anlage zu einem wilden, exzessiven Melodrama. Die Drehbücher sind alles andere als ökonomisch, führen wichtige Personen erstaunlich spät ein, geben andere scheinbar viel zu früh auf, wechseln in unabsehbaren Mustern Schauplätze, Handlungsstränge und Figurenkombinationen (in dieser Hinsicht unterscheiden die Werke sich deutlich von denen Ozus mit ihren standardisierten Setpieces, dem immer wiederkehrendem Personal und dem dezidiert antidramatischen Plotaufbau).
Dennoch verweigert sich alle Werke Naruses (in gewisser Weise sogar seine Stummfilme, obwohl deren Aufführungspraxis - und damit ein Großteil ihrer Wirkkraft zumindest hierzulande nicht nachstellbar ist) den emotionalen Mustern der jeweiligen Genre, in welchen sie sich befinden, gerade innerhalb ihrer Mikrostruktur. Naruses Filme scheinen mit breiteren, allgemeineren emotionalen Pattern zu arbeiten, die ganze Filmabschnitte mit sorgfältig augearbeiteten Stimmungen überziehen und die dadurch die dramaturgische Struktur jedes einzelnen Gesprächs unterlaufen. Vielleicht resultiert die Melancholie, die viele seiner Werke durchzieht, genau aus den zum Scheitern verurteilten Versuchen der Naruse-Figuren, sich gegen die Macht der Inszenierung zur Wehr zu setzen und auf den Wert ihres ganz persönlichen Schicksals zu pochen.
Eine wichtige Rolle scheint dabei die Musik zu spielen. Die Bilder werden in Bangiku in vielen Sequenzen von einfachen, ruhigen und unaufgeregten Melodien untermalt, die sich über mehrere Minuten auch nicht ein klein wenig ändern und sich nur in absoluten Ausnahmefällen den emotionalen Zuständen der Figuren anpassen (die einzige Ausnahme, die mir aufgefallen ist, war ein Geigeneinsatz kurz vor Schluss, während dem Gespräch der geizigen Geisha mit ihrem Ex). Als komplettes Gegenstück zum Mickey Mousing verbinden diese Klänge oft Unvereinbares, jedoch ohne sich selbst in den Vordergrund zu rücken (wie dies die ansonsten manchmal ähnlich funktionierenden neoromantischen Melodiebögen im zeitgenössischen Blockbusterkino zu tun pflegen). Einige Szenen werden gar nur von einem monotonen Stakkato unterlegt, ohne jede Melodie, ohne irgendeine Konnotation eines emotionalen Zustandes. Dieser ebenso auffällige wie unauffällige Soundtrack ebnet noch die disparatesten Momente des Films ein, überbrückt die Brüche zwischen einzelnen Handlungssträngen und entlastet ganz allgemein die Narration von ihrer Dringlichkeit, verschiebt sie bisweilen in den Hintergrund und verhindert dadurch auch deren Schließung.
Denn trotz aller leiser Melancholie ist Bangiku eigentlich kein depressiver Film. Auf den Zusammenbruch der Illusionen folgt eine Serie von Öffnungen, die den Film endgültig von der Narration entfernen und in ein ganz neues Reich zu führen scheinen. Öffnungen zuerst durch ein Fenster in den Regen der Stadt (die vielleicht schönste Szene eines großartigen Films), Öffnungen in das geschäftige Treiben der Fußgänger auf der Straße oder in Richtung des Horizonts durch die Bewegung eines abfahrenden Zuges.
Sunday, April 15, 2007
Götter der Pest, Rainer Werner Fassbinder, 1970
Die schönste Szene eines zauberhaften Films: Die Fahrt aufs Land.
Die Sequenz beginnt mit einer Aufnahme aus der Vogelperspektive, wie sie sonst im Film nie zu finden ist. Die Kamera entfernt sich von den Figuren, wagt eine ähnliche Befreiung, wie sie die Figuren selbst in der Natur suchen. Die Häuser, die landwirtschaftlichen Utensilien und die domestizierte Natur (Felder, Sträuscher, Staub auf der Straße etc) erreichen eine Art seltsam unwirkliche Plastizität, wie Modellhäuser einer Modelleisenbahnlandschaft vielleicht.
Auf dem Bauernhof angekommen springt Günther Kaufmann ins Stroh und umarmt ein Schaf. Und wirkt trotz dieser Aneignungsversuche genauso deplaziert wie seine beiden Begleiter und Micha Cochina alias Joe, ihr Gastgeber, der von all den halbseidenen Gangstern im Film vielleicht der halbseidenste ist und vielleicht gerade deshalb auf dem Bauernhof landen muss.
Dieser nimmt Harry Baer beiseite, gemeinsam laufen sie an einer Scheune vorbei, oder an einem Wohnhaus, auch egal, ist sowieso nur Kullisse. Margharete von Trotha steht derweil gelangweilt in der Gegend herum.
Anschließend die vielleicht einzige Martial-Arts-Sequenz des Neuen Deutschen Films. Natürlich teilt Micha Cochina am besten aus.
Schließlich fahren sie - diesmal zu viert - wieder in Richtung Stadt. Wieder die Aufnahme aus der Vogelperspektive. Wieder die seltsamen Modelleisenbahnhäuser. Doch diesmal schwenkt die Kamera in richtung Horizont und da steht irgendwo ein Kirchturm.
Die Sequenz beginnt mit einer Aufnahme aus der Vogelperspektive, wie sie sonst im Film nie zu finden ist. Die Kamera entfernt sich von den Figuren, wagt eine ähnliche Befreiung, wie sie die Figuren selbst in der Natur suchen. Die Häuser, die landwirtschaftlichen Utensilien und die domestizierte Natur (Felder, Sträuscher, Staub auf der Straße etc) erreichen eine Art seltsam unwirkliche Plastizität, wie Modellhäuser einer Modelleisenbahnlandschaft vielleicht.
Auf dem Bauernhof angekommen springt Günther Kaufmann ins Stroh und umarmt ein Schaf. Und wirkt trotz dieser Aneignungsversuche genauso deplaziert wie seine beiden Begleiter und Micha Cochina alias Joe, ihr Gastgeber, der von all den halbseidenen Gangstern im Film vielleicht der halbseidenste ist und vielleicht gerade deshalb auf dem Bauernhof landen muss.
Dieser nimmt Harry Baer beiseite, gemeinsam laufen sie an einer Scheune vorbei, oder an einem Wohnhaus, auch egal, ist sowieso nur Kullisse. Margharete von Trotha steht derweil gelangweilt in der Gegend herum.
Anschließend die vielleicht einzige Martial-Arts-Sequenz des Neuen Deutschen Films. Natürlich teilt Micha Cochina am besten aus.
Schließlich fahren sie - diesmal zu viert - wieder in Richtung Stadt. Wieder die Aufnahme aus der Vogelperspektive. Wieder die seltsamen Modelleisenbahnhäuser. Doch diesmal schwenkt die Kamera in richtung Horizont und da steht irgendwo ein Kirchturm.
Labels:
Bauernhof,
BRD,
Fassbinder,
Götter der Pest,
Martial Arts,
Neuer Deutscher Film,
Tiere
Monday, April 09, 2007
Rollerball, John McTiernan, 2002
Hier mein verspäteter und (weil deutschsprachig) inoffizieller Beitrag zum Trash Movie Celebration Blog-a-thon (wie viele beteiligte Autoren tue allerdings auch ich mich schwer damit, den von mir ausgewählten Film mit "Trash" in Verbindung zu bringen, zumindest nicht in der Art und Weise, wie der Begriff im Allgemeinen verwendet wird).
Wer sich - wie ich - seinerzeit von den fast allseits vernichtenden Kritiken davon abhalten ließ, John McTiernans Rollerball-Remake im Kino zu genießen (diese Möglichkeit wird wohl frühestens im Zuge einer langsam sowieso fälligen McTiernan Kanonisierung wieder gegeben sein), der sollte nicht zögern, dieses rasikale Kleinod des modernen Actionkinos auf DVD nachzuholen.
Vom Prolog in San Francisco bis zur verschrobenen Utopie der Bergarbeiterrevolte, mit der der Film endet, verfolgt der Film ein klares Konzept: Die Zerstörung und gleichzeitige Neuerfindung des Blockbusterkinos bruckheimerscher Prägung. Schon die erste Bewegung des Films verdeutlicht die Konsequenz des gesamten Ansatzes. Die Overture in Amerika, im Land der Freiheit, rasante Kamerafahrten vor weitem Horizont durch sonnenüberflutete Häuserschluchten, ganz nah am Geschehen, somatisch auf den Zuschauer übertragen durch ein fieberhaftes, euphorisches Vibrieren, dazu klare narrative Voraussetzungen: Jonathan Cross (Chris Klein) will sich bewegen, Amerika will nicht, dass er sich bewegt. Kurz und gut: Erst einmal alles wie gehabt. Allerdings bereits hier begleitet von stumpfer, denkbar uncooler Rockmusik. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was folgt.
Mit einem Schnitt befördert Mctiernan uns und Chris Klein aus dem Prolog in den Vorspann und nach Kleinasien. Bereits die dem Vorspann unterlegte Montagesequenz, eine wilde, aber ganz und gar nicht chaotische Schnittfolge aus Musikclip, bunten Landkarten und Bildern aus einer zusammengeträumten postsovietischen Nachrichtensendung geben den Tonfall vor, der den Rest des Films bestimmen wird. Die im Prolog erfolgreich simulierte Hochglanzästhetik zeitgenössischer Actionspektakel wird durch eine visionäre Ästhetik irgendwo zwischen warholschem Kunsttrash und Retro-Exploitation - aber beides auf Speed - ersetzt.
Selbstverständlich spielt der Film nicht im realen Kleinasien. Entscheidend ist jedoch, dass er nicht einmal den kleinsten Versuch unternimmt, dem Zuschauer dies glauben zu machen. Verbunden werden die einzelnen Episoden durch die bereits im Vorspann eingeführte Landkarte Kleinasiens, in der die einzelnen Länder sich durch unterschiedliche Farben voneinander unterscheiden. Die Handlung wandert also von einem blauen Fleck zu einem gelben und anschließend zu einem roten. Alle "Länder" sehen gleich aus, besser gesagt sehen sie überhaupt nicht im herkömmlichen Sinne irgendwie aus. Denn die meisten bestehen ohnehin nur aus der ewiggleichen Rollerball-Arena. Und diese wiederum ist ein Nicht-Ort. Establishing Shots dieses wichtigsten Handlungsraumes des Filmes sucht man vergebens, ausnahmslos alle Szenen in der Arena lösen sich auf in einer ultraschnellen Montage, die nie einen festen Betrachterstandpunkt etabliert, die die Grenzen zwischen medialer Inszenierung und "Realität" (doch welchen Wert hat dieser Begriff in Rollerball noch) von Anfang an negiert und immer wieder gezielt untergräbt, zugunsten einer wildgewordenen Attraktionslogik, einem hypnotischen Durcheinander aus grellen Farben (vorzugsweise Rot), Lärm und ungezügelter Bewegung. Die Rollerball-Wettkämpfe finden in einer Umgebung statt, in welcher die Entwicklung einer subjektiven Weltsicht, einer wie auch immer gearteten Perspektive auf die Welt schlichtweg unmöglich ist, weil die Welt immer schon über einen hereinbricht, immer ein, zwei Einstellungen vorauseilt. Eine Welt, die natürlich durchaus etwas über Realitäten erzählt, über den Platz des postsowjetischen Ostblocks im westlichen Unbewussten beispielsweise, oder ganz allgemein über das Verschwinden der großen politischen Projekte, welches durch das absurde Wiederauftauchen eines solchen am Ende des Filmes nur umso greifbarer wird.
Die Gewalt schließlich in McTiernans Film ist denkbar weit entfernt vom Matrix-Ballett oder John Woo-Mystik. Gewalt in Rollerball heißt: Fleisch auf Metall. Oder auch: Fleisch auf billigen Kunststoff. Keine Stilisierung, keine Überhöhung, nichts. Nur eines unter mehreren Elementen in einem schier unendlichen Montagefluss, irgendwo eingelassen zwischen krakeelenden Reportern, Frauenbrüsten und der Kinetik des Rollerball-Spiels (dessen genaue Regeln aus dem Film beim besten Willen nicht ableitbar sind). Alle diese Elemente beharren zuerst einmal auf ihren inhärenten Eigenschaften, verweigern sich einer Verformung zugunsten stilistischer Interessen des Regisseurs oder gar einer psychologisch motivierten Erzählung (letztere gibt es schlicht und einfach nicht, dies wird zwar von einem Großteil des aktuellen Hollywoodkinos behauptet, hier stimmt es aber ausnahmsweise - Gegen Rollerball ist 300 eine differenzierte Charakterstudie). Gewalt ist brutal, Brüste bedeuten Sex (übertragen auf die Narration heißt dies dann konsequenterweise: Rebecca Romijn ist kein Love Interest, sondern ein Fuck Interest), Blut ist Rot. Die Montage (Rollerball ist einer der letzten echten Montagefilme) steigert sich kontinuierlich, ohne sich jedoch jemals in irgendeiner Form genregerecht zu entladen (in einer Explosion, in einem Establishing Shot etc). Die in unsichtbarer Montage aufgelöste narrative Struktur, welche noch den heterogenst zusammengeflicktesten Blockbuster der Bay-Schmiede irgendwie zusammenhält, ist abgeschafft. Dieses Geschehen überzieht McTiernan, sowohl während der Actionsequenzen, als auch in den höchst funktionalen Übergängen, mit neonbunten Lichtreflexen, die einen identifikatorischen Zugriff des Zuschauers auf die profilmische Welt endgültig unmöglich machen.
Man könnte noch viel schreiben, über eine unglaubliche Szene beispielsweise, die in einer Wüste spielt und in welcher McTiernan für fünf Minuten die gesamte Farbpalette auf ein düster schimmerndes grün reduziert und dadurch die Ästhetik des Streifens endgültig dem Experimentalfilm annähert, oder darüber, wie perfekt Chris Klein in der Hauptrolle besetzt ist, wie sich sein Gesicht im Verlaufe des sich zunehmend ins Halluzinierende steigernden Films in ein blutverkrustete Mske verwandelt, die das Konzept des ganzen Films in sich eingeschrieben zu haben scheint.
Doch zum Abschluss nur soviel: Rollerball ist ein Actionfilm für Actionfilmfans und sonst für niemanden (wahrscheinlich erklärt sich so ein Großteil der Kritik an dem Film; fast die einzige positive Reaktion, die ich auftreiben konnte, stammt von Knörer; dessen schönem Text möchte ich nur in einer Hinsicht widersprechen: Rollerball ist tatsächlich ein Meisterwerk). Der Film funktioniert nur, wenn man bereit ist, sich auf die essenziellen Ingredienzen dieses Genres in ihrer Reinform, und auf die Muster, in die McTiernan diese packt, als würde er das Genre neu erfinden, einzulassen. Ist man jedoch dazu bereit, eröffnet sich einer der visionärsten amerikanischen Filme des neuen Jahrtausends, eine grandiose Neukonzeption des Actionfilms, vier Jahre vor Miami Vice.
Wer sich - wie ich - seinerzeit von den fast allseits vernichtenden Kritiken davon abhalten ließ, John McTiernans Rollerball-Remake im Kino zu genießen (diese Möglichkeit wird wohl frühestens im Zuge einer langsam sowieso fälligen McTiernan Kanonisierung wieder gegeben sein), der sollte nicht zögern, dieses rasikale Kleinod des modernen Actionkinos auf DVD nachzuholen.
Vom Prolog in San Francisco bis zur verschrobenen Utopie der Bergarbeiterrevolte, mit der der Film endet, verfolgt der Film ein klares Konzept: Die Zerstörung und gleichzeitige Neuerfindung des Blockbusterkinos bruckheimerscher Prägung. Schon die erste Bewegung des Films verdeutlicht die Konsequenz des gesamten Ansatzes. Die Overture in Amerika, im Land der Freiheit, rasante Kamerafahrten vor weitem Horizont durch sonnenüberflutete Häuserschluchten, ganz nah am Geschehen, somatisch auf den Zuschauer übertragen durch ein fieberhaftes, euphorisches Vibrieren, dazu klare narrative Voraussetzungen: Jonathan Cross (Chris Klein) will sich bewegen, Amerika will nicht, dass er sich bewegt. Kurz und gut: Erst einmal alles wie gehabt. Allerdings bereits hier begleitet von stumpfer, denkbar uncooler Rockmusik. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was folgt.
Mit einem Schnitt befördert Mctiernan uns und Chris Klein aus dem Prolog in den Vorspann und nach Kleinasien. Bereits die dem Vorspann unterlegte Montagesequenz, eine wilde, aber ganz und gar nicht chaotische Schnittfolge aus Musikclip, bunten Landkarten und Bildern aus einer zusammengeträumten postsovietischen Nachrichtensendung geben den Tonfall vor, der den Rest des Films bestimmen wird. Die im Prolog erfolgreich simulierte Hochglanzästhetik zeitgenössischer Actionspektakel wird durch eine visionäre Ästhetik irgendwo zwischen warholschem Kunsttrash und Retro-Exploitation - aber beides auf Speed - ersetzt.
Selbstverständlich spielt der Film nicht im realen Kleinasien. Entscheidend ist jedoch, dass er nicht einmal den kleinsten Versuch unternimmt, dem Zuschauer dies glauben zu machen. Verbunden werden die einzelnen Episoden durch die bereits im Vorspann eingeführte Landkarte Kleinasiens, in der die einzelnen Länder sich durch unterschiedliche Farben voneinander unterscheiden. Die Handlung wandert also von einem blauen Fleck zu einem gelben und anschließend zu einem roten. Alle "Länder" sehen gleich aus, besser gesagt sehen sie überhaupt nicht im herkömmlichen Sinne irgendwie aus. Denn die meisten bestehen ohnehin nur aus der ewiggleichen Rollerball-Arena. Und diese wiederum ist ein Nicht-Ort. Establishing Shots dieses wichtigsten Handlungsraumes des Filmes sucht man vergebens, ausnahmslos alle Szenen in der Arena lösen sich auf in einer ultraschnellen Montage, die nie einen festen Betrachterstandpunkt etabliert, die die Grenzen zwischen medialer Inszenierung und "Realität" (doch welchen Wert hat dieser Begriff in Rollerball noch) von Anfang an negiert und immer wieder gezielt untergräbt, zugunsten einer wildgewordenen Attraktionslogik, einem hypnotischen Durcheinander aus grellen Farben (vorzugsweise Rot), Lärm und ungezügelter Bewegung. Die Rollerball-Wettkämpfe finden in einer Umgebung statt, in welcher die Entwicklung einer subjektiven Weltsicht, einer wie auch immer gearteten Perspektive auf die Welt schlichtweg unmöglich ist, weil die Welt immer schon über einen hereinbricht, immer ein, zwei Einstellungen vorauseilt. Eine Welt, die natürlich durchaus etwas über Realitäten erzählt, über den Platz des postsowjetischen Ostblocks im westlichen Unbewussten beispielsweise, oder ganz allgemein über das Verschwinden der großen politischen Projekte, welches durch das absurde Wiederauftauchen eines solchen am Ende des Filmes nur umso greifbarer wird.
Die Gewalt schließlich in McTiernans Film ist denkbar weit entfernt vom Matrix-Ballett oder John Woo-Mystik. Gewalt in Rollerball heißt: Fleisch auf Metall. Oder auch: Fleisch auf billigen Kunststoff. Keine Stilisierung, keine Überhöhung, nichts. Nur eines unter mehreren Elementen in einem schier unendlichen Montagefluss, irgendwo eingelassen zwischen krakeelenden Reportern, Frauenbrüsten und der Kinetik des Rollerball-Spiels (dessen genaue Regeln aus dem Film beim besten Willen nicht ableitbar sind). Alle diese Elemente beharren zuerst einmal auf ihren inhärenten Eigenschaften, verweigern sich einer Verformung zugunsten stilistischer Interessen des Regisseurs oder gar einer psychologisch motivierten Erzählung (letztere gibt es schlicht und einfach nicht, dies wird zwar von einem Großteil des aktuellen Hollywoodkinos behauptet, hier stimmt es aber ausnahmsweise - Gegen Rollerball ist 300 eine differenzierte Charakterstudie). Gewalt ist brutal, Brüste bedeuten Sex (übertragen auf die Narration heißt dies dann konsequenterweise: Rebecca Romijn ist kein Love Interest, sondern ein Fuck Interest), Blut ist Rot. Die Montage (Rollerball ist einer der letzten echten Montagefilme) steigert sich kontinuierlich, ohne sich jedoch jemals in irgendeiner Form genregerecht zu entladen (in einer Explosion, in einem Establishing Shot etc). Die in unsichtbarer Montage aufgelöste narrative Struktur, welche noch den heterogenst zusammengeflicktesten Blockbuster der Bay-Schmiede irgendwie zusammenhält, ist abgeschafft. Dieses Geschehen überzieht McTiernan, sowohl während der Actionsequenzen, als auch in den höchst funktionalen Übergängen, mit neonbunten Lichtreflexen, die einen identifikatorischen Zugriff des Zuschauers auf die profilmische Welt endgültig unmöglich machen.
Man könnte noch viel schreiben, über eine unglaubliche Szene beispielsweise, die in einer Wüste spielt und in welcher McTiernan für fünf Minuten die gesamte Farbpalette auf ein düster schimmerndes grün reduziert und dadurch die Ästhetik des Streifens endgültig dem Experimentalfilm annähert, oder darüber, wie perfekt Chris Klein in der Hauptrolle besetzt ist, wie sich sein Gesicht im Verlaufe des sich zunehmend ins Halluzinierende steigernden Films in ein blutverkrustete Mske verwandelt, die das Konzept des ganzen Films in sich eingeschrieben zu haben scheint.
Doch zum Abschluss nur soviel: Rollerball ist ein Actionfilm für Actionfilmfans und sonst für niemanden (wahrscheinlich erklärt sich so ein Großteil der Kritik an dem Film; fast die einzige positive Reaktion, die ich auftreiben konnte, stammt von Knörer; dessen schönem Text möchte ich nur in einer Hinsicht widersprechen: Rollerball ist tatsächlich ein Meisterwerk). Der Film funktioniert nur, wenn man bereit ist, sich auf die essenziellen Ingredienzen dieses Genres in ihrer Reinform, und auf die Muster, in die McTiernan diese packt, als würde er das Genre neu erfinden, einzulassen. Ist man jedoch dazu bereit, eröffnet sich einer der visionärsten amerikanischen Filme des neuen Jahrtausends, eine grandiose Neukonzeption des Actionfilms, vier Jahre vor Miami Vice.
Labels:
Action,
McTiernan,
Rebecca Romijn,
Rollerball,
Science Fiction,
Sport,
Trash,
USA
Saturday, April 07, 2007
"The Shield": Einige Notizen zur ersten Staffel
Man kann einen korrupten Polizisten zeigen, aber kein korruptes Polizeirevier.
Falls dies immer noch gilt, führt "The Shield" diese Regel bis an ihren äußersten Rand. Vielleicht zeigt "The Shield" ein Polizeirevier, das zwar fast ausschließlich mit korrupten oder semi-korrupten Polizisten besetzt ist, welches aber insgesamt, aufgrund sich punktuell überschneidender Interessen - oder letztlich doch dem guten Kern, der immer wieder durchschimmert? - insgesamt doch tendenziell nicht korrupt ist. Vielleicht ersetzt "The Shield" jedoch auch einfach "korrupt" durch "rassistisch". Denn die eigentlichen Konflikte innerhalb wie außerhalb des Reviers brechen immer wieder entlang der ethnischen Grenzlinien auf. Und hier ist "The Shield" denn auch deutlich vorsichtiger. Schließlich ist das Szenario alleine brisant genug. Die Mehrzahl der Einwohner LAs stammt aus Lateinamerika, im Polizeirevier der Serie jedoch findet sich nur ein Hispanic. Der jedoch ist der Chef, auch wenn einige vermuten, dass er diesen Posten nur aufgrund seiner Herkunft erhalten hat. Der richtige Mann am richtigen Platz eben. Das fieße an der Sache: Der Mann benimmt sich wirklich während einem Großteil der Serie wie ein karrieregeiles Arschloch. Aber trotzdem ein guter Polizist. Immer wieder fällt "The Shield" dem Zuschauer in dieser Weise in den Rücken: Vorurteile werden auf eine Weise bestätigt, wie man es gerade nicht erwarten und anschließend klammheimlich subvertiert.
Besonders großartig ist, wie die Serie mit dem urbanen Raum umgeht. "The Shield" unternimmt gar nicht erst den hoffnungslosen Versuch, das riesengroße Los Angeles so zu erschließen, dass dem Zuschauer ein kartografisches Wissen über die Metropole simuliert wird. Statt dessen werden einzelne, herausgehobene Örtlichkeiten emblematisch eingesetzt, die Transfers von einem zum anderen Ort bleiben meist vollkommen ausgeblendet. Die Serie versucht nicht, Los Angeles zu erschließen, sondern anhand einiger weniger Parameter, mit einer erstaunlich geringen Menge sozialer und kultureller Zeichen, neu zu erschaffen. Dass dies gelingt, liegt nicht zuletzt daran, dass der Flucht- und Angelpunkt jeder Folge, ja beinahe jeder Szene, stets das Polizeirevier selbst ist. Und in diesem Mikrokosmos hat jeder seinen fest zugewiesenen Platz (oder eben nicht, wie der Neuankömmling Julien, der nicht nur mit seiner sexuellen Orientierung zu kämpfen hat, sondern auch mit der Tatsache, dass er oft genug innerhalb des Reviers hin und her irren muss, ohne eine sichere Basis). Dutch und Claudette beispielsweise sitzen stets in der Mitte des Erdgeschosses, ihre Schreibtische sind von überall einsehbar und so kann jeder sie für seine Zwecke einspannen. Das Strike Team dagegen sitzt in einem Nebenraum, abgeschirmt von allen anderen, eingerichtet, passend zu den Insassen, wie ein prolliger Hobbykeller. Über allen der Chef. Oft steht er auf einer Art Galerie und blickt auf das Geschehen herab.
Nicht unähnlich ist er in diesen Momenten dem Bösewicht Swearengen aus "Deadwood", der über seinen Saloon eine ähnliche soziale Kontrolle ausübt, deren wichtigstzes Element der Blick ist. Allerdings ist der eigentliche Swearengen in "The Shield" nicht der Chef, sondern Vic Mackey. Anders als sein Western-Pendant spielt Vic allerdings in "The Shield" die Hauptrolle, hier findet sich kein Pro-Forma Helden, der als sein Gegenspieler agiert. Vics Rolle ist noch deutlich komplexer angelegt als die von Swearengen und zeigt ebenfalls typische "TheShield" Attribute. Ausgerechnet der korrupte und hoffnungslos brutale Vic hat ein behindertes Kind und kümmert sich aufopfernd um eine drogensüchtige Prostituierte...
Dem vorischtigen Umgang mit dem urbanen Raum steht eine entfesselte Montage gegenüber, die in einem Schritt ganze Ermittlungsschritte überspringt, die in herkömmlichen Copserien Schritt für Schritt ausformuliert werden. Verdächtiger gibt Hinweis auf anderen Verdächtigen / Schnitt / Strike Team dringt in dessen Wohnung ein / Schnitt / Neuer Verdächtiger wird verhört (beziehungsweise zusammengeschlagen). Manchmal wird sogar der mittlere Abschnitt ausgelassen, die Handlung beschränkt sich auf das Revier, die Jagd auf die Verdächtigen verschwindet in einem Schnitt. Ganze Tage und Wochen können in einem Schnitt verschwinden. Ob sich die Parallelhandlungen, die die Serie präsentiert auch nur in einer einzelnen Folge (geschweige denn über den Verlauf der ganzen Staffel) in ein kohärentes Zeitgefüge einordnen lassen, lässt sich nach einmaligem Ansehen unmöglich feststellen. "The Shield" ist so verdammt schnell und stylish, dass gerade die temporale Modulation und Manipulation des Geschehens zunehmend unsichtbar - und in jedem Fall tendenziell unwichtig - wird. Die Einheit von Zeit und Raum wird sukzessive aufgegeben zugunsten einer Erzähllogik, die sich vor allem auf einzelne Figurenpattern und die ihnen zugewiesenen Räumlichkeiten verlässt (ohne die Zusammenhänge zwischen denselben immer explizit zu machen.
Nicht alle Folgen sind gleich gut, das liegt in der Natur eines Produktionssystems, in welchem fast mit jeder Folge Regisseur und Drehbuchautor wechseln. Nicht immer, aber häufig sind die Folgen etwas schwächer, die die Binnenlogik der einzelnen Episode zugunsten der Muster aufgeben, die die Staffel als Ganzes durchziehen. "The Shield" besitzt, im Gegensatz zu dem noch großartigeren Masterpiece "The Wire", den Anspruch, in seinen einzelnen Abschnitte auch ohne den Gesamtzusammenhang konsumierbar zu sein. Deshalb verfügt jede Episode über eine in sich halbwegs geschlossene Binnenstruktur. Meist funktioniert dies ausgezeichnet, doch immer wenn diese Binnenstruktur Überhand zu gewinnen droht, sehen sich die Autoren gezwungen, die einzelnen Handlungsstränge enger zu fassen, deren Schnittpunkte zu betonen und dadurch auch die entfesselten Raum / Zeit Logik wieder ein wenig in ihre Schranken zu weisen.
Falls dies immer noch gilt, führt "The Shield" diese Regel bis an ihren äußersten Rand. Vielleicht zeigt "The Shield" ein Polizeirevier, das zwar fast ausschließlich mit korrupten oder semi-korrupten Polizisten besetzt ist, welches aber insgesamt, aufgrund sich punktuell überschneidender Interessen - oder letztlich doch dem guten Kern, der immer wieder durchschimmert? - insgesamt doch tendenziell nicht korrupt ist. Vielleicht ersetzt "The Shield" jedoch auch einfach "korrupt" durch "rassistisch". Denn die eigentlichen Konflikte innerhalb wie außerhalb des Reviers brechen immer wieder entlang der ethnischen Grenzlinien auf. Und hier ist "The Shield" denn auch deutlich vorsichtiger. Schließlich ist das Szenario alleine brisant genug. Die Mehrzahl der Einwohner LAs stammt aus Lateinamerika, im Polizeirevier der Serie jedoch findet sich nur ein Hispanic. Der jedoch ist der Chef, auch wenn einige vermuten, dass er diesen Posten nur aufgrund seiner Herkunft erhalten hat. Der richtige Mann am richtigen Platz eben. Das fieße an der Sache: Der Mann benimmt sich wirklich während einem Großteil der Serie wie ein karrieregeiles Arschloch. Aber trotzdem ein guter Polizist. Immer wieder fällt "The Shield" dem Zuschauer in dieser Weise in den Rücken: Vorurteile werden auf eine Weise bestätigt, wie man es gerade nicht erwarten und anschließend klammheimlich subvertiert.
Besonders großartig ist, wie die Serie mit dem urbanen Raum umgeht. "The Shield" unternimmt gar nicht erst den hoffnungslosen Versuch, das riesengroße Los Angeles so zu erschließen, dass dem Zuschauer ein kartografisches Wissen über die Metropole simuliert wird. Statt dessen werden einzelne, herausgehobene Örtlichkeiten emblematisch eingesetzt, die Transfers von einem zum anderen Ort bleiben meist vollkommen ausgeblendet. Die Serie versucht nicht, Los Angeles zu erschließen, sondern anhand einiger weniger Parameter, mit einer erstaunlich geringen Menge sozialer und kultureller Zeichen, neu zu erschaffen. Dass dies gelingt, liegt nicht zuletzt daran, dass der Flucht- und Angelpunkt jeder Folge, ja beinahe jeder Szene, stets das Polizeirevier selbst ist. Und in diesem Mikrokosmos hat jeder seinen fest zugewiesenen Platz (oder eben nicht, wie der Neuankömmling Julien, der nicht nur mit seiner sexuellen Orientierung zu kämpfen hat, sondern auch mit der Tatsache, dass er oft genug innerhalb des Reviers hin und her irren muss, ohne eine sichere Basis). Dutch und Claudette beispielsweise sitzen stets in der Mitte des Erdgeschosses, ihre Schreibtische sind von überall einsehbar und so kann jeder sie für seine Zwecke einspannen. Das Strike Team dagegen sitzt in einem Nebenraum, abgeschirmt von allen anderen, eingerichtet, passend zu den Insassen, wie ein prolliger Hobbykeller. Über allen der Chef. Oft steht er auf einer Art Galerie und blickt auf das Geschehen herab.
Nicht unähnlich ist er in diesen Momenten dem Bösewicht Swearengen aus "Deadwood", der über seinen Saloon eine ähnliche soziale Kontrolle ausübt, deren wichtigstzes Element der Blick ist. Allerdings ist der eigentliche Swearengen in "The Shield" nicht der Chef, sondern Vic Mackey. Anders als sein Western-Pendant spielt Vic allerdings in "The Shield" die Hauptrolle, hier findet sich kein Pro-Forma Helden, der als sein Gegenspieler agiert. Vics Rolle ist noch deutlich komplexer angelegt als die von Swearengen und zeigt ebenfalls typische "TheShield" Attribute. Ausgerechnet der korrupte und hoffnungslos brutale Vic hat ein behindertes Kind und kümmert sich aufopfernd um eine drogensüchtige Prostituierte...
Dem vorischtigen Umgang mit dem urbanen Raum steht eine entfesselte Montage gegenüber, die in einem Schritt ganze Ermittlungsschritte überspringt, die in herkömmlichen Copserien Schritt für Schritt ausformuliert werden. Verdächtiger gibt Hinweis auf anderen Verdächtigen / Schnitt / Strike Team dringt in dessen Wohnung ein / Schnitt / Neuer Verdächtiger wird verhört (beziehungsweise zusammengeschlagen). Manchmal wird sogar der mittlere Abschnitt ausgelassen, die Handlung beschränkt sich auf das Revier, die Jagd auf die Verdächtigen verschwindet in einem Schnitt. Ganze Tage und Wochen können in einem Schnitt verschwinden. Ob sich die Parallelhandlungen, die die Serie präsentiert auch nur in einer einzelnen Folge (geschweige denn über den Verlauf der ganzen Staffel) in ein kohärentes Zeitgefüge einordnen lassen, lässt sich nach einmaligem Ansehen unmöglich feststellen. "The Shield" ist so verdammt schnell und stylish, dass gerade die temporale Modulation und Manipulation des Geschehens zunehmend unsichtbar - und in jedem Fall tendenziell unwichtig - wird. Die Einheit von Zeit und Raum wird sukzessive aufgegeben zugunsten einer Erzähllogik, die sich vor allem auf einzelne Figurenpattern und die ihnen zugewiesenen Räumlichkeiten verlässt (ohne die Zusammenhänge zwischen denselben immer explizit zu machen.
Nicht alle Folgen sind gleich gut, das liegt in der Natur eines Produktionssystems, in welchem fast mit jeder Folge Regisseur und Drehbuchautor wechseln. Nicht immer, aber häufig sind die Folgen etwas schwächer, die die Binnenlogik der einzelnen Episode zugunsten der Muster aufgeben, die die Staffel als Ganzes durchziehen. "The Shield" besitzt, im Gegensatz zu dem noch großartigeren Masterpiece "The Wire", den Anspruch, in seinen einzelnen Abschnitte auch ohne den Gesamtzusammenhang konsumierbar zu sein. Deshalb verfügt jede Episode über eine in sich halbwegs geschlossene Binnenstruktur. Meist funktioniert dies ausgezeichnet, doch immer wenn diese Binnenstruktur Überhand zu gewinnen droht, sehen sich die Autoren gezwungen, die einzelnen Handlungsstränge enger zu fassen, deren Schnittpunkte zu betonen und dadurch auch die entfesselten Raum / Zeit Logik wieder ein wenig in ihre Schranken zu weisen.
Labels:
digitales Kino,
Moral,
Polizeifilm,
Quality TV,
The Shield,
USA,
Vic Mackey
Thursday, April 05, 2007
Umut, Yilmaz Güney, 1970
Ein weiteres Meisterwerk Yilmaz Güneys, dem Vernehmen nach sein erstes und gleichzeitig sein Abschied vom Genrekino.
Umut beginnt im Stil eines verschärften Neorealismus. Der naheliegendste Vergleich ist De Sicas Fahraddiebe, allerdings spielt Güneys Werk nicht zwischen römischen Bürgerhäusern, sondern in der türkischen Peripherie, nahe der syrischen Grenze in einer Szenerie, in der die Weite beengt, weil sie darauf verweist, dass selbst diejenigen, die es zu etwas bringen, keine großen Häuser bauen, oder sich sonst in irgend einer Weise um die Stadt, wenigstens in architektonischer Hinsicht, bemühen.
Der Kutscher Cabbar, gespielt von Güney selbst, scheint mit seiner vielköpfigen Familie an einem Ort zu leben, der vieles ist, aber kein Haus imeigentlichen Sinne. In gewisser Weise erinnert das - immer tendenziell etwas zu weitläufige - Durcheinander aus Mauerresten, Wäscheleinen und Straßenschrott, in dem er und die seinen leben, an die Hirtenunterkünfte im acht Jahre später entstandenen Sürü (oder auch an die Unterkunft der Bekannten der Hirten in Ankara im letzten Drittel dieses Films, einer zwar bewohnten, aber nicht zu eigen gemachten, unmöblierten und verdreckten Etage in einer designierten Luxuswohnung, die bald den eigentlichen Besitzern übergeben werden wird). Güneys Protagonisten scheitern bei ihren Versuchen, in die bürgerliche Gesellschaftsordnung einzusteigen, bereits an einer derer elementarsten Voraussetzungen, dem Bewohnen eines Hauses. Nur zwangsläufig sind in den 80er Jahren die Helden seiner letzten beiden Filme Gefängnisinsassen. In Duvar findet sich schließlich das andere Extrem: Das Haus des Gefängnisses verwandelt sich in einen Mikrokosmosxder buchstäblich kein Aussen mehr kennt, aber auch in das bürgerliche Hau per se, in welchem Mann, Frau und Kind punktgenau beschränkte Räume zugeteilt sind.
Neben dem Setting ist es im ersten Filmabschnitt vor allem ein formales Merkmal, welches die Filme von den unterschiedlichsten Neorealismen abhebt. Die bestimmende Kameraperspektive (zwar nicht die häufigste, aber doch die akzentuierteste) ist die Aufsicht. Immer wieder verlässt Güney die perspektivische Wahrnehmung der Normalsicht und wechselt in eine deutlich erhöhte Position. Dies ist nicht die kontrollierende, einschreibende Kamera Kubricks, auch wenn sie mit dieser möglicherweise zumindest insoweit verwandt ist, als das ihre unmittelbare Wirkung reichlich deprimierend erscheinen kann. Statt dessen ist es eine Kamera, die sich zu allererst für Laufwege, Verbindungen und Interaktionen interessiert. Der Kamerastandpunkt ist nie so hoch, dass die Personen von der Umgebung erdrückt werden, wohl aber hoch genug, dass die Figuren, allen voran Cabbar, nicht mehr als autonom handelnde erscheinen können, sondern nur noch als Teil eines Netzwerkes, aus dem sie aus eigenem Antrieb keinen Ausweg zu finden in der Lage sind. So erinnert diese Kamera stärker an Sembenes Moolaade und auch, wenn Umut auf den ersten Blick dessen Didaktik nicht zu teilen, ja durch die konsequente Ignoranz ausnahmslos aller Protagonisten fast zurückzuweisen scheint, wird schemenhaft ein politisches Projekt deutlich, das in Sürü einige Jahre später etwas deutlicher zu Tage treten wird (jedoch auch dort ohne Hoffnung auf baldige Durchführung).
Überhaupt ist der Film letztlich näher am dritten Kino Sembenes oder Rochas als an europäischen Kunstkinotraditionen welcher Art auch immer. Deutlich wird dies vor allem in der zweiten Filmhälfte, einer halluzinatorischen Reise ins Nichts, in ein Land voller vertrockneter Bäume, zwischen denen irgendwo ein Schatz vergraben soll. Dre Menschen in der Wüste, drei Menschen, die langsam den Verstand verlieren und im Niemandsland an einer Flussbiegung verzweifelt versuchen, nicht nur ihren eigenen Lebensumständen, sondern auch ihrem Sensorium zu entkommen. Spätestens hier wird Umut zu einem kraftvollen, visionären Meisterwerk, zu einem Werk voller ungestümer und zu großen Teilen noch unkanalisierter Energie.
Und ja, auch Umut ist ein Film, der gesehen werden muss. Und auch den gibt es im Videodrom.
Umut beginnt im Stil eines verschärften Neorealismus. Der naheliegendste Vergleich ist De Sicas Fahraddiebe, allerdings spielt Güneys Werk nicht zwischen römischen Bürgerhäusern, sondern in der türkischen Peripherie, nahe der syrischen Grenze in einer Szenerie, in der die Weite beengt, weil sie darauf verweist, dass selbst diejenigen, die es zu etwas bringen, keine großen Häuser bauen, oder sich sonst in irgend einer Weise um die Stadt, wenigstens in architektonischer Hinsicht, bemühen.
Der Kutscher Cabbar, gespielt von Güney selbst, scheint mit seiner vielköpfigen Familie an einem Ort zu leben, der vieles ist, aber kein Haus imeigentlichen Sinne. In gewisser Weise erinnert das - immer tendenziell etwas zu weitläufige - Durcheinander aus Mauerresten, Wäscheleinen und Straßenschrott, in dem er und die seinen leben, an die Hirtenunterkünfte im acht Jahre später entstandenen Sürü (oder auch an die Unterkunft der Bekannten der Hirten in Ankara im letzten Drittel dieses Films, einer zwar bewohnten, aber nicht zu eigen gemachten, unmöblierten und verdreckten Etage in einer designierten Luxuswohnung, die bald den eigentlichen Besitzern übergeben werden wird). Güneys Protagonisten scheitern bei ihren Versuchen, in die bürgerliche Gesellschaftsordnung einzusteigen, bereits an einer derer elementarsten Voraussetzungen, dem Bewohnen eines Hauses. Nur zwangsläufig sind in den 80er Jahren die Helden seiner letzten beiden Filme Gefängnisinsassen. In Duvar findet sich schließlich das andere Extrem: Das Haus des Gefängnisses verwandelt sich in einen Mikrokosmosxder buchstäblich kein Aussen mehr kennt, aber auch in das bürgerliche Hau per se, in welchem Mann, Frau und Kind punktgenau beschränkte Räume zugeteilt sind.
Neben dem Setting ist es im ersten Filmabschnitt vor allem ein formales Merkmal, welches die Filme von den unterschiedlichsten Neorealismen abhebt. Die bestimmende Kameraperspektive (zwar nicht die häufigste, aber doch die akzentuierteste) ist die Aufsicht. Immer wieder verlässt Güney die perspektivische Wahrnehmung der Normalsicht und wechselt in eine deutlich erhöhte Position. Dies ist nicht die kontrollierende, einschreibende Kamera Kubricks, auch wenn sie mit dieser möglicherweise zumindest insoweit verwandt ist, als das ihre unmittelbare Wirkung reichlich deprimierend erscheinen kann. Statt dessen ist es eine Kamera, die sich zu allererst für Laufwege, Verbindungen und Interaktionen interessiert. Der Kamerastandpunkt ist nie so hoch, dass die Personen von der Umgebung erdrückt werden, wohl aber hoch genug, dass die Figuren, allen voran Cabbar, nicht mehr als autonom handelnde erscheinen können, sondern nur noch als Teil eines Netzwerkes, aus dem sie aus eigenem Antrieb keinen Ausweg zu finden in der Lage sind. So erinnert diese Kamera stärker an Sembenes Moolaade und auch, wenn Umut auf den ersten Blick dessen Didaktik nicht zu teilen, ja durch die konsequente Ignoranz ausnahmslos aller Protagonisten fast zurückzuweisen scheint, wird schemenhaft ein politisches Projekt deutlich, das in Sürü einige Jahre später etwas deutlicher zu Tage treten wird (jedoch auch dort ohne Hoffnung auf baldige Durchführung).
Überhaupt ist der Film letztlich näher am dritten Kino Sembenes oder Rochas als an europäischen Kunstkinotraditionen welcher Art auch immer. Deutlich wird dies vor allem in der zweiten Filmhälfte, einer halluzinatorischen Reise ins Nichts, in ein Land voller vertrockneter Bäume, zwischen denen irgendwo ein Schatz vergraben soll. Dre Menschen in der Wüste, drei Menschen, die langsam den Verstand verlieren und im Niemandsland an einer Flussbiegung verzweifelt versuchen, nicht nur ihren eigenen Lebensumständen, sondern auch ihrem Sensorium zu entkommen. Spätestens hier wird Umut zu einem kraftvollen, visionären Meisterwerk, zu einem Werk voller ungestümer und zu großen Teilen noch unkanalisierter Energie.
Und ja, auch Umut ist ein Film, der gesehen werden muss. Und auch den gibt es im Videodrom.
Labels:
De Sica,
Güney,
Ladri di biciclette,
Moolade,
Neorealismus,
politisches Kino,
Sembene,
Third Cinema,
Türkei,
Umut
Subscribe to:
Posts (Atom)