"I can see out, they can't see in", sagt Pete (Darrel Larson) zu Betty (Debra Winger), als er sie in ihrem eigenen Haus anfällt, in einem letzten, verzweifelten Versuch, sein Leben zu retten. Man kann das lesen als eine verzweifelte, paranoide Anrufung des Kinodispositivs - in seiner Cavell'schen Theoretisierung, als automatische Weltprojektion, der Projektion einer "world past" genauer gesagt, von der der Zuschauer aufgrund seiner nichthintergehbaren Nachzeitigkeit zwingend abwesend ist.
Die ganze Szene, die dann, kurz vor Schluss des Films, folgt, fühlt sich an wie ein unmöglicher Blick in das Innere, auf einen sonst verborgenen Ursprung des Kinos. Ein Flackern, eine Illumination unklarer Herkunft - eigentlich löscht Pete das Licht gleich zu Beginn - liegt über den Gesichtern der beiden, die in einer schauspielerischen tour de force all die Affekte ausagieren, die im restlichen Film höchstens als gedämpfte, ironische Nachbilder ihrer selbst verfügbar zu sein scheinen. Nur ganz im Inneren der Hell-Dunkel-Kammer des Kinos scheint es einen direkten Draht zum psychischen System zu geben - und nur zum Preis eines noch grundsätzlicheren Weltausschlusses. Zu der Szene gehört auch das an ihr grundlegend Pathologische: Natürlich geht es für Pete nicht mehr um jenen erkenntnistheoretischen Skeptizismus, für den Cavell das Kino verehrt und der gerade die erzwungene Passivität des Zuschauers als eine Voraussetzung für einen "postskeptischen" Welt- und Selbstbezug erscheinen lässt; für Pete ist das Kinodispositiv degeneriert zu einer psychotischen Maschine der Einschließung - nicht "of the world", sondern "against the world".
Nebenbei: „I can see out, they can't
see in“ - das könnte man auch verstehen als die Imagination eines
Kontrollblicks aus dem dunklen Turm im Zentrum des Foucault /
Bentham'schen Panopticons (einer bösartrgen Zerrfigur der
Cavell'schen Theorie). Allerdings hat sich auch diese Anordnung
gründlich verschoben: Um das „I can see out“ geht es schon gar
nicht mehr, das ist nur noch Rhetorik – der Überwachungsblick hat
sich längst dezentralisiert, ist diffundiert in eine amorphe Sphäre
des Visuellen, die keine Differenzen und Hierarchien mehr ins
Sichtbare einziehen muss, weil ihre Herrschaft von Anfang an eine totale ist. An den Ort des klassischen, voyeuristischen
Kontrollblicks flüchtet Pete nicht, weil er selbst noch die
Kontrolle zu erlangen können gaubt, sondern aufgrund des zweiten
Teils der Bestimmung: „they can't see in“.
Wie sich diese beiden theoretischen
Linien zueinander verhalten, ist schwer zu bestimmen. Vielleicht
könnte man sagen: Betty, die sich ebenfalls stets, aber eher auf
eine entspannte Weise, von der Welt distanziert, die sich
fast ausschließlich in Innenräumen aufhält und die angezgogen wird
von Aus-der-Zeit-Gefallenem (von Mike zum Beispiel) ist noch ein
Kinowesen im Cavell'schen Sinne, das zurecht erschrickt, wenn ihr
eigenes Weltverhältnis für Pete und andere Männer, auf die sie
trifft (den voyeuristischen Fotografen zum Beispiel, der sie und Mike
beim Tennisspiel fotografiert hat), zum Foucault'schen
Blickterrorregime degeneriert. Die Cavell-Perspektive bleibt
allerdings mindestens für diesen Film auch insgesamt interessanter
als die Foucault-Perspektive, schon, weil sie von der spezifischen
(Nach-)Zeit(l)ich/gkeit des Kinos ausgeht; die in Mike's Murder in
Konflikt gerät mit einer anderen Zeitlogik, die keine Differenz mehr
aushält.
Das Regime der Synchronisation, der
Gleichzeitigkeit lauert bereits hinter jeder Ecke: Fernsehen, Video,
als Scharnier das Polaroid - und als Schmiermittel Kokain.
Unmittelbar vor der Szene mit Pete und Betty, die das Kinodispositiv
noch einmal, aber eben als pervertiertes aufruft, besucht Betty mit
einer Freundin eine Vernissage-Party aus dem
Medien/Video/Konzeptkunstbereich. Deren spezifischen Oberflächen
sind rückblickend ausgesprochen dated und deshalb wieder
historisierbar, innerhalb des Bridges-Films jedoch stehen sie für
eine totale Durchdringung und ahistorische Verschließung, auch für die
narzisstischen Zirkelschlüsse (der Bildschirm, der nur noch eine
Verdopplung des Selbst ist) einer sich an der Immanenz berauschenden
Welt. Der monochromen Flächigkeit dieser Partyszene entspricht auch
das zappelige Herumalbern vor Videokameras einiger männlicher
Prostituierten, in dem die Intimität des Kinos zugunsten eines
Exhibitionismus verschwindet, der gar nicht mehr auf einen
spezifischen Voyeur angewiesen ist.
Mike's Murder ist ein Film, der im
Regime der Gleichzeitigkeit von Nachzeitigkeiten heimgesucht wird.
Die besondere Intensität der Verschränkung beider Zeitlogiken
entspringt der Produktionsgeschichte: James Bridges wollte seinen
Neo-Noir erst, ungefähr im Stil von Nolans Memento vermutlich,
nonlinear vom Ende zum Anfang erzählen. Die Studiobosse waren nicht
erfreut über das Ergebnis (die erste Schnittfassung ist bis heute
absolut unzugänglich und existiert möglicherweise überhaupt nicht
mehr), Bridges musste den Film umschneiden; wobei er vermutlich nicht
einfach nur der Zeitstrahl „begradigte“, sondern noch einige
weitere Änderungen vornahm (unter anderem wurde der Soundtrack
komplett ausgetauscht). In die release-Fassung trägt sich diese
Umfaltung nur in kleinen Irritationen ein, die den Film jedoch umso
nachhaltiger destabilisieren.
Verschärft werden die Irritationen,
weil im Film Nachzeitigkeit auch thematisch ist; schon strukturell
geht es in allen Detektivgeschichten um die temporale Kluft zwischen
Tat und Aufklärung, die durch Rekonstruktion und logische
Beweisführung überwunden werden muss. In Mike's Murder wird die
Form traumatisch über-, eigentlich verformt: Betty sucht gar nicht
so unbedingt nach dem Mörder ihres Lovers Mike, vermutlich weiß sie
von Anfang an, dass sie sich da auf etwas einlassen würde, was sie
nicht zuende führen könnte. Eher bewegt sie sich halbwillkürlich, wie automatisiert
entlang jener Wege durch Los Angeles, die Mike vor ihr gegangen war –
seinem Unglück entgegen. Diese beiden Passagen durch LA waren
ursprünglich vermutlich so angelegt, dass die der ursprünglichen
filmischen Zeit gemäß erste (also die Bettys) Rätsel aufgeben
sollte, die dann von der zweiten (also der Mikes) gelöst werden:
ach, deshalb also interessiert sie sich für diesen Nachtclubeingang,
deswegen hat sie vorher so lange auf diese Villenzufahrt gestarrt.
In der release-Version fällt der
Rätseleffekt weg; umso eindringlicher bewusst wird die
unwiderbringliche Nachzeitigkeit, von der Bettys Blick auf den
Nachtclubeingang, auf die Villenzufahrt infiziert worden sind: der,
der vorher noch in objektiv, unbefangen anmutenden Einstellungen
dieselben Orte durchquerte, ist gestorben – und irgendwie hat sich
damit jede Form von Präsenzeffekt als Lüge demaskiert. Mehr als
alles andere weisen diese Blicke Betty als ein Wesen des Kinos aus. Paradoxerweise ist time erst, nachdem sie in die vermeintliche Linearität zurückgefaltet ist, wirklich out of joint.
Die Frage ist dann nur, ob Betty ein Kinowesen bleiben kann. Die Schlussszene der release-Fassung wäre im zur Zeit nur hypothetisch existierenden director's cut die Anfangsszene und dann so lesbar, dass in ein harmonisches Setting (das noch nicht verstimmte Klavier, die warme kalifornische Sonne, der amüsiert genervte Tonfall beim Telefongespräch mit den besorgten Eltern) die Fotografie Mikes, der in diesem Fall zu Filmbeginn bereits / noch tot ist, als destabilisierendes Moment einbricht - auch, weil das Fotogramm schon qua seiner Medialität eine andere Zeitlichkeit in den Film einträgt, eine Vergangenheit, die dann im Film zur Zukunft geworden wäre.
Zumindest, was diese letzte = erste Szene angeht, scheint die neue Montage einen Unterschied ums Ganze zu machen. Denn das Verhältnis des Fotos zum Rest der Anordnung hat sich gedreht: Nicht mehr das Foto wirkt auf die Gesamtszene (nämlich: verunsichernd), sondern die sonderbare Harmonie der Gesamtszene aufs Foto: Man muss sich fragen, ob das Foto unter solchen Umständen und nach all den Dingen, die der Film vorher durchgearbeitet hat, überhaupt noch das Potential birgt, eine Differenz in die südkalifornische Gegenwartswelt, die von allen Seiten von den Agenten der Selbstidentität umringt scheint, einzutragen. Die Vermutung liegt nahe, dass in einer solchen Welt eine Fotografie höchstens noch als ein Tapetenmuster unter vielen taugt. Doch zynisch ist das Ende nicht; eher formuliert es eine offene Frage da, wo in der ersten Schnittfassung doch vor allem Ursache-Wirkungs-Verkettungen in Gang gesetzt wurden.
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Wer in
Mike's Murder stirbt, verliert nicht einfach nur sein Leben, er wird regelrecht ausgelöscht. Die Morde geschehen offscreen, Mike selbst löst sich in actionpaintingartige Blutflecken an der Wand auf, Terry wird aus der Tür und dem Film hinaus gezerrt, nach dem Erstickungstod sieht man seinen Leichnam noch einmal kurz, das Gesicht wie nach Innen gefaltet. Nichts, so scheint es, darf vom alten Regime des Kinos übrigbleiben, nicht einmal und vielleicht erst recht nicht eine Leiche, nichts, was den Tod anzeigt, der in der Mortalitätsmaschine Kino immer mitgedacht wurde.