Friday, December 22, 2017

The Crazies, George A. Romero, 1973

There are just two possible outcomes to the infection: death or eternal craziness. The only problem is that among all the people dying in the film, almost no one dies from the disease. And literally everyone is acting crazy, one way or another. But of course, the harder it becomes to demarcate, the bigger the need for demarcation grows. Both the ad hoc police state and the quickly thrown together rebel group are completely compromised from the start, and each new in-group friction feeds into the systematically escalating conflict.

As much as I enjoy Romero's zombie imagery in the Dead films, its very absence, in combination with the vagueness and almost invisibility of the menace, makes The Crazies into Romero's most radical film.

Even more than usual in early Romero, the barebones production budget works towards the films advantage: from the beginning the film renounces convernional world building in favor of a series of claustophobic, highly effective chamber dramas.

The Crazies feels like something quickly assembled from hand-drawn sketches and cardboard boxes. At the same time it is a masterpiece, maybe Romero's best and almost certainly his purest film.

Wednesday, December 20, 2017

Cliff

Cliff ist nicht der einzige Mann in Dallas, der die Kunst des betrunken-und-selbstmitleidig-auf-dem-Sofa-Herumliegens zelebriert. Andere können das auch, Ray entwickelt sogar eine virtuose Meisterschaft in dieser Disziplin, aber Cliff bleibt das Original. Für ihn ist das ein Grundzustand, auf den er immer wieder zurückfällt, wenn seine gegen die Ewings gerichteten Pläne wieder einmal scheitern - sofort lässt er sich dann gehen, hängt abgeschlafft in seinem Bachelor-Appartment herum und legt alles daran, sein Mißbehagen mit der ganzen Welt zu teilen.

Die konservative bias von Dallas zeigt sich darin, wie sie die Ambitionen der einzigen in politischer Hinsicht progressiv verorteten Figur systematisch ins Lächerliche zieht. Im Machogehabe der Ewingmänner und selbst noch in den Intrigen des dezidiert halbseidenen Kartells schwingt stets noch ein Rest von Glamour mit: Die Macht ist verführerisch, eben weil man sich an ihr berauschen kann. Cliff ist als Geschäftsmann dagegen einfach nur petty, er will nicht sich selbst genießen, sondern anderen eins auswischen, wenn er sich an Industriekapitänposen versucht, wirkt er immer viel zu klein und ungelenkt für seinen Anzug.

Das heißt nicht, dass Cliff beyond redemption ist. Außerhalb der Geschäftswelt ist er sogar zu mehr echter Zuwendung fähig als die meisten anderen Figuren. Aber die taktischen Interessen, der Hass auf die Ewings und die daraus sich ergebenden millionenschweren Spielichen, sind wie ein Virus, der sich in alle sozialen (freundschaftlichen, erotischen) Beziehungen einnistet, die Cliff eingeht, der zunächst umerklich sich einschleicht, in seine fahrigen Bewegungen und seine leicht überdrehte Intonation, die ihn aber irgendwann komplett auffrisst. Bis er dann wieder auf dem Sofa angekommen ist.

Thursday, December 14, 2017

Ellie

Ellie ist der personifizierte reaction shot, zumindest war sie das in den letzten Staffeln, allmählich scheint sich ihre Funktion zu verändern, zu erweitern. Man merkt das an den kleinen, recht weit auseinanderliegenden Augen, die dem Gesicht manchmal etwas Maskenhaftes verleihen. Die Härte, die die Serie der Figur zuletzt immer öfter verleiht, steht dem Gesicht gut. Aber in erster Linie ist Ellie noch immer der passive Fixpunkt, der sich zum emotionalen weiblichen und geschäftstüchtigen männlichen Aktivismus um sie herum zwar verhält, sich von ihm jedoch nicht anstecken lässt. Ihre Reaktionen sind nicht immer gleich, aber sie sind einander ähnlich, weil stets auf ähnliche Weise abfedernd und verzögernd. Die Gefühle und Aktionen der Anderen werden von Ellie weniger gespiegelt oder verstärkt, als leicht nuanciert verlängert. Dazu passt ihre außerordentlich prägnante Stimme, die etwas verschleppte Sprachmelodie mit den gedehnten Konsonanten.

Auch wenn Ellie für ihre Söhne wie für ihre Schwiegertöchter eine wichtige Ansprechparterin ist, zeigt sie doch selten ein gesteigertes Interesse an ihren Angelegenheiten. Ellies Loyalität gilt in letzter Instanz der Farm, nicht der Familie. Die Familie ist nur als etwas der Farm Zugehöriges Teil ihres Lebens.

Ich wünsche ihr einen Mann, der sie "Ellie" nennt, nicht "Miss Ellie".

Wednesday, December 13, 2017

Jock

Jock trägt die Insignien des texanischen Playboytums wie eine Rüstung (überhaupt gefällt es mir sehr gut, dass die Männer in Dallas fast so viel Schmuck tragen wie die Frauen). Das Alter schadet seinem swagger nicht, sondern es verleiht ihm eine Härte, die letzten Endes effektiver ist als die Geschmeidigkeit der Jüngeren. Auch die Tatsache, dass alles an ihm so offensichtlich Pose ist, kann Jock nichts anhaben; gerade weil sein herrisches Auftreten nicht durch eine natürliche Autorität oder auch nur eine imposante Erschienung gedeckt ist, wirkt die Tatsache, dass er sich trotzdem immer, automatisch durchsetzt, so demütigend für alle um ihn herum.

Die Rückseite seiner Macht ist die Melancholie. Die zeigt sich am eindrücklichsten dann, wenn di Kamera ihn von schräg hinten filmt, wie er hochaufgerichtet, unbeweglich dasteht. Die hagere Gestalt in dem stets etwas zu grell gehaltenen Anzug, die eckigen Schultern, die langen Gliedmaßen in den röhrenförmigen Ärmeln und Hosenbeinen. Die Silhouette erinnert von fern an Horrorfilmfiguren, an Nosferatu, Frankensteins Monster und andere. Vor allem offenbart sich in diesen Momenten jedoch eine Hilflosigkeit, man hat den Eindruck, dass der Mann gleichzeitig in seinem Anzug und in seinem Körper gefangen ist, dass da vielleicht überhaupt nur noch eine Hülle ist, die sich irgendwann, wenn der reine Wille zur Macht nicht mehr genug Aktivierungsenergie zur Verfügung stellt, gar nicht mehr in Bewegung setzen lassen wird. 

Monday, December 11, 2017

The problem with digital images is not the contingency of the image relative to its referent. But its lack of contingency relative to the storage medium and the media player. More complex images result in bigger files and a stuttering flow. The digital image loses autonomy where it counts: in its presentation.

Wednesday, December 06, 2017

Lucy

Den Glamour der eingeheirateten Ewing-Frauen Sue-Ellen und Pam wird Lucy nie erreichen. Im Weg ist ihr dabei nicht zuletzt der Hals, den sie nicht hat. Sie macht den Glamour, den sie nicht hat, der ihr aber auch nicht zu fehlen scheint (nicht ein einziger neidischer Seitenblick auf die eleganten Verwandten, und das in einer Serie, die den neidischen Seitenblick zu einer Kunstform erhebt), mit einer geradezu manischen, aber deswegen nicht ungesunden Lebendigkeit wett. Sie zieht ihr eigenes Ding durch, als ewiger blonder Wonneproppen, der sich von all den brünetten Psychosen drum herum höchstens kurz und nie nachhaltig irritieren lässt.

Das offen ausgestellt Kindliche ist inzwischen (Staffel 4) verschwunden, sie rutscht nicht mehr bäuchlings das Treppengelände herunter oder hüpft enthemmt durch die Gegend. Erst recht verschwunden ist der Hauch von Verruchtheit, den die Serie ihr in der ersten Staffel zu verleihen versuchte. Geblieben ist ihre gesteigerte Lebendigkeit, die nun nicht mehr Ausdruck von Unreife ist und erst recht nicht eine Taktik der Verführung, sondern Selbstzweck. Manchmal scheint die Serie direkt eine Wette darauf einzugehen, wie lange Lucy einen spezifischen Überschwang durchhalten kann, wie lange ihr begeistertes Lachen hält, wie ausdauernd sie über irgendeine Kleinigkeit aus dem Häuschen geraten kann. Aber es gibt einfach keinen Bruch in ihrem Enthusiasmus, wie übertrieben und manufactured er auch wirken mag.

Wenn Lucy jemandem etwas schenkt, explodiert sie fast vor freudiger Erwartung auf die Reaktion.

Wednesday, November 29, 2017

Pam

Pam ist die Frau im Spiegel. Wieder und wieder taucht dieses Bild auf: Das Schlafzimmer von Pam und Bobby, mit seinem gelb-beigen, ornamentalen, puppenhaushaften Interieur, und im Spiegel, der an der hinteren Wand hängt, sieht man Pam, auf dem Bett liegend, in sich gekehrt, verschlossen. Niemand hier hat einen passenden Schlüssel, am wenigsten sie selbst. Pam-Großaufnahmen sind das Gegenteil von Sue-Ellen-Großaufnahmen: Keine Leinwand voller dramatischer Effekte, sondern eine versiegelte Plastik. Nichts rührt sich, das Gesicht bleibt perfekt zugeschminkte Maske. Die Wangen sind oft sehr massiv rot bemalt, wie um eine Lebendigkeit zu simulieren, die von Innen kaum noch durchscheint. Obwohl da etwas sein muss. Die Seelenruhe im Spiegel verweist auch auf Ressourcen.

Bei sich selbst ist sie nur im Spiegel, als unerreichbares Bild. Ihr Handeln wirkt hingegen erratisch, es geht nicht aus ihrer Erscheinung hervor, sondern manifestiert sich scheinbar spontan, in ihrer Kontingenz ist sie, ihrer ermattet piepsenden Stimme zum Trotz, unberechenbar, und auch unbeugbar, weil ihre Motivation im Verborgenen, Privaten bleibt, nicht nur für Vernunfts-, sondern auch für Gefühlsgründe unerreichbar.

Der Körper ist etwas zu groß und viel zu üppig für das Gesicht, das er trägt. Im Badeanzug wird sie zu einem anderen Mensch.

Sue Ellen

Das Gesicht ist ein Ereignis, das wieder und wieder in Großaufnahmen zelebriert wird. Geprägt ist es von einer Zweiteilung, die Augenpartie ist vergleichsweise unabhängig von der Mundpartie, beide trennt eine breite Oberlippe. Der Mund zuckt und entblößt gerne in einem schmalen, geraden Spalt die Zähne des Unterkiefers, die Augen starren weit aufgerissen, groß und expressiv, durchs Make-up zusätzlich akzentuiert, oder sie huschen nervös hin und her. Wenn sie die Augenbrauen hochzieht, und das tut sie oft, dann beschreiben die fast einen perfekten Halbkreis.

Sue Ellens Gesicht ist der unstete Pulsschlag von Dallas. Wie in einem Rahmen ist es zwischen ihren voluminösen Haaren aufgespannt, wie auf einer Leinwand zeichnen sich auf ihm unmittelbar sichtbar die Spannungen ab, unter die die Serie Sue Ellen setzt. Ihr restlicher Körper ist nicht klein zu kriegen, er stolziert noch in den Niederlagen aufrecht durch die Sets, bewahrt noch im Vollrausch Eleganz. Ein gestählter Luxuskörper, trainiert fürs Gutaussehen in jeder Lebenslage. Aber das Gesicht ist umso empfindlicher. Tatsächlich passt "empfindlich" besser als "empfindsam", weil es nicht um kultivierte Innerlichkeit geht, sondern um äußerliche Kräfte, die an Sue Ellen zerren.

Sunday, November 26, 2017

Les sept déserteurs ou La guerre en vrac, Paul Vecchiali, 2017

There's not a single soldier in sight in Les sept déserteurs ou La guerre en vrac, and still it makes sense that Paul Vecchiali dedicates his film to, among others, Fuller and Wellman, the masters of the combat film. Because his film, like theirs, also uses war primarily as a mechanism of self-revelation through isolation. In Vecchiali's case, the war remains unnamed, and it takes place, in a very strict sense, outside the frame, and also (almost constantly) on the soundtrack, but never in the image itself. War can be told and heard, but never seen. Stray bullets may penetrate the frame and even kill the characters, but they never leave a visible trace on the actors, thereby delimiting another threshhold important for the film: between actor and character.

In a way, Vecchiali is even more serious about this seperation than Brechtian filmmakers like Straub / Huillet who always insist on the firstness of the performance and the profilmic. Because with Vecchiali it's not about priviledging the one (the actor / signifier) over the other (the character / signified), but about the co-existence of two realms: Les sept déserteurs ou La guerre en vrac is at the same time a gathering of seven actors, who meet on a single outdoor set supplemented by a handful of cleverly designed props, and are called up, first one by one, than in small, shifiting groups, to perform small acts, most of them very loosely structured around sex and death and all of them performed in a decidedly joyful, irreverent way, highlighting with proud stubbornness personal idiosyncrasies, especially in artfully stylized manners of speaking; and a film about a group of deserters and outcasts trying to escape from an omnipresents war. At least until the strange, magnificent last twist, there isn't a single rift between these two realms, as they are at the same time connected and seperated by the act of playing, which always involves a literal, materialist and a symbolic aspect.

Tuesday, November 21, 2017

Dear Etranger, Yukiko Mishima, 2017

Auf dem Dach eines Kaufhauses soll ein Teeniemädchen ihren leiblichen Vater treffen, das hat ihr von Tadanobu Asano gespielter Stiefvater arrangiert. Ich dachte unsinnigerweise zunächst, das wäre eines dieser kargen Hochhausdächer, die in japanischen Filmen andauernd vorkommen, vorzugsweise dann, wenn jemand sich dort Trübsal blasend versteckt, aber da es sich nicht um ein klandestines Treffen handelt, sondern ganz um Gegenteil um eines, das in einer gesteigert kontrollierten, kontrollierbaren Umgebung stattfindet, sieht das Kaufhausdach völlig anders aus: ein eingehegter Parkour des Kommerziellen, Kaorus kleine Schwester kann da Autoscooter fahren, am Rand ein gut gesicherter Zaun, nicht einmal der Blick geht wirklich ins Freie.

Dem Umstellt- und Eingebundensein entkommt man nicht in diesem Film. Der Druck ist allgegenwärtig, aber Mishima gelingt es, gerade das Alltägliche, Fließende darzustellen, im Gegensatz zu der im europäischen Entfremdungskino dominanten beklemmenden Ausweglosigkeit. Nicht in Zwickmühlen, sondern in Ausweichbewegungen artikuliert sich die bürgerliche Selbsteinschließung. In Dear Etranger betrifft das zum einen die globale narrative Konstruktion - sowohl Asano als auch seine jetzige Frau sind in zweiter Ehe verheiratet und haben auch Kinder aus ihren vorherigen Familien, beide sind der Beklemmung entkommen, die die vorherigen Beziehungen für sie war, aber jetzt befinden sie sich im Zustand der permanenten Aushandlung emotionaler und logistischer Bindungen. Zum anderen betrifft es auch das Partikulare, den Aufbau der einzelnen Szenen, die sich selten auf einen einzigen Konflikt konzentrieren, sondern Felder eröffnen, in denen viele verschiedene Kräfte insbesondere an Asano zerren und die in einer flüssigen, eleganten Filmsprache, die fast nie auf exzessive Schuss/Gegenschuss-Routinen zurückgreift, ins Bild gesetzt werden. Gleich zu Beginn kommt ihm beim Schreiben einer Email an die Tochter aus erster Ehe die neue Frau dazwischen, die wieder schwanger ist und fröhlich über ein Kind plappert, von dem er gar nicht weiß, ob er es will. Später im Film zieht sich die ganze Anordnung in einer Autofahrt zusammen. Vier Menschen sitzen im Wagen, und man kann sozusagen live dabei zusehen, wie sie, vorsichtig sich durch small talk tastend, herausfinden, dass sie alle aneinander gebunden sind, ob sie nun wollen oder nicht.

Die sture Teenietochter möchte sich den Rest der Welt durch ein Schloss vom Leib halten, aber das funktioniert nicht. Gerade Asanos Versuch, das Schloss tatsächlich physisch am Kinderzimmer anzubringen, erweist sich als ein Kippmoment, der die Tochter zurück in die familiäre Zirkulation überführt. Zum Treffen auf dem Hochhausdach erscheint sie trotzdem nicht, was in sich logisch ist, weil der "alte" Vater für sie ein absolutes Außen darstellt. Nicht ums absolute Entkommen geht es in Dear Etranger, sondern ums punktuelle sich Entziehen.

Monday, November 20, 2017

Baby John

Das Babyschlafzimmer ist einer der wichtigsten Räume in der dritten Staffel. Wie das gesamte Anwesen der Ewings (die ihren Reichtum nicht in Freiheit umzusetzen verstehen) macht es einen klaustrophobischen Eindruck, auch wegen der aggressiv kleinteilig-bunten Tapete. Zwei riesige Stoffhasen, die an einer der Wände hängen, sind sogar regelrecht creepy. Die sieht man jedoch kaum einmal, weil das Zimmer fast immer aus derselben Perspektive gefilmt ist: Die Kamera ist mehr oder weniger direkt im oder jedenfalls unmittelbar hinter dem Himmelbett des Babys positioniert, sodass das Bett mitsamt seines Dachs zum Rahmen eines Bilds im Bild wird. Man sieht dann wieder und wieder im Hintergrund verschiedene Figuren in die Tür treten und sich langsam in Richtung Vordergrund bewegen, aufs Bett und auf die Kamera zu. Im Babyschlafzimmer schwinden die Freiheitsgrade, die sich die Figuren in anderen Settings noch einigermaßen erhalten können, endgültig dahin. Es geht da nicht mehr um ein reflexives hin und her, um Versteckspiele und heimlich einander zu oder an einander vorbei (manchmal auch: in die Kamera) geworfene Blicke, sondern um ein Dispositiv, in dem keine Verstellung, kein Ausweichen möglich ist, oder in dem sich zumindest die Kamera nicht an solcher Taktik beteiligt. Die Baby-Mise-en-Scene vervollkommnet die soziale Kontrolle, weil sie Verhalten objektiv beobacht- und vergleichbar macht.























Monday, November 13, 2017

Filmwoche Duisburg Nachtrag

Filmfestivals sind immer beides: Exzesse des Sinnlichen und Diskursmaschinen. Einerseits schöpfen sie ihren Reiz daraus, dass man in einem engen Zeitraum sehr unterschiedliche Bilder und Töne entdecken kann, andererseits kann man kaum anders, als diesen Überschuss doch wieder begrifflich einzuhegen. Ein Beispiel: Bei den Filmen, die ich in Duisburg gesehen habe, sind mir zwei unterschiedliche Formen von Formatierung aufgefallen. Die eine arbeitet mit dramaturgischer Struktur und kontextuell-diskursiven Rahmungen, die andere mit fiktionalem, fantasmatischem Überschuss und immersiven, erfahrungsästhetischen Entrahmungen. Die eine verweist aufs Fernsehen, die andere aufs Kunstsystem (und das schlägt auch auf Filme durch, die nicht direkt an den einen der beiden Verwertungszusammenhänge gebunden sind).

Daraus ergeben sich eine Reihe von Fragen. Zum Beispiel die, ob es eine Essenz des Dokumentarischen hinter solchen Formatierungen überhaupt gibt. Oder ob das nicht nur eine idealistische Projektion ist, die übersieht, dass auch der “klassische Kinodokumentarfilm”, der in der Tat nicht allzu oft auftaucht im Duisburger Programm, immer schon formatiert war. Auf einer streng begrifflichen Ebene ist eh klar, dass selbst zB Wiseman-Filme formatiert sind. Vielleicht sogar gerade die; die Differenz ist eher, dass das dann in erster Linie eine auktoriale Formatierung ist, die sich direkt aus der Arbeitsmethode ergibt. Aber auch Wiseman ist umstellt von technologischen und filminstitutionellen Voraussetzungen, zu denen er sich nicht komplett autonom verhalten kann.

Ich frage mich außerdem, warum mich Formatierung bei Dokumentarfilmen mehr beschäftigt und auch mehr ärgert als bei Spielfilmen. Im fiktionalen Kino stören mich funktionale Bilder und erzählerische Allgemeinplätze für gewöhnlich nicht allzu sehr, und wenn andere Kritiker sich an solchen Rhetoriken stören, kommt mir das oft kleinlich vor (fast wie eine Form der absichtsvollen Blindheit; nicht, weil eine solche Kritik formalistisch wäre, sondern weil sie Form nur da erkennt, wo sie zum Klischee geronnen ist). Im Dokumentarischen ist das anders. Ich habe mich zum Beispiel in CHoisir à vingt ans (Regie: Villi Hermann), einem schweizerischen Film über franzöische Deserteure während des Algerienkriegs, regelrecht geärgert über einen wiederkehrenden Einstellungstyp: Die Kamera filmt, wieder und wieder,  aus einem fahrenden Auto heraus, erst richtet sie den Blick nach vorne, auf die Straße, dann folgt ein Schwenk, auf die daneben ausgebreitete Landschaft. Die mechanistische Gleichheit dieser Einstellungen zeigt mir, dass es nicht um ein Interesse an der Welt außerhalb des Autos geht, sondern um das bloße Behaupten eines solchen Interesses.

Das kann auch einzelne Momente von Filmen betreffen, die mir ansonsten gefallen. Zum Beispiel habe ich mich gefragt, warum Flavio Marchettis Tiere und andere Menschen, eine rührende, klug gefilmte Studie über den zwischen-geschöpflichen Alltag in einem wiener Tierheim, es nötig hat, seine geduldig beobachteten Miniaturen in eine konventionell-dramaturgische Klammer einzufassen: Es beginnt mit der Ankunft eines Tieres im Käfig, es endet mit einer Auswilderung, oder zumindest mit dem Versuch einer Auswilderung - der Abspann beginnt, bevor zu sehen ist, ob dem Vogel den Abflug in die Freiheit auch tatsächlich gelingt. Das ist ein enttäuschend berechnender, manipulativer Abschluss für einen Film, dessen Struktur sonst eher von der Abfolge klug getimeter tierischer Attraktionen bestimmt wird (ein beständiger Strom an Hunden und Katzen als Grundtextur, die Einzelfallstudie zweier Affen als Leitmotiv, dazwischen als Stargäste: ein Schwan, ein Biber und so weiter).

Die Formatierung fürs Kunstsystem funktioniert anders, nicht über dramaturgische Formeln und Bildklischees, sondern über strategisch platzierte Diskurspartikel, wie etwa im ersten und letzten Drittel von Helena Wittmanns Drift. Wenn ich darauf nicht ganz so allergisch reagiere, dann vielleicht, weil Drift, oder auch Nicolaas Schmidts Final Stage ohnehin stärker fiktionalisiert sind. Dennoch verliert auch da der dokumentarische Kern durch seine Rahmungen an Evidenz. Möglcherweise hat mein Problem in allen Fällen damit zu tun, dass das Dokumnetarische auf jeweils unterschiedliche Weise funktionalisiert wird; und dass diese Funktionalisierung nicht mitreflektiert, nicht wieder ans Material zurückgebunden wird.

Friday, November 03, 2017

Nightfall, Jacques Tourneur, 1955

Auch beim dritten Sehen geschockt hat mich die Schneepflugattacke am Ende, der vielleicht reinste Horrorfilmmoment in Tourneurs Werk. Ein wenig genauer geachtet habe ich diesmal auf die Machart, die szenische Auflösung. Der entscheidende Regiekniff ist, glaube ich, dass Tourneur den Fahrzeugteil des Schneepflugs von der Schneefräse radikal abtrennt. Wenn das Ding losfährt, sieht man es erst nur von schräg hinten, die bedrohliche Vorderseite bleibt unsichtbar (aus einer vorherigen Szene weiß man freilich, dass es sie gibt). Da der Pflug, auch das macht die Szene so effektiv, äußerst langsam fährt, bleibt die Fräse lange - während sich Bond und Ray in der Fahrerkabine prügeln und abwechselnd zur Seite heraus in den Schnee geworfen werden - virtuell. Und wenn sie sich schließlich im Blick, den die von ihr bedrohten Gefesselten durch den Spalt in einer Bretterwand hindurch auf sie werfen, realisiert, dann ist die Fräse ihrerseits von dem Fahrzeug, das sie in Bewegung setzt, optisch strikt getrennt. Die reine, alles zermalmende Negativität rückt langsam auf die Gefesselten (und auf uns) zu, bereit, die ganze Leinwand und danach uns zu verschlingen. Der wahre, exzessive Horror liegt nicht in der beschriebenen Situation, sondern gerade in dem Bruch, den die Inszenierung in die Situation einführt: Der in der gesamten vorherigen Sequenz ausführlich ausgebreitete, und gewissermaßen in der funktionellen Logik des Schneepflugs gebündelte Ursache-Wirkungszusammenhang wird auf der Bildebene außer Kraft gesetzt. Alle Rationalisierungmechanismen brechen zusammen im Angesicht einer autonomen und deshalb nicht abbremsbaren Todesbewegung.

Tuesday, October 31, 2017

Dallas, Gelb

Dallas 2.12 "Fallen Idol"

Richard Kelton, Gaststar der Episode, optisch ein texanischer Tommy Gottschalk (aus der Goldbärchenwerbung).




Er spielt "Guzzler", einen alten Kumpel von Bobby Ewing, einst Held des Schulhofs, Aufschneider und Aufreißer Nummer 1, jetzt, das stellt sich während der Folge heraus, auf Almosen angewiesen.
"Somehow I just... burnt out young." Das würde der Guzzler allerdings niemals der Welt eingestehen, den Satz spricht er zu Bobbys Frau Pam, allein und verloren auf einem Bett liegend.



Wenn Bobby und Pam am Ende über Guzzler sprechen, geht es nur darum, ihm einen möglichst würdevollen Abschied zu ermöglichen. Dallas ist eine Serie, die um die Differenz von privaten und öffentlichen Gefühlen weiß. Und in der es gerade keinen Imperativ gibt (innerdiegetisch schon gleich gar nicht, aber auch nicht im Blick auf die Figuren), beides miteinander zu versöhnen. Das ist die Ehrlichkeit der Serie: Sie gestattet es ihren Figuren, dauerhaft unehrlich zu sein, sie verzichtet auf moralische Erpressung.

Die wunderbare Schlusspassage: von der grausamen Intimität des inneren Gelb zur dekorativen Lüge des äußeren Gelb. Guzzler, der vorher schon ein wunderbares gelbes Hemd getragen hatte, braust im gelben Taxi davon.










Tuesday, October 24, 2017

Circle of Danger, Jacques Tourneur, 1951

It's not surprising that Circle of Danger is generally regarded as minor Tourneur because, at first glance, it's hardly more than an elongated, but not very elaborate, and finally rather pointless practical joke about a dull guy failing to avenge his brother despite trying terribly hard; and at the same time winning over a woman despite basically not even really trying.
Still, I'm completely in love with this strange little film. Ray Milland's dullness undermines the mystery plot from the start, yes, but this works for the film's advantage, because it allows for a not really disinterested, but in a way touristy gaze on all the odd details Tourneur assembles. Every character Milland meets carries his own little world around with him/herself, and although the stubborn protagonist doesn't notice this, remaining stuck in the past instead, Tourneur's camera is always attentive, in a quiet, controlled way. And when Milland finally gets together with Patricia Roc in the last scene (after the mystery plot, and with it the last gasps of the agency of the hero, vanishes in pure geometry), it's made clear that this isn't about him conquering her, but about her choosing him.

Friday, October 20, 2017

Ein Fundstück

Gefunden habe ich dieses wunderbare Video über die Wikipediaseite zu Gisela Tuchtenhagens 5 Bemerkungen zum Dokumentarfilm, eine WDR-Produktion, die an Klaus Wildenhahns Buch Über synthetischen und dokumentarischen Film anschließt. Angekündigt ist der Mitschnitt einer Diskussion zum Film mit Tuchtenhagen, Wildenhahn und dem im Film auftauchenden Peter Nestler; diese Diskussion ist äußerst knapp gehalten und sie leidet unter der Tatsache, dass sie nicht nach, sondern vor einem Screening stattfindet. Keiner der Beteiligten kann sich genauer an den Film erinnern, Nestler meint, er habe ihn auch damals nicht gesehen, sondern nur "in der filmkritik gelesen", also nicht "über ihn gelesen", sondern "den Film gelesen", vermutlich hatte die Zeitschrift damals entweder das Drehbuch oder eine Transkription abgedruckt. In den 1970ern scheint das eine Option gewesen zu sein: einen Film zu lesen.

Das Wunderbare ist aber, dass die Diskussion nur einen kleinen Teil des 17 Minuten langen Videos ausmacht. Sie setzt überhaupt erst nach knapp 10 Minuten ein. Davor filmt die fast durchweg starre, nur einmal neu kadrierende und erst ganz am Ende, als Schlusspointe (in einem ansonsten nicht pointenlastigen Film wie diesem ist auch das nicht abgeschmackt, sondern super), ruckartig aus ihrer Verankerung gerissene Kamera einen Fototermin mit, der unmittelbar vor dem Gespräch, aber noch ohne Saalpublikum stattfindet. Die beiden Männer auf Barhockern, Tuchtenhagen auf einem Sessel tief trohnend dazwischen, und davor, eines von vielen schönen Details, Tuchtenhagens Hund. Das Hin und Her des Arrangierens und Umarrangierens, die selbstunsicheren Regieanweisungen aus dem Off, die jeweils sehr unterschiedlich sich artikulierende Seelenruhe der drei auf der Bühne. Vor allem die wechselnden Lichtverhältnisse, erst das starre Licht fürs Pressefoto, dann Schwarzbild, dann huschen die Schatten eines Probedurchlaufs des Films über die Sitzenden und zu guter Letzt werden sie in rot-violettes Glamourlicht getaucht.

Friday, October 13, 2017

Treppen und Sitzgelegenheiten

Ein Treppenexzess sondergleichen, in Dallas 2.04, "Bypass". Genauer gesagt eine Trias: Frauen, Treppen, Alkohol. Zunächst vor dem Anwesen, dessen Herrin Sue Ellen bald zu werden glaubt. Der wehende Wind. Das Whiskeyglas rückt ins Zentrum der Einstellung, wie um das Bild zu kalibrieren. Frustrationssuff und Wohlstandspsychose, aber schon auch Stilbewußtsein.







Die Bilder malt eine andere Frau: Pamela. Ihre Fantasie ist weniger konkret, aber letztlich genauso vulgär.










Eigentlich im Gegenteil. Sue Ellens Tanzschritte auf der Treppe sind ehrlicher Ausdruck von Lebensfreude und von einem hedonistischen Körpergefühl, das sie selbst andernorts kaum ausleben kann (sicher nicht in der Ehe mit J.R.), das Pamela aber vermutlich nicht einmal vom Hörensagen kennt.









Wenn es zur Konfrontation mit Pamela kommt, verengt sich das Bild, ein zweites Geländer taucht auf, sodass man den Eindruck hat, dass es überall nur noch Treppen, Treppen und nochmal Treppen gibt. Die Treppen verlieren ihren erotischen Reiz und werden zum Gefängnis. Und dann taucht auch noch die Schwiegermutter auf.








Ein weiterer Blickwechsel, diesmal Pamela und die Schwiegermutter, die der Treppe eine gewisse Alltäglichkeit zurückgibt. Pamela, die von allen Figuren der Serie am wenigsten weiß, was sie will, schaut ihr verträumt hinterher.