Friday, February 23, 2007

Okamoto Kihachi: 8 Filme

Die 9 Filme umfassende Retrospektive des japanischen Regisseurs Okamoto Kihachi, die auf dem Internationalen Forum des jungen Films vorgestellt wurde und derzeit im Berliner Arsenal wiederholt wird (die zweite Wiederholungsstaffel läuft seit 1.3.), ermöglicht nicht nur einen Einblick in die japanische Genreproduktion der Sechziger Jahre, eine filmgeschichtliche Epoche, die noch darauf wartet, von Filmwissenschaft und -geschichtsschreibung angemessen gewürdigt zu werden (in der Tat gehört das diesbezügliche Versäumnis wohl zu den schwerwiegensten der Disziplinen angesichts Dutzender großartiger Filme, die mehr oder weniger zufällig Jahr für Jahr per DVD-Veröffentlichung neu entdeckt werden), sondern erlaubt es auch, die Entwicklung der Filmsprache dieses speziellen Regisseurs von seinen Anfängen innerhalb der Industrie bis zum Zeitpunkt seiner größten Erfolge in den späten Sechzigern mitzuverfolgen. Überhaupt ist der Ansatz, Filmgeschichte mittels der Analyse des Werkes eines soliden Genrehandwerkers (und eben keines großen Auteurs) aufzuschlüsseln, in jedem Fall nachahmenswert. Okamoto ist sicherlich keine cinephile Entdeckung ersten Ranges (wie sie beispielsweise Nakagawa Nobuo in der letztjährigen Forumsretro darstellte), dennoch erscheint sein Werk in vieler Hinsicht äußerst reichhaltig.

Desperate Outpost, 1959

Desperate Outpost war zwar bereits Okamotos vierter Film, entstand jedoch nur ein Jahr nach seinem Erstling und trägt alle Zeichen eines Frühwerkes. Wilde Lust am Experiment um seiner selbst willen, Dynamik an allen Ecken und Enden, nur nicht in der Storyentwicklung, kurz angerissene politische Diskurse, die nie richtig Gestalt annehmen (1959 entstanden auch die ersten Filme der "offiziellen" japanischen neuen Welle, zu deren eher peripheren Ausläufern sicherlich auch Okamoto gezählt werden kann) und vieles mehr. Desperate Outpost beginnt als reichlich alberne Kriegssatire in MASH Manier (allerdings 11 Jahre früher), entwickelt sich im Mittelteil zu einem recht stringenten Kriminalfilm, um in einem völlig derangierten Coda doch noch zum fast waschechten Kriegsfilm zu wechseln.
Bereits dieser Film macht deutlich, dass Kino für Okamoto vor allem über die Montage funktioniert. Seine Lieblingstechnik in den Frühwerken ist der Match Cut, der hier besonders ausgiebig zelebriert wird. Doch auch dieser kann (und will) den Film nicht zusammenhalten. Dessen größtes Problem freilich ist nicht der inkonsequente Handlungsaufbau (und auch nicht das erkennbar kleine Budget, das vor allem den letzten Teil des Films ins nicht immer gewollt Komische kippen lässt), sondern die Besetzung der Hauptrolle durch Sato Makoto, dessen Dauergrinsen hier wahrlich schwer erträglich ist.

The Last Gunfight, 1960

In The Last Gunfight ist zumindest die Hauptrolle besser besetzt. Mifune Toshio spielt einen Inspektor, der zwischen die Fronten eines yakuzainternen Bandenkriegs gerät. Insgesamt freilich weiss der Film deutlich weniger zu überzeugen, als der bei allen Schwächen auf der Mikroebene doch erfrischend dynamische Desperate Outpost. The Last Gunfight ist bunt, poppig, stylish und wie die anderen hier besprochenen Filme in großartigem Cinemascope gedreht, wirkt jedoch bei aller Coolness nur wie eine höchstens zweitklassige Suzuki Seijun Kopie. An dessen exzessive Stilisierung erinnert höchstens eine sehr gelungene Gesangssequenz in einem Nachtclub (bezeihungsweise zusätzlich noch dessen Inneneinrichtung, die zu den größten Schauwerten des Film zu zählen ist), ansonsten verliert sich der Film alsbald in den oben erwähnten Montagespielchen, in kaum variierten verkanteten Kameraeinstellungen und einer Storyline, die nicht nur noch kruder daherkommt als in Desperate Outpost, sondern (zumindest mich) in kürzester Zeit nicht mehr im Geringsten zu interessieren vermag.

Procurer of Hell, 1961

Als Gernrehandwerker war Okamoto auf gute Drehbücher angewiesen. The Last Gunfight wurde von Sekizawa Shinichi geschrieben, der ansonsten vor allem für die Skripte von Tohos Monsterfilmen verantwortlich war (unter anderem auch für Trashperlen wie Gojira vs Megaron) und sich im Yakuzamilieu nicht allzu wohl zu fühlen scheint. Procurer of Hell dagegen stammt aus der Feder Ikeda Ichiros, der unter anderem auch mit Suzuki, Masumura und Imamura zusammenarbeitete. Nur ein Jahr später gelingt Okamoto denn tatsächlich all das, was in The Last Gunfight danebengeht. Procurer of Hell ist eine straighte Film Noir-Paraphrase, mit allem was dazu gehört. In der Tat erstaunt die Präzision, mit der nicht nur die Ikonografie, sondern auch große Teile des Personals (inklusive einer großartigen Femme Fatale) der schwarzen Serie nach Japan importiert werden, zu einem Zeitpunkt, als Film Noir als Begriff noch kaum präsent war.
Nicht nur das Skript funktioniert besser als in den beiden ersten Filmen der Retrospektive. Procurer of Hell ist der erste Film der gezeigten Filme, in welchem Okamotos Montageambitionen sich in einem stringenten Konzept niederschlagen. Bestimmend ist ein Wechsel zwischen extrem formalisierten Passagen, die neben den üblichen Match Cuts fast eisensteinsche Schnittkaskaden enthalten und langsamen, angespannten Passagen, in denen Okamoto den Raum, der in den schnellen Schnittfolgen obiger Sequenzen konsequent atomisiert wird, genau analysiert.

The Elegant Life of Mr. Everyman, 1963

Zwei Jahre später erreichen Okamotots Formexperimente einen gleichermaßen sonderbaren wie bezaubernden Höhepunkt. The Elegant Life of Mr. Everyman ist eine Art dekonstruierter Shomingeki, der die skurrile Selbstanalyse eines japanischen Mittelschichtslosers zum Thema hat. Mithilfe aller nur denkbarer Filmtechniken zerlegt Okamoto seinen Helden nach allen Regeln der Kunst, nicht einmal die Kleidung bleibt verschont.
Animationssequenzen beschreiben Teile der Vergangenheit des Helden, dazwischen finden sich historische Aufnahmen aus dem zweiten Weltkrieg und theatral anmutende Szenen, die sich jeder naturalisierung wiedersetzen. Ein direkter Zugriff auf die japanische Geschichte der 30er und 40er erscheint unmöglich (und war es 1963 vielleicht auch), Okamoto versucht es auf die denkbar weirdeste Art und fährt nicht einmal schlecht damit.
Die ersten zwei Drittel des Films sind großartig, danach wird es ein wenig zäh. In sich konsequent bleibt The Elegant Life of Mr. Everyman jedoch bis zum Ende. Everyman wird durch die verschriftlichung seines betrunkenen Gebrabbels zum Bestsellerautor. Und am Ende filmt Okamoto dann genau dieses eine geschlagene halbe Stunde lang ab. Everymans Zuhörer versuchen verzweifelt, sich davonzuschleichen und auch das Kinopublikum ist froh, wenn das Ganze dann irgendwann doch ein Ende findet.

The Sword of Doom, 1966

Mit The Sword of Doom, Okamotos mit Abstand bekanntestem Werk, wendet sich die Retrospektive dem Frühwerk ab und porträtiert einen Regisseur, der mitten im Mainstream der japanischen Filmwirtschaft angekommen ist. The Sword of Doom funktioniert - zumindest auf formaler Ebene, die Handlung selbst ist dann doch wieder stellenweise recht wirr - wie ein perfekt geöltes Getriebe. Immer noch definiert sich Okamotos Kino vor allem über die Montage, doch an die Stelle der wilden Experimente der Frühwerke ist ein strenges Konzept getreten, das wenig Abweichung duldet. Bestimmend ist der Schnitt von der Nah/Großaufnahme in die Totale, der die Figuren immer wieder in die geometrischen Anordnungen japanischer Architektur einschreibt. Das Schicksal aller Figuren ist von Anfang an vorbestimmt, im Gesicht des unvergleichlichen psychotischen Helden Ryunosuke schlägt sich mit zunehmendem Fortgang des Films immer stärker die Erkenntnis der Ohnmacht des eigenen Willens in Form von animalischen Zuckungen nieder.
Am Ende kämpft Ryunosuke gegen Dämonen hinter Bettlaken, die langsam in reale Gegner übergehen. Dutzendweise metzelt er die Angreifer nieder. Zwar muss er selbst mehrere Treffer einstecken, doch obwohl er sich kaum noch auf den Füßen halten kann, kämpft er blutüberströmt weiter, bis die gespenstische Szenerie irgendwann in einem Standbild erstarrt. Diese großartige Schlusssequenz ist neben den ebenso grandiosen Pendants in Red Lion und Procurer From Hell vielleicht das einzige, was man wirklich von Okamoto gesehen haben sollte.

The Emperor and a General, 1967

Dass Okamoto Mitte der Sechziger Jahre tatsächlich mitten im japanischen Mainstreamkino angekommen war, beweist die Tatsache, dass er 1967 damit beauftragt wurde, Tohos Prestigeproduktion über das Ende des zweiten Weltkriegs zu drehen, inklusive zahlreicher Megastars und allem drum und dran - wie oft in solchen Fällen am Ende dann von allem doch ein klien wenig zu viel.
The Emperor and a General beginnt fast dokumentarisch, nähert sich seinem Objekt ähnlich vorsichtig wie die Rückblenden in The Elegant Life of Mr. Everyman. Kampfhandlungen werden nicht nachgestellt, sondern aus Archivmaterial entnommen (beispielsweise auch die Atombombenabwürfe), ein längerer Prolog erläutert anhand mehrerer Grafiken die weltpolitische Lage im Sommer 1945. Auch der eigentliche Film ist größtenteils ein erstaunlich sprödes Kammerspiel und vollkommen frei von den gerade hierzulande boomenden Geschichtspornos mit ihrem Ausstattungsfetisch und befreiter Kamera. Okamoto beschränkt seineformalen Ambitionen auf einige nette Spiegelungen innerhalb der Kadrierung.
Freilich macht im Laufe der Zeit das Melodrama doch immer stärker auf sich aufmerksam und auch die Scheu vor einem direkten Zugriff auf die Zeitgeschichte nimmt zusehens ab, spätestens wenn die ersten Blutfontänen spritzen. Nur der japanische Kaiser selbst stellt weiterhin ein Repräsentationsproblem dar. Ähnlich wie Wilson in "Hör mal, wer da hämmert" ist auch der Tenno nie in seiner ganzen Pracht zu bewundern, irgendein Möbelstück bzw. eine andere Person schiebt sich regelmäßig zwischen Kamera und Kaiser. Das ist natürlich reichlich albern, wie es überhaupt spätestens nach der zweiten Stunde reichlich anstrengend wird, all den japanischen Großschauspielern (unter anderem auch Ozus Chishu Ryu) beim Heroisch-Sein zuschauen zu müssen.

The Human Bullet, 1968

Nicht nur als Gegenstück zu The Emperor and a General ist The Human Bullet zu genießen. Die ATG Produktion, auf 16mm gedreht, versprüht auch ansonsten den Reiz des japanischen Independentkinos der Sechziger und Siebziger Jahre, das im Zweifelsfall noch immer die absurde Episode über einen konsequenten Handlungsbogen stellt und dabei auch Inkohärenzen in weltanschaulicher Hinsicht gerne in Kauf nimmt. Doch die ideologische Botschaft ist klar: Dem heroischen Leiden und patriotischen Schmerz aus The Emperor and a General stellt Okamoto hier einen kurzsichtigen, trotteligen Soldaten gegenüber, der am Anfang nackt im Schlamm kriecht und am Ende in einem Faß mitten auf dem Meer in seinen eigenen Exkrementen verrottet. Auch ansonsten wird die Welt in The Human Bullet von Freaks, Losern und Kriegsopfern aller Art bevölkert, die im Vorgängerfilm selbstverständlich nie im Leben untergekommen wären.
Dennoch überzeugt an The Human Bullet heute weniger der zweifellos sinnvolle politische Ansatz, als die ins Surreale abgleitenden Nebenhandlungen, für die der pazifistische Plot letztlich nicht mehr als einen Vorwnad darstellt. Besonders hervorzuheben ist eine Szene im Rotlichtviertel, in welchem der noch jungfräuliche Held einer wahrlich monströsen Weiblichkeit begegnet.

Red Lion, 1969

Das Beste kommt bekanntlich zum Schluss und so stellte denn auch die deutlich von den politischen Umbrüchen der Sechziger Jahre geprägte Revolutionserzählung aus den Jahren der Meiji-Restauration - gemeinsam mit Procurer From Hell - den Höhepunkt der Reihe dar. Red Lion ist eine knallbunte Mischung aus Italowestern, Eisenstein und Kurosawa, ein Messagemovie reinster Schule, der nie penetrant wirkt und sein Programm dennoch Punkt für Punkt konsequent abarbeitet. Jede Figur hat eine genau definierte Aufgabe während der Revolution, am Ende jedoch wird dem Individualismus in einer Radikalität abgeschworen, wie man es im klassischen Erzählkino nicht allzuoft findet. Nicht einmal die Köpfe der Masse, die noch einen Hauch von Individualität evozieren könnten, werden gezeigt, sondern nur noch Füße, die die rote Perücke als Symbol des Individualismus zertrampeln.
Dazwischen großartige Massenszenen, eisensteinisch überzeichnete Bösewichter, bitersüße Melodramen und vieles mehr. Genaueres bei Nikolaus.

Tuesday, February 20, 2007

Berlinale 2007: Lady Chatterley, Pascale Ferran, 2006

Pascale Ferrans Lady Chatterley-Verfilmung war ein weiteres spätes Highlight der Berlinale und zeigt, ähnlich wie Techines Les Temoins oder Rivettes Ne touchez pas la hache (dort natürlich noch um einiges mehr Hochkultur, aber auch das funktioniert hervorragend), wie gutes Arthauskino aussehen kann, und wie es wohl tatsächlich meist nur Franzosen, bzw. hier Französinnen hinbekommen.
Im Prinzip sind die Figuren von Anfang an determiniert, schließlich geht es um Lady Chatterley, um den Ausbruch aus der bürgerlichen Ehe und die Flucht über Klassenschranken hinweg in eine befreite Sexualität. Dennoch erreicht Ferrans Film mit einfachen Mitteln und ohne sich weit von der Vorlage zu entfernen eine Subtilität, die in dem Material eigentlich gar nicht enthalten zu sein scheint. Lady Chatterleys Ehe mit Clifford und damit die gesamteWelt der Bourgeosie ist hier nicht nur ein allumfassendes, lustfeindliches Gefängnis, sondern für alle Beteiligte ein Raum für unterschiedliche soziale Praktiken, die durchaus heterogen sind. Und Parkin repräsentiert - trotz entblöstem Oberkörper - nicht von vorn herein die entfesselte Sexualität oder die Befreiung von den Fesseln der Konvention. Im Gegenteil ist der Gärtner vor allem bürgerlich konnotiert, trägt stets saubere Hemden und schaltet beim Sex das Licht aus. An der Wand hängt ein Hochzeitsfoto. Die Affäre ist für Parkin mindestens ebenso eine Befreiung wie für Lady Chatterley.
Vermittelt werden alle Beziehungen über die Natur. Die Liebenden treffen sich in den Wäldern und Clifford bleibt mit seinem seltsamen motorisierten Rollstuhl auf einer Wiese stecken. Immer wieder entfernt sich die Kamera von den Figuren und schreibt sie in ihre grün leuchtende Umgebung ein. So scheint sich die kurzfristige Relativierung sozialer Kategorien vor allem über die Natur zu vermitteln. Um wieviel intelligenter und dezenter sind diese Bilder als die aufdringliche Blumenfilmerei in Marie Antoinette. Doch schon alleine der erste Ansatz dieses Vergleichs scheint Ferrans Film ungebührlich zu beschmutzen.

Monday, February 19, 2007

Berlinale 2007: Eye in the Sky, Yau Nai Hoi, 2007

Yau Nai Hois Eye in the Sky ist der perfekte Film, eine Berlinale zu beenden. Nach all den überambitionierten Kunstfilmversuchen, handwerklich minderwertigem Arthausblödsinn und öden Politdokus (so schlimm wie sich das anhört, war es dann natürlich auch nicht, aber tendenziell manchmal eben schon) noch einmal ein Film, an dem fast alles stimmt. Ab der ersten Minute rollt die Plotmaschinerie wie geschmiert, alle Beteiligten wissen genau, was sie zu tun haben und vor allem halten sie Tempo und Niveau bis zum Abspann gleichermaßen hoch. Eye in the Sky kann als Beweis gelten, dass in der Filmindustrie Hongkongs auch nach vielen Krisen noch genug handwerkliches Potential vorhanden ist, um erstklassige Genreware zu produzieren. Und dabei ist Eye in the Sky ein Debütfilm. Klar, Johnny To wird als Produzent wohl ab und zu darauf geachtet haben, dass alles mit rechten Dingen zu geht und Yau Nai Hoi selbst ist natürlich auch kein Industrieneuling, doch die Präzision und die visuelle Eleganz, mit der die hervorragend konstruierte Handlung präsentiert wird, ist dennoch beeindruckend und lässt auf die weiteren Werke des Regisseurs hoffen. Eine eigene Autorenhandschrift lässt sich aus diesem einen Film zwar noch nicht herauslesen, aber auch das kann sich sicherlich noch entwickeln.
Wie überhaupt das Hongkong-Kino noch lange nicht abgeschrieben werden sollte. Denn Eye in the Sky ist nicht nur ein Aufguss alter Formeln, sondern durchaus auf der Höhe der Zeit, was sich nicht nur in der massiven Handypräsenz niederschlägt. Der Shootout auf der Autobahnbrücke (der leider etwas kurz geraten ist, wie auch der vielleicht einzige Makel des Films darin besteht, dass der Film zwar mit einer recht fießen viszeralen Szene endet, aber eben ohne die eigentlich obligatorische mythisch-übersteigerte Schiesserei) knallt fast genauso wie in MI:3, die Handkameramontagen beherrscht in Hollywood höchstens Tony Scott noch ein klein wenig besser als Yau Nai Hoi. Auch die ruhigeren, atmosphärischeren Momente funktionieren durchweg hervorragend und sind in bester Hongkong Manier mit einer seltsamen Form von Humor (die zu untersuchen sich sicherlich lohnen würde) durchdrungen. Vor allem ist es jedoch das reibungslose Zusammenspiel aller Elemente, das an Eye in the Sky begeistert, sowie die Gewissheit, dass alle Beteiligten sich nach Abschluss des Projekts sofort wieder an die Arbeit gemacht haben und dass dadurch mit recht hoher Wahrscheinlichkeit bald wieder ähnlich großartige Streifen entstehen werden.

Saturday, February 17, 2007

Berlinale 2007: Ne touchez pas la hache, Jacques Rivette, 2007

Innerhalb des zwischen gut gemeintem Sozialrealismus und vollkommenem Bullshit hin und her pendelndem Wettbewerb wirkte Rivettes neuster Streich wie ein Fremdkörper (selbst für mich, der ich den Großteil des Wettbewerbs Wettbewerb sein ließ). Ne touchez pas la hache ist in bestem Sinne in sich selbst ruhendes Kunstkino, das denkbar weit entfernt scheint von jeglichen Diskursen des aktuellen Weltkinos. Und überhaupt weit entfernt von der Gegenwart, schließlich verfilmt Rivette Balzac, und zwar äußerst werkgetreu (angeblich war der Film für Rivette nur eine Notlösung, da ein anderes, größeres Projekt keine Finanzierung fand; doch lustlos oder verbittert erscheint das Ergebnis in keiner Minute. Nur insgesamt mit 137 Minuten etwas kürzer als gewohnt). Ne touchez pas la hache übersetzt die literarischen Zeichen mit fast unheimlicher Präzision in filmische. Texteinblendungen strukturieren und kommentieren die einzelnen Sequenzen, die eine ähnliche Mischung aus Geschlossenheit und Offenheit erreichen wie die Kapitel eines klassischen Romans. Die Burg, das Empfangszimmer, das Piratenschiff: romanhafte Kullissen, durch theatrale Inszenierung ins filmische übertragen. Der rivettesche Kostümfilm verzichtet auf Patiche, auf jede Form von Behauptung einer Welt jenseits des Frames, auf jede Behauptung von Geschichte. Nicht einmal die konsequente Abwesenheit von Balibars Ehemann führt zu einer Öffnung in Richtung eines historischen Diskurses.
Guillaume Depardieu und vor allem Jeanne Balibar brillieren in den Hauptrollen, geschliffene Dialoge, perfekt einstudierte Gesten. Keine Psychologie, selbstverständlich auch keine Identifikation, nur Schauspiel.

Berlinale 2007: Yella, Christian Petzold, 2007

Nina Hoss ist äußerst cool als Yella, keine Frage. Vielleicht ist es gerade die Coolness und Hippness des ganzen Projekts, die dafür sorgt, dass ich mit Christian Petzolds neuem Werk nicht ganz warm werden konnte. Auf dem Papier sieht alles sehr smart aus: Der atmosphärische Horrorfilmklassiker Carnival of Souls wird in Investmentbanking übersetzt und gleichzeitig in einen deutschen Ost/West-Diskurs eingefügt, in welchem delikaterweise der Westen das Geisterreich darstellt.
Die Petzoldsche Version eines Horrorfilms beschränkt den genreüblichen Exzess auf drei kurze Sequenzen, die den Übergang von der realen in die Traumwelt durch Tonsubjektiven darstellen. Ganz konkret: Im Stile eines schlechten B-Horrorfilms bricht die Tonspur in sich zusammen und macht einem undefinierbaren Rauschen Platz, während (die ansonsten selbstverständlich hervorragende) Hoss planlos in die Gegend starrt. Das Krähen eines Raben holt sie schließlich wieder in unsere Welt zurück. Die Kamera unterstreicht (?) dies durch ein wenig planloses Rumgezoome in den Ästen eines Baumes. Diese ganze Sequenz (die wie gesagt dreimal wiederholt wird) ist dermaßen uneffektiv inszeniert, dass man Petzold, der ja sein Handwerk versteht, Absicht unterstellen muss. Nur: Was soll das?
Ebenso wie ich Sinn und Zweck dieser Sequenz nicht verstehe (sie wurde direkt aus Carnival of Souls übernommen, wie überhaupt der Film in struktureller Hinsicht ein erstaunlich originalgetreues Remake darstellt), bleibt mir letzten Endes das ganze Projekt ein Rätsel, und zwar eines, bei welchem ich nicht einmal allzu große Lust verspüre, weiter nachzuforschen, da ich wenig Chancen auf potentiellen Erkenntnissgewinn ausmachen kann. Das Handlungsgerüst des Bankerplots basiert angeblich auf Farockis Nicht ohne Risiko, den ich zugegebenermaßen noch nicht gesehen habe. Diese komplexe Überblendung zweier filmischer Texte verweist auf eine Aussageabsicht politischer Natur (verbunden mit einem filmgeschichtlichen Diskurs), die sich nicht auf eine plumpe kapitalismuskritische Allegorie reduzieren lässt. Aus dem filmischen Text als solchem erschließt sich jedoch höchstens letztere. Und selbst diese zerschellt an den Horrorfilmüberresten.
Dazu den obligatorischen hippen Popsong auf der Tonspur und als Autorensignatur eine Überwachungskameraaufnahme. Natürlich ist Yella kein schlechter Film und vielleicht weist er in mancher Hinsicht in die richtige Richtung. Doch wie bereits im Fall von Gespenster ist mir das Konzept ein klein wenig zu sofisticated, zu sehr bedacht auf die eigenene Coolness (und vielleicht sogar auf den goldenen Bären), um im Rahmen eines Erzählfilms wirklich zu funktionieren.

Berlinale 2007: Rıza, Tayfun Pirselimoğlu, 2007

Soziale Entwurzelung, Sprachlosigkeit, Melancholie: Der türkische Autorenfilm scheint sich mit ähnlichen Themen zu beschäftigen wie seine westeuropäischen Pendants (nicht nur im Fall von Rıza und der Filme des türkischen Cannes-Auteurs Nuri Bilge Ceylan, sondern auch beispielsweise in dem des ausgezeichneten Melegin Düsüsü, der vor zwei Jahren im Forum lief). Auch die Form ist durchaus verlgeichbar, wie man an einer Einstellungsfolge wie nachstehender ablesen kann: Alter Mann sitzt auf einem Stuhl und starrt in die Leere / Alter Mann steht vor dem Spiegel und knöpft sich das Hemd zu / Alter Mann läuft – selbstverständlich sehr langsam – eine Treppe hinauf, setzt sich auf einen Stuhl, schaltet den Fernseher an / Türkisches Teleshopping.
Im Grunde ist Rıza vergleichsweise konventionell inszeniert. Blicke triggern mit schöner Regelmäßigkeit Point of View Shots, Gespräche werden in Schuss-Gegenschuss Sequenzen aufgelöst. Oft ist der Film auch entsetzlich langweilig. Wahrscheinlich ist ein Streifen wie Rıza innerhalb des Festival-Trubels, also tendenziell auch immer zwischen zwei anderen Filmen, die noch oder bereits so präsent sind, dass sie alles, was nicht laut genug schreit, überlagern, denkbar schlecht aufgehoben. In einem kleinen Programmkino in einer lauen Sommernacht könnte der Film aber durchaus einen ganz speziellen Reiz entfalten. Zumindest ein schwacher Abglanz desselben stellte sich bei mir jedoch auch während des Festivalscreenings ein.
Die Hauptfigur, nach der der Film benannt ist, ist auf den ersten Blick just another loser in his late fifties, wie es sie auf der Berlinale zu Dutzenden zu bewundern gibt (die türkische Variante dieses Antiheldentypus eignet sich jedoch noch weitaus weniger als Identifikationsfigur als vergleichbare Helden anderer Produktionen, so abgrundtief böse und unmoralisch wie Rıza sich darstellt), und entwickelt doch eine eigenartige Form von Präsenz. Genauer gesagt zeichnet sie sich in den entscheidenden Augenblicken durch eine seltsame Art von Nicht-Präsenz aus. Wenn Rıza im gleißenden Sonnenlicht Istanbuls die Straße überquert, scheinen die Umrisse seine weißen Hemdes sich tendenziell im Schimmern des Asphalts aufzulösen. Einen ähnlichen Entgrenzungsprozess vollzieht die Filmhandlung als Ganzes. Nachdem die Hauptfigur den Hammer auspackt, scheint der Plot, der anfangs kaum als solcher isolierbar ist, langsam Fahrt aufzunehmen, nur um sich im letzten Filmdrittel auf recht sonderbare Art und Weise wieder selbst aufzulösen und zwar durch eine Verschiebung in Richtung auf das türkische Fersehprogramm, auf Unterhaltungssendungen und Sportreportagen.

Berlinale 2007: Killer of Sheep, Charles Burnett, 1977

Zwei Gruppen von Kindern bewerfen sich gegenseitig mit Schmutz und Steinen, während sie sich jeweils mittels eines Holzbretts gegen die Geschosse der jeweils anderen wehren. In den staubigen Straßen von South Central, zwischen verfallenen Häusern ergreifen die Kinder Besitz von all dem, was vom urbanen Raum noch übrig geblieben ist. Natürlich ist das Spiel gefährlich und schon bald fließen die ersten Tränen und das erste Blut.
Immer wieder verlässt Charles Burnetts Killer of Sheep seine erwachsenen Protagonisten und taucht in die Welt der Kinder ein. Die Bewegung zwischen diesen beiden Ebenen ist eine Gleitende, wenn etwa während eines Gesprächs über die Reparatur eines Motors die Tochter des Hauses den Tisch der verhandelnden Erwachsenen verlässt und draussen vor der Tür einer Freundin, die im Auto wartet, Gesellschaft leistet, oder wenn in einer wunderschönen Szene dieselbe Freundin vor dem Plattenspieler sitzt und die Klänge einer Soulplatte mit ihrer dünnen Stimme sowie ihren klatschenden Händen begleitet und die Kamera zu diesen zauberhaften Klängen zu ihrer Mutter wechselt, die im Haushalt beschäftigt ist.
In den zahlreichen Kindeszenen ist der Film ganz bei sich selbst, hier gelingen Burnett die genauesten Beobachtungen – kleine Jungen, die von einer Mädchengang verjagt werden; dieselben Jungen, die später vorbeilaufende Schülerinnen beschimpfen usw. Doch auch der Rest diese vergessenen Meisterwerks – Killer of Sheep konnte aufgrund der Soundtrackrechte zwanzig Jahre lang nicht aufgeführt werden – ist, trotz des episodischen Erzählstils, von ungemeiner Präzision. Situiert man das Werk historisch in einer Filmlandschaft, die für schwarze Befindlichkeit nur im – 1977 bereits im Verfall begriffenen – Blaxploitationsegment einen in vieler Hinsicht fragwürdigen Platz besaß, treten die Qualitäten des Films nur noch deutlicher zutage. Burnett porträtiert die untere Mittelschicht, hart arbeitende Familienväter, frustrierte Mütter und ihre Kinder inmitten eines noch relativ intakten sozialen Gefüges, das jedoch an allen Ecken und Enden auszufransen beginnt. Dem Gangster-P-Funk Chique der Genrefilme setzt Burnett einen lyrischen Realismus entgegen, der von einem elegischen Machismo durchzogen wird, jedoch nie im poetischen Klischee erstarrt.
Auch die Schlachthausszenen gerinnen nie zur Allegorie, wie sich überhaupt die politische Ebene des Films nur schwer isolieren lässt und sich nur ganz nebenbei, in den Differenzen zwischen Bild und Tonspur oder in dem begehrenden Blick einer (weissen) Ladenbesitzer auf den Protagonisten situiert.

Monday, February 12, 2007

Berlinale 2007: I Was A Swiss Banker, Thomas Imbach, 2007

Ein schweizer Banker schmuggelt Schwarzgeld über den Bodensee. Er erläutert sein vorgehen in schweizerdeutschem Voice-Over. In Hochglanzoptik präsentiert Thomas Imbach seinen kurzen Prolog. Der Bodensee glänzt, die Sonnenbrille des Bankers namens Roger auch und dessen Porsche sowieso. Die Sequenz endet damit, dass Roger vor der Polizei fliehen muss, sich dabei in die Hose scheisst und die Exkremente an der Wiese abwischt. Dann beginnt der wunderbare Vorspann (der in dem noch wunderbareren Abspann wieder aufgegriffen werden wird. Nach dem furiosen Auftakt landet Roger auf einer Insel (?) im Bodensee (?) und trifft dort eine Art Hexe (?), die es auf ihn abgesehen zu haben scheint. Wie überhaupt der ehemalige Banker plötzlich bei der Damenwelt hoch im Kurs zu stehen scheint. Nacheinander lernt er vier Frauen größtenteils nichtschweizer Herkunft kennen, doch mit keiner ist ihm dauerhaftes Glück vergönnt.
Von Rogers ehemaliger Karriere im Finanzgeschäft zeugt im restlichen Verlauf des Films nur noch eine rote Reisetasche, randvoll mit Schwarzgeld. Ansonsten bleibt die Bankervergangenheit ausgespart, ohne dass sie im Leben des Betroffenen oder im Film insgesamt durch eine vergleichbar handfeste Tätigkeit bzw. ein Thema im engeren Sinne ersetzt werden würde. Noch am ehesten scheint es um Sex zu gehen. Imbachs Film inszeniert in rascher Folge weibliche Übergriffe auf den männlichen Körper im Allgemeinen und Rogers Penis im Besonderen. Die Versuche des dreitagebärtigen Schweizers, den Frauen, die von ihm nacheinander Besitz ergreifen, irgendwie Herr zu werden, scheitern stets kläglich, obwohl die realen Abhängigkeitsverhältnisse traditionell gepolt sind, schließlich sind Osteuropäerinnen, Türkinnen und Araberinnen auf die Gnade der Grenzbeamten angewiesen.
I Was a Swiss Banker ist jedoch auch der beste Film über die Schweiz, den ich bisher gesehen habe (zugegebenermaßen verfüge ich nicht über allzu viel Vergleichsmaterial). Imbacheröffnet eine Folge von potentiell touristisch verwertbaren Panoramen, bestehend meist aus Seen (nach dem Bodensee folgen eine Reihe weiterer, unter anderem glaube ich der Zürichsee), Alpwiesen, jeder Menge Schafe und sanften Hügeln. Zum Heidi-Klischee gerinnen diese Settings jedoch nie, obwohl alles glitzert und funkelt wie verrückt. (In der Tat ist es vor allem die eigenartige Hochglanzoptik – die vor allem in den Szenen im Wasser zu bewundernswerten Resultaten führt –, die den Reiz des Films ausmacht, grellbunter Alpenkitsch, präsentiert in meist kurzen Einstellungen und mit einer Vorliebe für hetische Handkameraaufnahmen, in den immer wieder Irritationen einbrechen, wie Rogers Fäkalien zu Beginn oder auch mal abgerissene Vogelköpfe.) Doch zwischen den Naturszenen (in welchen Roger stets bedeutend weniger Kleider am Leib trägt als seine Gespielinnen, selbst die Wet-Sex-Szene erotisiert eher ihn als seine Partnerin) schiebt sich immer wieder eine andere Schweiz. Hier spielt der Film in kleinen Hotels, Touristenrestaurants, Polizeirevieren oder Bauernhöfen. Keine dieser Örtlichkeiten nimmt wirklich Gestalt, keine wird in ihrer Gesamtheit repräsentiert, als Lebens- oder Arbeitsraum und dennoch schreiben sich unterschiedlichste Diskurse in sie ein, die ein weitaus präziseres Bild der schweizer Wirklichkeit zeichnen, als es konventionellere Modi der Beobachtung vermögen würden. Eine seltsame Mischung aus scheinbarer kapitalistischer Weltoffenheit und institutionellem Rassismus, aus dem Bewusstsein der eigenen geopolitischen Nichtigkeit, vermischt mit der Illusion, trotzdem irgendwie etwas ganz besonderes zu sein.
Ein Film aus einem Land eben, das zwar die älteste Demokratie der Welt vorweisen kann, in welchem jedoch dennoch erst seit 1990 alle Frauen das Wahlrecht erhielten (zuletzt in Appenzell-Innerrhoden). Aus einem Land, das immer noch nicht der UN beigetreten ist und sich damit in reichlich seltsamer Gesellschaft befindet ().
Imbachs heterogener, sprunghafter Erzählstil in Verbindung mit einer ebensolchen Kamera kann leicht in die Hose gehen. Lenz etwa habe ich kaum ertragen können in seinen Versuchen, die Neurosen eines Berliner Theaterintendanten oder was zu ergründen. I Was A Swiss Banker jedoch macht fast alles richtig (auch wenn das Ganze am Ende vieleich doch etwas zu sehr ausfranst). Roger ist von Anfang an jenseits der Psychologisierung und der Familiengeschichte (auch die nervte in Lenz) und dient lediglich als immer gut frisierters freischwebendes Objekt, das einerseits von erotischen und anderen Zugriffen in Anspruch genommen werden kann und andererseits als Bilder- und Narrationsmaschinerie dienen kann, die ein Postkartenpanorama und eine abstruse Nebenhandlung nacheinander zu produzieren vermag. Wenn dann alles vorüber ist (und wie gesagt, der Abspann ist hervorragend) ist man vielleich nicht viel schlauer, aber möglicherweise doch auf eine ganz seltsame Weise glücklich…

Berlinale 2007: The Left-Handed Gun, Arthur Penn, 1958

Ein exaltierter Western. Ein Western, der bereits weit über das Spektrum hinausweist, das Bazins berühmter Aufsatz eröffnet. Auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass The Left-Handed Gun nicht mehr die klassische Form des Genres repräsentiert, doch auch den von Bazin wenig geschätzten Über-Western mit seinem Hang zum Psychologisieren und dem Eindringen genrefremder Elemente wie etwa der Politik hat Arthur Penn weit hinter sich gelassen. Vor allem der Star Paul Newman sprengt nicht nur die bazinsche Westerndefinition, sondern zumindest tendenziell das gesamte Genrekino.
Newmans Billy the Kid und seine Bande dringen in ein Genre ein, das bereits starke Abnutzungserscheinungen zeigt (der Sherrif beispielsweise färbt sich die Haare) und transformieren es in etwas vollkommen Neues. Die Dreierbande treibt sehr unwaynesche Scherze im Badezimmer und staubt das ganze Mexikosetting mit Mehl ein. Newmans Gehilfen stolpern und albern so lange durch die Gegend, bis sich irgendjemand erbarmt und sie abknallt – technisch gesehen sterben beide durch einen Schuss in den Rücken, was hier jedoch nicht der Feigheit der Kontrahenten anzulasten ist, sondern der Dummheit der Helden. Ein echtes Duell ist keinem der Drei gegönnt, obwohl Newman selbst mehrmals kurz davor steht.
Newman selbst steht von Anfang an neben und über dem Genre, versprüht stets einen Überschuss an Expressivität, der vor allem duch die Differenz zum klassizistischen Nicht-Spiel zahlreicher gestandener Westernrecken ins Auge springt und die überdeutlich auf die großen Vorbilder Brando und Dean verweist. Noch jede Actors Studio Eigenheit wird kultiviert und so fummelt Newman im ersten Filmabschnitt andauernd an einer Art Rassel herum. Nach dem Tod seines Mentors dann der erste große Auftritt, ein Trauerschrei (samt Zoom) von biblischem Ausmaß, danach folgt eine großartige Szene, in welcher Billy (unterstützt von fast schon expressionistischen Beleuchtungsexzessen) einen Inneren Kampf zu kämpfen hat. Natürlich verliert er und begibt sich auf den Pfad der Gewalt…

Berlinale 2007: The Tracey Fragments / MTV und was

The Tracey Fragments, Bruce McDonald, 2007
Wenn MTV die Filmindustrie tatsächlich in der Weise beeinflusst hätte, wie oft angenommen wird (nämlich auf der Bildebene), würden heute alle Filme aussehen wie The Tracey Fragments: Splitscreenexzesse, die die Integrität des Bildkaders aufgeben zugunsten ornamentalen grafischen Anordnungen, ins Extrem getriebene Stimmungsmalerei, der alles, aber auch wirklich alles untergeordnet wird und der kein Klischee zu ausgetreten ist, um es durch schlechten Indierock intensiviert und durch die Montage innerhalb der Einstellung verhundertfacht auf den hilflosen Zuschauer loszulassen. (Nicht einmal seinen eigenen Titel vermag der Film zu rechtfertigen: The Tracey Fragments verspricht, die Adoleszenz als Erlebnis der Fragmentierung von Welt- und Selbsterfahrung zu inszenieren, doch nicht einmal dies gelingt, die aufpoppenden, sich teilenden und wieder vereinenden Bildfragmente ordnen sich stets bedingungslos einer Gefühlsdominante unter und erschaffen einen Film, der in vieler Hinsicht noch um einiges homogener funktioniert als noch das konventionellste Coming of Age-Hollywoodprodukt – The Tracey Fragments ist die ultimative Korruption des Splitscreens, und wird jeden ernüchtern, der an ein immanentes ästhetisches Potential dieser Technik glaubt.)
Doch genug davon. Zum Glück sehen nicht alle Filme aus wie The Tracey Fragments (auch wenn man McDonalds Werk in mancher Hinsicht als konsequente Fortführung nolanscher oder rodriguezscher Manierismen ansehen kann, was für die Zukunft das Schlimmste befürchten lässt) und zwar mit gutem Grund. Wenn es eine Beziehung zwischen Musikvideos und postklassischem Kino gibt, vermittelt sich diese nicht auf der Bildebene, sondern (was an sich auch naheliegt) auf der Tonspur. Die Verbindung funktioniert sicherlich nicht in Form eines direkten Einflusses – in welche Richtung auch immer – sondern ist möglicherweise eher als eine parallele strukturelle Verschiebung im Verhältnis zwischen Bild und Ton in verschiedenen audiovisuellen Medien zu beschreiben. Beschrieben wird diese Verschiebung in der berühmten Indoktrinierungssequenz (die mit diesem Terminus natürlich nicht ganz korrekt beschrieben wird) in The Parallax View. Auf der Bildebene lösen sich die visuellen Zeichen von ihrem semantischen Gehalt und verwandeln sich mit steigender Schnittfrequenz in reine Intensitäten. Die klassische Erzählung ist – in dieser Sequenz wie in einem Großteil des Blockbusterkinos – in heterogenes visuelles Material zerfallen, das seinen Gebrauchswert stets nur in sich selbst, nicht in der Verbindung mit Vorhergehendem und Zukünftigen zu besitzen scheint.
Diese Heterogenität besitzt jedoch ein Gegengewicht und zwar im akustischen Bereich. Zwar ist die Geschichte des Tons im postklassischen Kino durch eine Multiplikation der Tonspuren und jede Menge unidentifizierbarer Klang-Objekte bestimmt, doch die Filme versuchten nie (oder höchstens in Aussnahmefällen, die sich meist eher am Rande des Hollywoodspektrums situierten und situieren: The Texas Chainsaw Massacre, The Offence, Deja Vu) die Filmmusik ähnlich heterogen zu gestalten wie die Bildsprache: Dominant blieb stets der neoromantische Williams-Sound, allumfassende Melodiebögen, denen es gelingt, das ständig vom Auseinanderbrechen bedrohte visuelle Material zu bündeln und dadurhc der Konsumption zugänglich zu machen. Diese neue Form der Bündelung funktioniert selbstverständlich auf einer anderen Ebene als die narrative Closure des klassischen Spielfilms, aber sie funktioniert, nicht nur in The Parallax View, sondern im gesamten modernen Kino. Gleichzeitig wird die Musik von einem großen Teil ihrer klassischen, expressiven Funktion befreit, die Schlagwörter und Bildklischees, die in immerschnellerer Abfolge präsentiert werden, bieten keinen Ansatzpunkt mehr für das Mickey Mousing.

Wednesday, February 07, 2007

Berlinale 2007: Hin- und Wegsehtipps

Hinsehen:

Nachmittag (Forum)

Village People Radio Show (Forum)

Lady Wintermere's Fan (Retro)

This Filthy World (Panorama)

Kain no matsuei (Forum)

Shotgun Stories (Forum)

Sekyo (Forum)

Tekkonkinkreet (14+)

Fleur de Paris (Retro)
Schönes kurzes Melodram aus dem Jahr 1914. Publikumsmiteinbeziehendes Schauspiel und auch sonst so einiges erinnert an Fuillade. Überhaupt: Die Retro. Ich werde wahrscheinlich einen recht großen Teil der Berlinale dort verbringen. Aus dem Gedächtnis schwer empfehlen kann ich noch den extrem charmanten Something New sowie natürlich It.

Ad Lib Night (Forum)
Vom Regisseur des wunderbaren This Charming Girl. Ad Lib Night besitzt eine ähnlich ätherische Hauptfigur, die hier aber etwas zu stark vom Plot vereinnahmt wird. Dennoch ein guter Film, dem einige extrem genaue Alltagsbeobachtungen gelingen.

Halfmoon Files (Forum)
Sehr interessante Doku über den ersten Weltkrieg und akustische Aufnahmeverfahren, demnächst mehr.

Mal sehen:

Le cercle de noys (Forum)

Home Song Stories (Panorama)
Typisches Panorama Kino, aufgrund der sehr gut aufgelegten Joan Chen aber insgesamt recht erträglich.

Kurz davor ist es passiert (Forum)
Technisch beeindruckend, moralisch etwas zwielichtig. Ansonsten schließe ich mich Christian an.

A.K.A. Nikki S. Lee (Forum)
Wiederum Christian. (irgendwie habe ich zur Zeit Probleme, Christians Blog aufzurufen, hoffentlich funktionieren die Links...)

Ichijiku no kao (Forum)
Schöner Wohlfühlfilm, der leider in der zweiten Hälfte aus dem Ruder läuft. eventuell bald mehr dazu.

Bushi no ichibun (Panorama)
Der dritte Teil Yamada Yojis Samurai-Trilogie. Auch wenn er mir tendenziell besser gefällt als die beiden anderen, kann ich mich mit dem ganzen Projekt immer noch nicht so recht anfreunden. Auch hier wirkt gerade das Ende doch wieder allzu behäbig. Ansonsten stellt Bushi no ichibun eine recht originelle Zatoichi-Paraphrase dar.

A Walk Into the Sea (Forum)
Für Warholianer sicherlich sehr interessante Doku über ein eher peripheres Mitglied der Factory.

Wegsehen
Blindsight (Panorama)

The Bubble (Panorama)

Surveillance (Panorama)
Absolut idiotischer und nervtötender Paranoia-Thriller, dessen Konstruktionsprinzip (jedes Bild kann aus einer Überwachungskamera stammen) vielleciht für zwei Minuten interessant ist.

Goodbye, Southern City (Panorama)
Ein Vin-Diesel Imitator stolpert durch Azerbaidschan...

The Sugar Curtain (Forum)
Stellenweise interessant präsentiert der Film die letzten Überreste des Sozialismus in Kuba. Darüber hinaus hat er nichts zu erzählen, versucht es aber trotzdem.

Dasepo Naughty Girls (Panorama)
American Pie auf koreanisch mit Fantasy-Elementen und einem Hauch aufgesetzter Sozialkritik? Das Ganze ist genauso unerträglich, wie es sich anhört.

Osdorf (Perspektive)
Eklige Unterschichtsbeschau in der nach "German Cinema" zweitüberflüssigsten Sektion der Berlinale. Demnächst vielleicht mehr.

Aschermittwoch (Perspektive)
Überflüssiger Kurzfilm, des sich für einen Spielfilm hält.

Tuli (Forum)
Phillipinisches Beschneidungskino kann auch ganz großartig sein (The Perfumes Nightmare); Hier kann dem Angriff der schönen Bilder jedoch nichts und niemand entkommen.

Jagdhunde (Forum)
Berliner Schule meets Marienhof.

Berlinale 2007: Kain no matsuei, Oku Shutaro, 2006

Es scheint sich im Forum einzubürgern, zwischen all die mal mehr mal weniger ambitionierten, meist recht harmlosen Filme einen japanischen Sicko-Streifen zu platzieren, dessen Schockwirkung sich gerade in diesem Umfeld wahrscheinlich in der Tat umso besser entfaltet. Eigentlich also eine nette Überlegung, nur leider greifen die Programmgestalter bei der Auswahl des Nippon-Weirdos auch schon mal ganz gewaltig daneben, wie beispielsweise im letzten Jahr im Falle des unerträglichen Strange Circus. Kain no matsuei ist sicherlich im Vergleich mit Sono Sions Machwerk ein Schritt nach vorn; leider kein allzu großer.
Die Stärke des Films ist das Setting. Okus Werk spielt in einer abgewrackten Fabrikwelt, in einer Art Paralleljapan, das irgendwo am Übergang vom analogen zum digitalen Zeitalter hängengeblieben ist. In zwielichtigen Fabriken löten zwielichtige Gestalten an zwielichtigen Prozessoren herum oder versuchen, Fernsehfernbedienungen in Schusswaffen zu verwandeln. Sonderbare Gerätschaften, die andauernd den Besitzer wechseln, erhalten bereits dadurch einen unsicheren Status, dass sie zwar immer wieder ein wenig ins Bild gerückt werden, nie jedoch so weit, dass auch nur ansatzweise zu erahnen wäre, um was genau es sich handelt. Zusätzlich ist die Industriewüste von Schnutz aller Art überzogen und die meisten ihrer Insassen mit einem dünnen Ölfilm.
In diese an sich schon recht seltsame Welt brechen im Lauf des Films immer wieder tendenziell transgressive Ausläufer der verschiedenen Handlungsstränge, manchmal wird es auf recht stumpfe Weise blutig, andernorts sieht man einen verpixelten Blowjob. Doch um was geht es? Irgendwie erkennt man zwischendrin vielleicht so etwas wie einen roten Faden, doch wenn das Ganze dann irgendwann zu Ende ist, bleiben doch allzu viele Fragen offen (beziehungsweise fragt man sich, welche Fragen denn überhaupt gestellt werden sollten). Kain no matsuei ist wohl am ehesten aufgrund seiner sinnlichen Dimension zu genießen, wobei es doch eines recht speziellen - oder zumindest toleranten - Geschmacksempfinden bedarf, um dieser etwas abzugewinnen.

Tuesday, February 06, 2007

Berlinale 2007: Shotgun Stories, Jeff Nichols, 2007

Sicherlich nicht die schlechteste Alternative zum psychologisierenden, gutmenschelnden Indie-Allerlei, das das amerikanische Kino seit mittlerweile fast zwei Jahrzehnten heimsucht, sind die mythischen, überlebensgroßen Filme Terrence Mallicks, allen voran dessen Erstlingswerk Badlands mit seinen gewalttätigen Protagonisten, gewaltigen Naturaufnahmen und einer zumindest auf stilistischer Ebene unaufhaltsamen Bewegung hin zur Freiheit von Beschränkungen, ob psychologischer oder sozialer Natur.
Shotgun Stories nimmt in vielfältiger Weise auf Mallick Bezug, bereits durch den Schauplatz (Arkansas statt Dakota, doch die Protagonisten müssen ihre Heimat hier nicht einmal verlassen, sie leben von Anfang an in den Badlands), erst recht durch die schweigsamen Protagonisten (einer der Brüder, die im Mittelpunkt der Handlung stehen, heisst denn auch tatsächlich Kit, allerdings ist der wahre Charlie Sheen-Widergänger die narbenübersäte Hauptfigur), zuallererst jedoch durchdie Cinemascope-Fotografie, die die Bilder systematisch entleert und rohe Emotionen in der Montage ungehemmt gegeneinander prallen lässt.
Leider schreckt der Film bisweilen vor der eigenen Courage zurück. In der Tat bewundert man eher den nicht realisierten Film, der als Möglichkeit hinter den Bildern steht, als diese selbst. Immer wieder gelingt es dem drögen Indiekino der Gegenwart, sich und seine langweilige Agenda irgendwie in Shotgun Stories zu schmuggeln. Immerhin hat Nichols den Mut, die Figur, die diese Tendenz fast paradigmatisch verkörpert - einen sympathischen Looser, der drauf und dran ist, sein Looserleben gegen eine geregelte Existenz auszutauschen -, als erste draufgehen zu lassen. Danach bleibt der Film meist angenehm straight, allerdings bleibt stehts eine Differenz sichtbar zwischen Sprechen und Handeln, die ganz und gar nicht dieselbe ist wie die Differenz in Badlands zwischen Kits sozialer Unsicherheit und seiner grandiosen Körperbeherrschung sondern vielmehr die Schwierigkeiten deutlich macht, denen ein Film wie Shotgun Stories zwangsläufig begegnen muss. Schwierigkeiten, die mit der verschwindenden Fähigkeit zu tun haben, die soziale Realität des kleinstädtischen Amerikas angemessen zu fassen und zu repräsentieren. Schwierigkeiten, die Shotgun Stories jedoch alles in allem um einiges besser meistert als die allermeisten Indiefilme der letzten Jahre.

Sunday, February 04, 2007

Berlinale 2007: Nachmittag, Angela Schanelec, 2007

Nachmittag verrät in fast jeder Einstellung ein ungeheures Formbewußtsein, ein - hier kein bisschen unangebrachter - Kunstwille, der mit der Gegenüberstellung einer perfekt ausmessbaren Theaterbühne einerseits und den durch Montage und Einstellungsgröße (dominierend sind überaschenderweise Großaufnahmen) dekonstruierten Räumlichkeiten einer (schätzungsweise) südwestberliner Villa beginnt und mit den, glücklicherweise mehr an Arslans Der schöne Tag - überhaupt erinnert viel an Arslan - als an Marseille gemahnenden Dialogen noch lange nicht endet. Die Dialoge: Manchmal dauern sie dann doch wieder den einen Satz zu lang, dann fallen Worte wie "Liebe mich! Liebe Mich!" oder man redet über die Seele. Glücklicherweise jedoch sind die meisten Gespräche von Anfang an so abstrus, dass auch diese leichten Unsicherheiten nicht mehr wirklich ins Gewicht fallen.
Mein Lieblingsbeispiel (aus dem Gedächntnis zitiert):
"Er sieht schlecht aus."
"Nein, er sieht nicht schlecht aus. Er ist nur auf das wesentliche reduziert."
"Was soll das denn jetzt heißen?"
Obwohl der Film in formaler Hinsicht streng wie eh und je ist (manche einstellungen gemahnen auch noch etwas zu sehr an die alte Schanelec, wenn beispielsweise minutenlang ein Küchentisch ins Bild grückt wird, dessen Benutzer nur zu erahnen sind), scheint Schanelec sich selbst und dem Zuschauer gelegentlich etwa mehr Freiheit gewähren zu wollen, in Gestalt des wunderbaren Fritz Schediwy sogar ein bisschen Comic relief.
Rückblickend ist man fast geneigt, in Hinblick auf Nachmittag Schanelec sogar Marseille zu verzeihen. Vielleicht war dieses prätentiöse Formexperiment tatsächlich notwendig als eine Art ästhetischer Läuterung, um von den gelegentlich doch noch etwas naiv-realistischen Frühwerken, die dem Geheimnis minutenang tanzender Mädchen hinterherjagten (Plätze in Städten) oder sich in Strassenlärmexzessen dem Lebensgefühl der Großstadtthirtysomethins anzunähern versuchten (Das Glück meiner Schwester) zu einer Filmform zu gelangen, die in ihrer Flexibilität geeignet ist, modernes Großstadtleben im Schanelec-Milieu adäquat, das heißt mit ästhetischen wie epistemischen Haken und Ösen an allen Ecken und Enden, darzustellen.

Thursday, February 01, 2007

Unseen Berliner Schule

Cannae, Wolfgang Schmidt, 1989
Chronik des Regens, Michael Freerix, 1990

Wolfgang Schmidts Cannae und Michael Freerix' Chronik des Regens entstanden offensichtlich unter vollkommen anderen Produktionszusammenhängen und mit anderer Intention als alles, was heute - ob Berliner Schule oder nicht - unter dem Begriff Deutscher Autorenfilm firmiert. Boheme-Intellektualität trifft auf radikale Formexperimente und selbstbewusste Undergroundmentalität. Einerseits scheinen die Filme noch nicht alle Verbindungen zum Neuen Deutschen Film Kluges und Konsorten gekappt zu haben, bedienen sich zumindest ähnlicher formaler Mittel, andererseits ist von deren Sendungsbewusstsein nichts mehr übrig geblieben. Eine gewisse Ziellosigkeit - nicht nur innerhalb der Diegese, sondern auch im Zugriff auf unterschiedliche Diskurse - ist nicht zu übersehen. Vor allem jedoch begeistert - auch im Vergleich mit den Filmen der Berliner Schule - der Mut zum hässlichen Bild, gerade bei Schmidts Cannae, einer grandiosen Spielwiese aus Industrial-Trash, selbstreflexiven Absurditäten und Versatzstücken bundesdeutscher Institutionen aller Art, die in ihrer ganzen Widerwärtigkeit abgebildet werden. Diese radikale Heterogenität wäre im kleinen Fernsehspiel des ZDF sicherlich nicht allzu gerne gesehen. Erkennbar ist dies ein Kino, das nicht auf Festivals schielt, jedoch auch zu idiosynkratisch-intellektuell wirkt, um im subkulturellen Undergroundkontext goutierbar zu sein. Chronik des Regens erscheint etwas anschlussfähiger innerhalb der Medienlandschaft und weist in stilistischer Hinsicht auch Ähnlichkeit zu einigen Berliner-Schule-Regisseuren auf, doch auch Freerix' Werk und sein immer etwas zu derangierter Protagonist, der immer etwas zu deplazierte Sätze sagt, sind weit von aktuellem Festivalkino gleich welcher Spielart entfernt. Beide Filme sind deutlich erkennbar als isolierte Werke, die keine Schule begründen und dies wohl auch gar nicht wollen und verweisen auf ihre scheinbar extrem periphere Position im deutschen Kino der späten Achtziger / frühen Neunziger Jahre. Gleichzeitig machen sie deutlich, was die Berliner Schule mit jedem Schritt, den sie in Richtung auf ein harmloses, arthauskompatibles Filmschaffen unternimmt, zu verlieren droht; nämlich letzten Endes die gesamte Originalität einer filmischen Form, die sich nicht den Launen des Kulturbetriebs und dem geschmäcklerischen Diktat des Feuilletons unterwerfen, sondern auf ästhetischer Eigenständigkeit und einem vielschichtigen, subversiven Zugriff auf Zeitgeschichte beharrt.