Thursday, December 14, 2006

Snake Eyes, Brian De Palma, 1998

In Snake Eyes hat Brian De Palma leichtes Spiel: Das Drehbuch ist dermaßen banal und unwichtig, dass es nie zum Balast wird, sondern seine Rolle darin erschöpft, einen Schauplatz zu liefern, der sich geradezu perfekt nicht nur für technische Bravourstücke eignet, sondern auch für mediale Reflektionen jeglicher Art und den ständigen Wechsel verschiedener Blickwinkel und Subjekt-Objekt Verhältnisse. Die völlig entfesselte Kamera erscheint dieser kokaindurchtränkten, von fieberhafter aber meist eher ziellose (und vor allem extrem zirkulärer und selbstgenügsamer) Geschäftigkeit durchdrungenen Boxarena voll und ganz angemessen, ist diese selbst doch an allen Ecken und Enden von Überwachungskameras erschlossen, deren genaues Treiben kaum jemand mehr zu überblicken scheint. Ebenso wie es unmöglich erscheint, aus den Daten der unterschiedlichen Kameras innerhalb der Diegese auch nur irgend etwas korrekt zu rekonstruieren (aber nur, weil es zu viele Kameras gibt, nicht etwa zu wenig), verschwindet auch die Boxarena als konkret erfahrbare physikalische Räumlichkeit, je unbeschränkter De Palmas Zugriff auf dieselbe erscheint. Selbst die - ansonsten vollkommen nebensächliche - Handlung verläuft nach ähnlichem Muster: Je mehr Personen die Ereignisse um den Boxring herum erhellen, desto bescheuerter wird der Komplott, der sich schließlich daraus ergibt.

Haze, Tsukamoto Shinya, 2005

Tsukamoto ist von all den jungen Wilden, die das japanische Kino seit ungefähr Mitte der Achtziger heimsuchen, wahrscheinlich der talentierteste, sicherlich aber derjenige, der seine Visionen am ungefiltertsten auf die Leinwand zu bannen vermag. Und so ist auch Haze wieder einmal Körperkino in Extremform.
Zu Beginn lernen wir einen Mann in einem Keller kennen. Bis auf ein paar gestammelte Worte, die alles oder nichts besagen können, ist die Bekanntschaft rein somatisch: Glänzende Muskeln, immer wieder das Gesicht, das aber nichts ausdrückt, da im Gegenteil ständig irgendetwas auf es (und den ganzen Körper) einwirkt. Die Sinneswahrnehmungen und Körpererfahrungen, die im ersten, unglaublich intensiven, Abschnitt evoziert werden, sind stets so angelegt, dass sie die Alltagserfahrung des eigenen Körpers überschreiten, ja selbst das Einfühlungsvermögen. Die somatischen Zustände, in die Tsukamoto seine Hauptfigur (i.e. sich selbst) versetzt, sind nie ganz fassbar und wirken dadurch umso stärker.
Plötzlich erscheinen dann genuine Splatterfilmbilder, die fast wie eine Befreiung wirken. Zwar ist immer noch kein narrativer oder sonstiger Zusammenhang in Sicht (das wird sich bis zum Ende der knapp 50 Minuten auch nicht ändern), doch die Spannung, die durch die unklare Inanspruchnahme der menschlichen Physis entstand, löst sich zumindest teilweise: Ein abgehackter Arm ist eben ein Abgehackter Arm und ein Leichenberg ein Leichenberg.
Im Folgenden nähert sich Tsukamoto dann dem Erzählkino und führt seinen Protagonisten schließlich aus dem Kellerverließ. Die letzten paar Minuten, in gleissend hellen Räumen und im Sonnenlicht, haben jedoch nur den Effekt, die bedrängende Kellerminuten mit einigem Abstand noch deutlicher zu akzentuieren.

Friday, December 08, 2006

Close-up, Abbas Kiarostami, 1990

An einer Stelle in Abbas Kiarostamis Close-up rollt eine Blechdose, angetreten von einem Journalisten, die Straße herunter. Die Kamera verfolgt diese Bewegung mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der sie in anderen Sequenzen den Figuren folgt. Diese Szene fällt durchaus auf und irritiert, nicht nur, weil der restliche Film zu weiten Teilen über Dialoge zu funktionieren scheint, sondern auch, weil die Struktur des Werks auch darüber hinaus sehr diskursiv angelegt ist und viele selbstreflexive Elemente enthält. Die Dose wird jedoch nicht - wie etwa die Plastiktüte in American Beauty - metaphorisch oder sonstwie aufgeladen, wird nie Teil eines Diskurses, sondern bleibt ein rein physikalisches Objekt, dessen Bewegung scheinbar automatisch die adäquate Reaktion der Kamera auslöst.
Die unterschiedlichen Vermittlungsinstanzen, die zwischen der Filmhandlung und dem Zuschauer liegen, werden in Close-up nicht durch formale Spielereien oder intertextuelle Verweise offengelegt, sondern durch konkrete Eigenschaften des filmischen Bildes, der Tonspur und der Einstellungen. Besonders deutlich wird dies unter anderem in der Sequenz am Ende des Films, in welcher Makhmalbaf auftritt. Während der Begegnung des Regisseurs mit seinem Bewunderer scheint die Tonspur zusammen zu brechen, auch die Kamera hat Mühe, den beiden zu folgen. Bild und Ton scheinen angesichts einer Art semantischen Überladung der gesamten filmischen Struktur zusammenzubrechen.

Sunday, December 03, 2006

The Last Kiss, Tony Goldwyn, 2006

Eigentlich lassen die Voraussetzungen das schlimmste befürchten: Drehbuch Paul "Crash" Haggis, Hauptdarsteller Zach "Garden State" Braff und auf der Soundspur tonnenweise Indierock. Dass das ganze dann doch nicht nur erträglich geworden ist, sondern sogar tatsächlich als halbwegs gelungen bezeichnet werden darf, gehört sicher zu den Überaschungen dieses Kinojahres. Vielleicht liegt es an der mir unbekannten Vorlage (möglicherweise drehen die Italiener so gute Schnulzenfilme, dass sie nicht einmal vom amerikanischen Indiekino in den Sand gesetzt werden können). Vielleicht lässt sich der verhältnismäßige Erfolg des Films auch damit erklären, dass Filmemacher und Milieu perfekt zusammen passen. Zumindest wird schnell deutlich, dass Haggis kleinstädtische WASPler mehr liegen als das multiethnische LA. So umschifft The Last Kiss ohne allzugroße Schnitzer selbst potentiell schwer peinliche Momente und gerät nur im ersten Filmdrittel, in welchem Goldwyn dann doch etwas zu penetrant versucht, ein "Lebensgefühl" oder was zu evozieren, manchmal ins schleudern. Überhaupt ist die Regie erstaunlich solide, was überascht, da gerade im Indiebereich das amerikanische Kino handwerklich derzeit ziehmlich vor die Hunde geht...
Doch auch meine Meinung zu Mister Haggis muss ich wohl langsam aber sicher revidieren (den stärkeren Beitrag leistet hier freilich Flags of our Fathers). Zwar ist die Filmstruktur vergleichbar mit Crash, doch hier versucht niemand, alle Fäden am Ende des Films manisch wieder einzufangen. Zwei Charaktere dürfen denn tatsächlich der Indierockhölle entkommen und selbst die äußerst wertkonservative Auflösung der Hauptgeschichte ist nicht ohne Charme und zumindest um einiges erträglicher als irgendeine halbgare Emanzipationsvolte, die dem Zeitgeist sicher mehr entsprechen würde. Nein, auch Milieus wie dieses müssen sich reproduzieren und das funktioniert halt dann im Zweifelsfall genau so, wie in The Last Kiss.
Wer mit dem Ganzen trotzdem nichts anfangen kann, der hat noch eine weitere Möglichkeit, den Film zu genießen: Durch Beobachtung der Hauptfigur. Zach Braff (der hier gottseidank nicht selber Regie führt) schaut bereits in der ersten Einstellung mit einem derart entrückt-geistlosen, zombieartigen Gesichtsausdruck in die Luft, dass einem Angst und Bange werden kann. Im Weiteren gelingt ihm das Unmögliche: Der Mann schafft es doch tatsächlich, in jeder Szene noch ein wenig blöder aus der Wäsche zu schauen. Das soll ihm erst einmal einer nachmachen.

Friday, December 01, 2006

The Long Goodbye, Robert Altman, 1973

Marlowes Appartement liegt hoch über der Stadt und scheint gleichzeitig gar nicht zu derselben zu gehören. Zu absurd erscheint die Raumkonstruktion, die halbnackten Hippiemädchen der Nachbarschaft verstärken noch den irrealen, traumartigen Eindruck, welchen die Wohnung des Detektivs erzeugt. Doch nicht nur dieser Ort ist meilenweit von den Hard-Boiled Klischees entfernt, die mit den Romanen Raymond Chandlers verbunden sind. Altmans LA wird bewohnt von kauzigen Freaks, die ständig in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen und aus den verschiedensten Filmen zitieren.
Die vielleicht auffälligsten formalen Merkmale des Films finden sich auf der Tonspur. Die Titelmelodie (mitsamt Text) wird in ständig wechselnder Modulation wiederholt, passt sich oftmals unmerklich dem Ort der Handlung an und wechselt fließend zwischen nondiegetischem und diegetischem Gebrauch. Eine ähnliche Position nehmen auch gesprochene Sätze ein, Elliot Gould redet im Grunde ständig, doch nicht immer zum Zwecke der Kommunikation, oft wechselt sein Monolog in den Modus eines mehr oder weniger assoziativen Bewusstseinsstroms.
Auch Kameraführung und Montage sind von fließenden Bewegungen bestimmt, innerhalb der einzelnen Szenen gehen subjektive, subjektivierende und objektive Aufnahmen oft unmerklich ineinander über. Auffallend ist auch das Framing der Personen. Marlowe, die nominelle Hauptfigur, rückt manchmal (vor allem während der Party, nach welcher der Schriftsteller ertrinkt) minutenlang in den Hintergrund, ist zwar noch im Bild zu sehen, ergreift jedoch nie die Initiative. In anderen Sequenzen öffnen sich seltsame Bildräume, vor allem in Spiegelungen.
In der Sequenz, in welcher Marlowe an den Strand geht, während der Schriftsteller sich mit seiner Frau unterhält, ist das Spiel mit unterschiedlichen Perspektiven und Bildräumen vielleicht am deutlichsten zu erkennen. Nachdem Marlowe das Haus verlassen hat, verlässt auch die Kamera die Wohnung und filmt das Gespräch des Ehepaares durch die Fensterscheibe, was allerdings nicht die Perspektive Marlowes ist, welcher kurz darauf in einer Spiegelung der Scheibe in einem neuen Bildraum zu sehen ist. Diese Sequenz ist auch deshalb ausergewöhnlich, weil der Rest des Films recht konsequent aus Marlowes Perspektive erzählt ist (nicht visuell, aber inhaltlich).
Die am konventionellsten aufgelöste Szene findet sich ganz am Ende des Films. Elliot Gould streift für einen Moment alle Manierismen ab und schlüpft in die Rolle eines echten Hard-Boiled Helden. Das Aufeinandertreffen mit dem ehemaligen Freund wird in klassischer Schuss-Gegenschuss Technik dargestellt. Ironischerweise stellt diese Szene die größte Abweichung von der Romanvorlage dar, die Robert Altman sich erlaubt.

Sunday, November 26, 2006

Casino Royale, Martin Campbell, 2006

Casino Royale stellt in keiner Weise die Rückkehr zu irgendwelchen Wurzeln der James-Bond Reihe dar, wie mancherorts vermutet wird. Ganz im Gegenteil: Mit seinem neuen Abenteuer ist 007 vielleicht erstmals seit den ersten Abenteuern in den frühen Sechziger Jahren wieder auf der Höhe des Zeitgeistes angekommen. Von der schwarz-weissen Eröffnungssequenz in der Art von Sin City - einem letztlich vollkommen willkürlichen Stilzitat - über die Afrikaepisoden, die durch Handkameraeinsatz und andere Spirenzchen eine soziale Wirklichkeit so schamlos zu evozieren versuchen, wie es die Bond-Klassiker nie versucht hätten bis zur - freilich schon in GoldenEye durchexerzierten - Dekonstruktion des eigenen Mythos samt Geschlechterrolle und weiss der Teufel was verrät jede Szene das Ziel, ja nicht antiquiert wirken zu wollen im Vergleich mit Bourne Supremacy bzw. MI:3. Und in Sachen Product Placement kann Casino Royale sowieso niemand etwas vormachen. Hätte der Streifen nicht mit dem MGM-Logo begonnen, die Grenze zwischen Werbung und Hauptfilm wäre schwer auszumachen gewesen.
Auch die fast verzweifelt wirkende Betonung des Indexikalischen kennt man aus obigen Beispielen. Campbell geht jedoch weiter als die Konkurrenz. Der Vorspann suhlt sich in einer heruntergekommenen Toilette, die bald die Spuren des ersten Opfers des neuen 007 trägt, in jeder zweiten Szene wird Daniel Craig (der selbstverständlich kein echter James Bond ist!) eine neue Wunde zugefügt, das Blut fließt, wie der Schweiss, in Strömen und wird in zahlreichen Großaufnahmen fetischisiert, einmal ist sogar die Reproduktionsfähigkeit des Agenten ernsthaft in Gefahr. Auch der Bösewicht definiert sich über eine Körperflüssigkeit. Überhaupt wird der Film von einer manchmal recht aufdringlichen Zeichenlogik durchzogen, was bereits mit der Ausstellung des hyperklassischen MGM-Logos beginnt. Die Entkleidung der Figur von einem Großteil ihrer Insignien dient nur dazu, dieselben nach und nach wieder ins Spiel zu bringen, eine Taktik, die zwar recht gut funktioniert, aber auf eine Krise der Filmserie verweist. Campbell vertraut der Formel nicht mehr und wie die meisten Metagenrefilme löst sich auch Casino Royale etwas zu stark vom dem Regelwerk ab, auf dem er basiert.
Ist Casino Royale ein guter Bond? Zu weiten Teilen und vor allem in den zwei letzten Filmdritteln, die wieder an die traditionell schwachsinnigen Plotlines und die Konsumgeilheit des Franchise anschließen, durchaus. Ärgerlich ist neben einigen Kleinigkeiten (dem Titellied beispielsweise) vor allem die Tatsache, dass die hektischen und unkoordinierten Actionsequenzen - wie in den meisten Bonds der letzten beiden Jahrzehnten - nicht überzeugen können. 007 hätte es langsam verdient, einmal einen wirklich guten Actionregisseur zu bekommen, Walter Hill meinetwegen, oder Tony Scott. Vielleicht sogar John Woo. Die richtige Figur für einen echten Actionreißer hat Craig ja durchaus.

Thursday, November 23, 2006

Mes petites amoureuses, Jean Eustache, 1974

Mangelnde Sprachkenntnis mag manchmal eine neue, fruchtbare Rezeptionsmethode erschließen, hier funktionierte es leider nicht besonders gut...

Auffallend sind Einstellungen oder auch Einstellungsfolgen, die sich vollständig selbst zu genügen scheinen, die nur darauf aus sind, einen spezifischen Wahrnehmungs- beziehungsweise Erinnerungszustand einzufangen, sei es in einer einfachen Totalen (die Kinder auf dem Baum) oder komplexen Kamerabewegungen inklusive Spiegeleffekten (die Szene, in welcher die Hauptfigur mit seinen Freunden vor dem Cafe sitzt, ist sicher das beste Beispiel). Diese Einstellungen besitzen kaum eine Motivation, die über den intrinsischen Wert der Bilder und Töne hinausgeht.

Dodge City, Michael Curtiz, 1939

Ein wunderschöner, mehr als nur latent faschistoider Technicolor-Western ist Michael Curtiz, einem der großen Nicht-Auteurs des klassischen Hollywoodkinos 1939 gelungen. Errol Flynn herrenmenschelt durch Dodge City, führt mit eiserner Klaue und kaum verhohlenem Sadismus eine vor allem im ästhetischen Sinne widerliche Version von Law & Order ein (am Ende verkörpert die Stadt eine unschöne Mischung aus neureichem Spießertum und als Puritanismus verkleidetem Sexismus) und domestiziert zwischendrin noch Olivia de Havilland, die anfangs aus absolut unverständlichen Gründen noch sauer darüber ist, dass der gute Errol Mitschuld am Tod ihres Bruders trug (weibliche Logik eben, wie sie ein anderer Charakter im Film anprangert).
Insgesamt ist die Konsequenz zu bewundern, mit welcher der Film seine Figuren instrumentalisiert. Am deutlichsten wird diese Tendenz am Beispiel eines kleinen Jungen, der erst einige charmante Szenen erhält, nur damit sein grausamer Tod die Anschließende Sheriffwerdung Flynns nur um so eindrucksvoller rechtfertigt - Griffith hätte dies nicht besser lösen können. Auch andere Figuren werden in ähnlicher Weise ausgebeutet, ganze Familienschicksale werden in kurzen Vignetten evoziert, um Flynns Rachefeldzug zu rechtfertigen und anschließend wieder fallengelassen.
Am Ende - dazwischen findet sich noch eine der schönsten Prügeleien der Filmgeschichte - ist die spaßigen Anarchie der Welt eines offensichtlich anal fixierten Schnurrbartträgers (der zivilisatorische Fortschritt erschien selten weniger wünschenswert als in diesem Film) gewichen. Der widerum macht sich auf die Suche nach einem neuen Objekt für seinen Sadismus und reitet westwärts.

Thursday, November 16, 2006

Der schöne Tag, Thomas Arslan, 2001

Der schöne Tag scheint auf den ersten Blick "Authentizität" in extremer Form zu versprechen: Ein einzelner Tag einer jungen Frau in Berlin soll erzählt werden, ein mehr oder weniger zufällig ausgewählter Abschnitt aus dem Leben. Noch dazu ist Deniz Deutsch-Türkin, auch der Regisseur hat einen türkischen Vater. Der 3-Sat Trailer vor der Videoaufnahme - "jung, deutsch, türkisch" - macht die damit verbundenen Erwartungen klar. Arslans Film jedoch dekonstruiert alle Ansprüche, die an das Werk gestellt werden können, mit Leichtigkeit.
Die 24 Stunden, die Der schöne Tag erzählt, formen sich eben gerade nicht zu einem wie auch immer repräsentativen Tag aus dem Leben eines mehr oder weniger beliebigen Menschens. Statt dessen wird die filmische Konstruktionsarbeit in fast jeder Einstellung deutlich. In Der schöne Tag sind alle Sequenzen aufeinander mit dem Ziel abgestimmt, die Lebenswelt Deniz' möglichst umfassend abzubilden. Arslans Film behandelt nacheinander dei Trennung vom Freund, die Arbeit, die familiäre Situation, eine neue Liebe usw. Die Beschränkung der Erzählung auf einen einzigen Tag dient so vor allem dazu diese Konstruktionsarbeit auf Seiten des Regisseurs (bzw des Drehbuchautors) sowie die Rolle der ästhetischen Vermittlung allgemein deutlich zu machen.
Die Distanz zum exotizistischen 3-Sat Trailer ist mindestens ebenso deutlich. Deniz definiert sich nie über die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe. Zwar ist Der schöne Tag in mancher Hinsicht durchaus ein Film über den Alltag von Migranten in Deutschland. Ganz nebenbei stellt Arslan verschiedene Entwürfe des Umgangs mit der eigenen Herkunft - bzw der Herkunft der Vorfahren - nebeneinander: Die Nachbarskinder, die Mutter, die scheinbar völlig assimilierte Schwester. Allerdings vermeidet der Film konsequent alle Klischees, alle emblematischen Bilder (Kopftücher etc), ganz allgemein jeglichen kulturellen Essentialismus. Der Umgang mit Ethnien erscheint ganz im Gegenteil eher spielerisch, zumindest von Seiten der Regie: Bilge Bingul als Diego ist wohl vor allem deshalb Portugiese, weil er in Petzolds Die innere Sicherheit Jeanne genau dort kennen lernt.
Auch an einzelnen formalen Eigenschaften lässt sich ablesen, wie der Film stets auf das eigene Konstruktionsprinzip verweist. Beispielsweise durch die Offenlegung der filmischen Konventionen in Gesprächsszenen, deren Auflösung in der Schuss / Gegenschuss Technik durch eine extreme Betonung von Bickachsen geprägt ist. Der Wechsel auf die andere Seite der Achse - die 180-Grad Regel wird mit aller Penetranz befolgt - wird durch eine aufdringliche laterale Kamerafahrt illustriert. In einer anderen Szene schaut Deniz einer U-Bahn hinterher. Die Kopfdrehung nimmt die Bewegung der Bahn mit klinischer Präzision auf - allerdings fährt der Zug in der "falschen" Richtung aus dem Bahnhof heraus.

Monday, November 13, 2006

Archangel, Guy Maddin, 1990

Alle Filme Maddins gehorchen einer Art Traumlogik, doch Archangel ist in dieser Hinsicht sein vielleicht konsequentestes Werk. Nicht nur der Traum als solcher wird evoziert, sondern immer auch das Aufwachen, das Sich-erinnern, oder eben meist nur das Sich-ein-klein-wenig-erinnern. Die Figuren leiden unter chronischer Amnesie und spielen in wechselnden Rollen immer wieder dieselbe Geschichte in kleinen Variationen, umgeben von exquisit zusammengeträumten Kriegskulissen.
Auch die Historie ist nicht mehr als ein Traum, oder eben ein Puppenspiel, die Grenzen verschwimmen ständig. Letztlich ist die parodistisch-absurde historische Inszenierung, die Maddin am Anfang seines Werkes präsentiert, der sogenannten geschichtlichen Wahrheit näher als alles andere in Archangel.
Oder zeigt der Film vielleicht doch die Russische Revolution, wie sie wirklich war? Zumindest ist Maddins Darstellung der Bolschewiken als blutrünsige Kannibalen, die von den heroischen Bauern mit ihren eigenen Gedärmen ins Jenseits befördert werden (in dieser Szene lugt doch tatsächlich Story of Ricky, ein Jahr nach Maddins Film entstanden, aus seiner ganz speziellen Ecke der Filmgeschichte hervor), ein erfrischender Gegenentwurf zu den bierernsten Manifesten Eisensteins und Pudovkins.

Freedomland, Joe Roth, 2006

Eine Mutter meldet der Polizei, ihr Sohn sei von einem Afromerikaner entführt worden. Während der hektischen Ermittlungen entstehen bals Zweifel an dieser Version der Geschichte.

Polizisten mit heruntergeklapptem Visier stehen einer wütenden Gruppe Afroamerikanern gegenüber. Die Versuche des ebenfalls farbigen Polizisten Lorenzo Council (Samuel L. Jackson), die Lage zu beruhigen, scheinen erste Früchte zu tragen, als der während einem Verhör misshandelte Kleinkriminelle Rafik (Fly Williams) auf die zurückweichenden Uniformierten zustürmt und die Situation eskalieren lässt. Das Resultat: Chaos in New York.

Das Gesicht der Wahrheit ist ein Film über Rassismus und Polizeigewalt. Gleichzeitig erzählt Regisseur Joe Roth jedoch auch von der ehemaligen Drogenabhängigen Brenda Martin (Julianne Moore), die bei der Polizei angibt, ihr Kind sei von einem Farbigen entführt worden, woraufhin die Behörden den angeblichen Tatort hermetisch abriegeln und den Zorn der Einwohner auf sich ziehen. Mit der Zeit wachsen jedoch bei allen Beteiligten die Zweifel an Martins Geschichte. Ein schrecklicher Verdacht drängt sich nicht nur dem ermittelnden Kommissar Council auf.

Roths Film erzählt mindestens zwei unterschiedliche Geschichten, die zwar viele Berührungspunkte haben, sich jedoch gegenseitig oft im Weg zu stehen scheinen. Einerseits ist Das Gesicht der Wahrheit wie oben beschrieben ein – etwas halbherziger – Diskurs über die Logik der Gewalt, die aus ethischen Problematiken hervorgeht. Weder wird die Situation auf ihre Ursachen hin untersucht, noch ein Ausweg vorgeschlagen. So liefert der Film nicht mehr als die Klischees, die inzwischen allgemein bekannt sein dürften: Gewalt entsteht aus Intoleranz und erzeugt Gegengewalt.

Interessanter ist die Entführungsgeschichte. Von Anfang an ist die Beziehung zwischen Martin und Council seltam ambivalent. Gegen Ende fügt der Film dem ständig präsenten Rassismusthema eine psychosexuelle Dimension hinzu, die leider kaum ausgearbeitet wird und ebenso wie vieles andere in der Luft hängen bleibt.

Das Grundproblem von Das Gesicht der Wahrheit ist ein Strukturelles. Weder gelingt es Roth, den ansonsten solide inszenierten Film zu einem schlüssigen Ende zu führen, noch werden die einzelnen Erzählstränge ausreichend verknüpft und hierarchisiert. Vor allem jedoch ist Samuel L. Jacksons Figur eindeutig überfrachtet und scheint dazu auserkoren, nicht nur alle Probleme des Films, sondern der gesamten amerikanischen Gesellschaft in sich zu vereinigen. Statt den Film zusammenzuhalten, werden sowohl das persönlichen Drama Martins als auch die Rassismusproblematik nicht ausschöpfend behandelt und stattdessen auf Council projiziert.

Vor allem im Falles des letzteren ist dies ärgerlich. Zwar ist anzuerkennen, dass das kommerzielle amerikanische Kino inzwischen Themen wie Polizeigewalt und Diskriminierung für sich entdeckt hat. Der Modus der Auseinandersetzung ist aber, das beweist Freedomland genauso wie letztes Jahr L.A. Crash (Crash), meist wenig überzeugend.


Ursprünglich erstellt für critic.de, dort nie erschienen

Thursday, November 09, 2006

Plätze in Städten, Angela Schanelec, 1998

Die Kamera verweigert sich nie ganz den Darstellern. Die Figuren bleiben immer Bereich der größten Schärfe und manchmal folgen Schwenks den Bewegungen. Ganz selten werden Schnitte sogar durch Blicke oder Bewegungen motiviert. Allerdings gewinnen die Bilder stets einen starken Eigenwert jenseits der narrativen Motivation. Dies geschieht durch unterschiedliche Strategien, nicht nur durch die außergewöhnliche Länge der Einstellungen. Einerseits durch piktorale Anordnungen, die sich mit leichten Variationen wiederholen (vor allem Gebäude werden oft in ähnlicher Weise dargestellt), aber auch durch die Weigerung, zu rekadrieren wenn sich die Figurenanordnungen verschoben haben. Besonders deutlich wird diese Technik in einer Einstellung zu Beginn des Films: Zu sehen ist der Schulhof, die Geräusche entstammen jedoch dem Klassenzimmer. Erst der nächste Schnitt macht klar, dass die Einstellung wohl durch einen Blick motiviert war, aber ganz aufgelöst wird dies nicht.
Der Unterschied zwischen Berlin und Paris ist ein gradueller, kein qualitativer. Die Struktur der Städte – Berlin ist geprägt von viel freiem Raum zwischen den Häusern, von Grünflächen und Brachlandschaft, Paris dagegen von dicht bebauten Straßenzügen und Unmengen von Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln – scheint sich auf den Erzählstil auszuwirken: Die Episoden in Paris sind eher im klassischen Sinne elliptisch angelegt – wie die Filme Tsai Ming Liangs etwa –, zwar finden sich zahlreiche Auslassungen, jedoch ist es dem Zuschauer stets möglich, die Lücken in der Narration zu füllen. In Berlin dagegen funktioniert dies nicht mehr, eine zusammenhängende Erzählung will nie entstehen, Personen tauchen kurz auf und verschwinden wieder und oft kann man nicht einmal bestimmen, ob zwischen zwei Einstellungen eine Stunde, ein Tag oder eine Woche vergangen ist.

Friday, November 03, 2006

Die Innere Sicherheit, Christian Petzold, 2001

Ebenso wie Die Innere Sicherheit darauf verzichtet, mithilfe von Rückblenden die Motivation oder das konkrete Handeln der ehemaligen Terroristen zu erläutern – und dadurch der Gefahr entgeht, nostalgische linke Befindlichkeiten oder im Gegenteil revanchistisches Gedankengut zu bedienen –, konstruiert er auch innerhalb der erzählten Zeit des Films kleine Ellipsen. So etwa in der Szene, in welcher die Familie einen alten, inzwischen im System angekommenen Mitstreiter vergangener Tage aufsucht. Hier folgt die Kamera Julia Hummer ins Zimmer der Tochter des Hauses, während die Auseinandersetzung der beiden Väter ausgespart bleibt.
Auch der Banküberfall bleibt zunächst ausgespart, wird anschließend jedoch durch die Aufnahmen der Überwachungskameras nachgeliefert. Diese Sequenz ist eine von zweien (genau genommen gibt es noch eine dritte, da die Überwachungskamera bereits vorher eingeführt wird) in dem Film, in welchem sich der Bildstatus radikal ändert und die Kamera die Position des mehr oder weniger neutralen Beobachters einer „realistischen“ profilmischen Welt aufgibt. Die andere derartige Sequenz findet sich zu Beginn des Films in Portugal. Als Heinrich Jeanne von der Villa in Hamburg erzählt, öffnet sich diese dem Paar als eine Art utopischer Raum jenseits der Zugriffe von Familie, Erziehungsinstitutionen oder ähnlichem. Das Versprechen, das dieser Raum zu bieten scheint, kann die reale Villa – und das gesamte reale Hamburg – nicht einlösen. Hier siegt die Überwachungskamera.

Monday, October 30, 2006

Borat: Cultural Learnings of America for Make Benefit Glorious Nation of Kazakhstan, Larry Charles, 2006

Nach der Berliner Preview des Borat-Streifens (jetzt scheint sich zusätzlich ein Bruno-Film anzukündigen...) war ich eigentlich der Überzeugung, dass sich die politischen Auseinandersetzungen um das Werk nach dessen Kenntnissnahme bald in Luft auflösen. Inzwischen bin ich diesbezüglich weit weniger sicher, die Diskussionen finden sich unter anderem bei Christian zusammengefasst.
Nun bin ich selbst in diesen Fragen nicht unbedingt auf Seiten der Cohen-Fans, zumindest kann ich durchaus verstehen, wenn das Zentrum für Antiziganismusforschung oder auch stinknormale Kasachen von dem Streifen nicht allzu angetan sind. Diese Gruppen befinden sich nunmal ganz real in einer extrem peripheren Position, sei es politisch-ökonomisch oder ganz allgemein kulturell. Und wenn beispielsweise Zigeuner, die seit Generationen mit Rassismus der übelsten Sorte konfrontiert werden (und selbst heute keine nennenswerte Lobby besitzen, was man an dem geringen Medienecho des Protests ablesen kann) nicht von der Medienmaschinerie - für welche Zwecke auch immer - instrumentalisiert werden wollen, ist das zumindest zu respektieren. Diesen Leuten dann Nachhilfeunterricht in Humorverständnis oder ähnliches zu geben, ist doch eher ekelhaft, vor allem wenn man selbst westeuropäischer white male Heterosexual ist und eine ähnlich periphere Position am eigenen Leibe höchstens spüren kann, wenn man sich der falschen Jugendbewegung anschließt oder den falschen Fußballverein unterstützt. Naja, verboten werden soll der Film natürlich auf keinen Fall, eigentlich ist er aus meiner Perspektive auch ziehmlich großartig, aber halt nur aus meiner, aus anderen vielleicht doch eher eine besonders perfide Abart der Minstrel-Shows.
Aber grundsätzlich erwarte ich dennoch, dass die Proteste nach dem tatsächlichen Filmstart doch bald nachlassen. Denn der Borat-Film entzieht Kritikern jeglicher Coleur - außer vielleicht den Untergang-des-Abendlandes-Propheten, die sich in so mancher Sequenz schröcklich erregen dürften - geschickt die Argumentationsgrundlage. Die Szenen in "Kasachstan" sind in der Tat dermaßen überzogen, dass ein Imageschaden des Landes wohl kaum zu befürchten steht (wobei man eventuell fragen könnte, warum Cohen seinem Fantasieland nicht gleich einen Fantasienamen gibt) die antisemitischen und antiziganistischen Klischees denunzieren sich praktisch automatisch und selbst die Amerikakritik fällt differenzierter aus, alsman es a) von Michael Moore gewöhnt ist und b) nach dem Trailer erwarten konnte. Natürlich gibt es einige Sequenzen, die eine eindeutige Schlagrichtung erkennen lassen - vor allem in der Rodeoarena, aber auch im Van oder in der vielleicht zweitbizarrsten Szene des Films in der von extatischen Mittelklassengläubigen mit Intelligent-Design-Affinität und ohne Rhythmusgefühl besetzten Kirche, ansonsten hält sich der Film diesbezüglich deutlich zurück, näheres bei Thomas, auch in den Kommentaren.
Vor allem funktioniert die Entpolitisierung jedoch auf stilistischer Ebene. Cohens Humor ist nicht nur anarchisch, sondern, was meiner Meinung nach mindestens genauso wichtig ist, handwerklich auf hohem Niveau. Cohen entstammt nicht umsonst dem britischen Fernsehen, Weltmarktführer in dieser Disziplin zumindest in qualitativer Hinsicht und kennt sich in Sachen Timing, Running Gags, Fallhöhe und ähnlichem bestens aus. In vieler Hinsicht geht Borat mit dem Roadmovie ähnlich um, wie das großartige Viva La Bam seinerzeit mit der guten alten Soap Opera. Sowohl Magera als auch Cohen codieren alte dramaturgische Muster radikal um. Viva La Bam vermählt die Familienserie mit Jackass, Borat altbekannte Strickmuster mit einer zeitgemäßen Verion des Verstehen sie Spass-Prinzips. Ganz an die Knoxville-Magera Liga kommt Cohen allerdings immer noch nicht heran (obwohl der Fortschritt seit Ali G in da House unverkennbar ist). Die Distanz zwischen Figur und der realen Person, im Falle der Magera-Familie schlichtweg nicht mehr vorhanden, bleibt immer noch etwas zu sehr im Vordergrund, gerade in einigen der besonders deutlich gescripteten Episoden, wie etwa in der Herberge des jüdischen Ehepaares. Aus diesem Grund erwarte ich mir hiervon dann insgesamt doch noch etwas mehr als vom natürlich dennoch ziehmlich grandiosen Borat.

Friday, October 27, 2006

The Spook Who Sat by the Door, Ivan Dixon, 1973

Die beiden Blaxpoitationfilme, die Ivan Dixon anfang der Siebziger Jahre drehte, sind heute beide fast der Vergessenheit anheim gefallen. Und dass, obwohl der erste, Trouble Man, über einen der großartigsten Originalsoundtracks aller Zeiten verfügt (Marvin Gaye auf der Höhe seiner Kunst) und der zweite, The Spook Who Sat by the Door, gehört zu den ganz wenigen Genrevertretern, die eine offen politische Agenda besitzen, welche über einige wenige gutmenschelnde Ghettoklischees und "böser Polizist, gutes Polizeirevier" hinausreichen. The Spook Who Sat by the Door ist ein unzweideutiger Aufruf zum bewaffneten Kampf und vollzieht die Militarisierung der Black Power Bewegung in vollem Umfang nach - auch die Afrikanisierung der Bewegung lässt sich im Film deutlich ablesen.
In dieser Hinsicht ist Dixons Streifen höchstens mit Melvin van Peebles legendärem Sweet Sweetback's Baadasssss Song zu vergleichen. Dieser freilich nutzt die Form des Undergroundfilms, ist seines Selbstverständnisses nach Ausdruck und Aufschrei eines einzelnen Individuums, das noch weit entfernt von jeglicher Organsisationsstruktur versucht, das eigene Leben zu retten. Erst das letzte Bild verspricht einen Kampf, der von der Defensive zur Offensive übergeht. Und in der Tat kann der mithilfe von Spenden aus der schwarzen Community im Guerillastil gedrehte The Spook Who Sat by the Door als eine Art Fortsetzung des Werkes van Peebles gesehen werden, Sweetback hat seine Lektion gelernt und macht sich daran, dieselbe zu verbreiten.
Allerdings transformiert der Schritt in die Organisation die gesamte Stilistik. Die isiosynkratische Decoupage weicht einer strengen Ästhetik, die die Form des Genrefilms benutzt, sich jedoch in vielen Sequenzen fast einem Essayfilm in Sachen politischem Widerstand annähert: Dixon zeigt mit minutiöser Genauigkeit, wie die Waffen des Feindes gegen ihn selbst verwendet werden müssen, wie Verräter in den eigenen Reihen ausgeschaltet werden, welche Hilfsmittel man benutzen kann und auf welche man lieber verzichtet.
Dixon hält sich nicht auf damit, die Ungerechtigkeit des Systems zu zeigen und den Beweis zu führen, welche Gruppe Schuld daran trägt. Auch findet keine wirkliche Diskussion über die bestmögliche Taktik des Widerstands statt. Die Notwendigkeit zum bewaffneten Kampf wird vorausgesetzt, entscheidend ist nur noch die genaue Durchführung. Dass Ivan Dixon nach diesem militanten, formal erstaunlich konsequenten Traktat bis in die Neunziger Jahre hinein seine Karriere als Fernsehregisseur fortsetzen konnte, kann als kleines Wunder gelten.

Wednesday, October 18, 2006

When Worlds Collide, Rudolph Mathe, 1951

When Worlds Collide gehört sicherlich zu den respektableren Science-Fiction Filmen der Fünfziger Jahre, betrachtet man ihm im historischen Kontext. Das Genre war zu dieser Zeit im Allgemeinen von trashigen Rieseninsekten, hölzern agierenden "Wissenschaftlern" und deren hoch intellektuellen Diskursen sowie allgemein von extrem kleinen Budgets bestimmt. Klar, auch When Worlds Collide ist kein Ben Hur, die Schauspieler sind ausnahmslos B-Movie-Veteranen und die Special Effects sind zwar niedlich aber doch weit unter Harryhausen-Niveau. Insgesamt jedoch gelingt Mathe ein solider und im Vergleich zur Konkurrenz nicht einmal allzu spekulativer Endzeit-Streifen, der Fans klassischer Technicolor-Spektakel viel Freude bereiten wird.
Blendet man jedoch philologische Überlegungen aus, entsteht ein ganz anderes Bild und der Film entpuppt sich als ein noch viel unglaublicheres Werk als all die Invasions-Parnoia Streifen desselben Jahrzehnts.
Der ebenso rassistische wie puritanische Geist, der den gesamten Film durchzieht, ist nicht zu übersehen, zeitgeschichtlich bedingt und findet sich in zahllosen weiteren Werken dieser Epoche. Dass die Besatzung der amerikanischen Rakete ausschließlich aus jungen, knackigen, Windhund-Kruppstahl-tauglichen WASPs besteht, dass Männlein und Weiblein die Reisevorbereitungen -und ihr übriges Leben ebenso - strikt getrennt voneinander zustande bringen, dass das wichtigste Buch an Bord die Bibel ist und die gesammelten Werke Shakespeares eher schamhaft am hinteren ende des Regals stehen, dass die Humanismus-versus-böses-Profitstreben-Debatte des Films verlogen bis dorthinaus ist, all dies hebt den Film, beziehungsweise dessen Camp-Potential, noch nicht über das der Konkurrenz hinaus.
Vielmehr ensteht dasselbe durch ein spezifisches Produktionsdesign. Begonnen bei der UN-Versammlung, die den Erkenntnissen der amerikanischen Wissenschaftler über die baldige Vernichgtung der Erde keinen Glauben schenken mag: die dort versammelten ausländischen Vertreter bedienen rassistische Stereotype auf perfekte Weise dergestalt, dass nicht nur Hautfarbe, Kleidung, Sprache, Verhalten etc exaktdarauf ausgerichtet sind, die richtige Mischung aus harmlosem Exotizismus und verschiedenen, nicht zu offenkundigen Formen des Untermenschentums zu evozieren, sondern auch die Sitzordnung im Gremium eine genaue Einordnung der jeweiligen Geisteshaltung in minimalen Abstufungen erlaubt.
Eine perfekt herbeifantasierte UN, die sich in wunderbarer Weise in einen Film fügt, der von Anfang bis Ende eine artifizielle Kunstwelt aufbaut, die in einzelnen filmischen Anordnungen (wie etwa auch dem oben erwähnten Bücherregal) die ideologische Ausrichtung des Films potenziert (besser als es jede faschistoide Plotvolte vermag) und letztlich derart übersteigert, dass sie letzten Endes vollkommen in sich zusammenfällt. Denn die neue Welt, die die amerikanische Arche Noah erreicht, erlaubt keinerlei Befreiung aus dem puritanisch-paranoiden Korsett: der Planet Zyra, auf welchem die Überlebenden landen, ist dann tatsächlich nur noch Kullisse; Endlich ist wirklich alles gemalt.
Fragt sich nur, welche Sekte hinter diesem Werk steckt.

Friday, October 13, 2006

The Undertaker and His Pals, T.L.P. Swicegood, 1966

Einem gewissen T.L.P. Swicegood, beziehungsweise demjenigen, der sich hinter diesem abstrusen Namen verbirgt, ist 1966 ein erstaunlich origineller B-Horrorfilm im Herschell Gordon Lewis-Stil gelungen. Jahrzehnte vor Braindead versucht sich Swicegood an einer Symbiose aus Splatter und Slapstick, allerdings keiner, die auf eine homogene Zusammenarbeit der beiden Genres zielt. Ganz im Gegenteil: In The Undertaker and His Pals stehen die einzelnen Momente strikt nebeneinander und scheinen aus gehöriger Entfernung miteinander zu kommunizieren.
Swicegood schreckt, was die Stummfilmkomikreminiszenzen angeht, vor nichts zurück, weder vor der Sahnetorte im Gesicht, noch vor einem Skateboard, das zufällig dem Bösewicht vor die Füße rollt. Besonders großartig ist jedoch die musikalische Untermalung, die eher an Laurel & Hardy Tonfilme erinnert als an Chaplin und Keaton. In absurdester Micky-Mousing Manier begleiten dämliche Soundeffekte die Figuren auf Schritt und Tritt. Höhepunkt ist eine Sequenz, in der der titelgebende Undertaker das Love Interest des Helden auf einer Hochhaustreppe verfolgt. Die Frau wird von einem Stummfilmpiano begleitet, der Mann von bedrohlichen Orgelklängen. Die Szene zieht sich über gefühlte fünf Minuten.
Wie überhaupt anzumerken ist, dass der Film trotz seiner geringen Laufzeit (knapp über eine Stunde) und einem eigentlich verhältnismäßig originellen Drehbuch gelegentlich Schwierigkeiten hat, die lange Zeit zwischen Vor- und Abspann zu überbrücken. Aber das ist ja beim guten Herschell Gordon Lewis auch nicht anders.

Tuesday, October 10, 2006

Zwei Mädchen aus Istanbul / Iki genç kiz, Kutlug Ataman, 2005

Iki genç kiz bedeutet wörtlich übersetzt "Zwei Mädchen". Der deutsche Verleih fügt diesem etwas lapidaren aber im Prinzip vollkommen ausreichenden Titel zwei Worte hinzu: "aus Istanbul". Und schon wird aus einem banalen Exploitationfilm waschechte Türksploitation. Denn nun ist ja klar, was das Publikum erwarten darf: restriktives, islamisches Patriarchat trifft auf jungen, weiblichen Lebenswillen und bleibt natürlich Sieger. Istanbul, Stadt zwischen Tradition und Moderne, Kampf der Kulturen usw.
Tatsächlich werden die kulturalistischen Klischees, die der Verleihtitel bedienen möchte, vom Film dann eher weniger eingehalten, obwohl die Grundprämisse tatsächlich stimmt, den nicht vorhandenen Religionsdiskurs ausgenommen. In der Tat geht es um chauvinistische Unterdrückung und den Versuch zweier Mädchen, jeweils unterschiedlicher Formen derselben zu entkommen. Aber insgesamt ist der Film - kein Festivalklino, sonder "junges, urbanes türkisches Kino", was immer das heißen mag - eher schlecht als dumm.
Zwei Mädchen aus Istanbul ist in mancher Hinsicht Larry Clark light. Will heißen, Ataman inszeniert stellenweise fast so dynamisch wie der Amerikaner, zu großen Teilen jedoch in derselben Möchtegern-Dogma Ästhetik, die das Europäische Kino der letzten Jahre mit unschöner regelmäßigkeit heimsucht und die Exploitation-tauglichen Sequenzen beschränken sich auf einen Blowjob im Auto, eine Vergewaltigung und Mißbrauch von - nein, nicht Crack, sondern - Schlaftabletten. Ach ja, ganz sanft wird noch eine lesbische Beziehung angedeutet aber das wars dann auch schon.
Zwei Mädchen aus Istanbul ist, wie mir aus glaubwürdiger Quelle mitgeteilt wurde, die Verfilmung eines sehr schlechten Romans. Der Film umschifft zwar die meisten Peinlichkeiten, die dem Stoff eigen sind, mehr oder weniger souverän, kann allerdings nicht über dessen aufdringliche Konstruiertheit hinweg täuschen. Und ein Film über Istanbul ist er natürlich schon gleich gar nicht, sondern nur ein überambitioniertes Kammerspiel mit einem Geltungsanspruch, den es in keinem Augenblick einlösen kann. Wenn der hochdekorierte Film etwas über die Türkei aussagt, dann nur eines: Auch am Bosporus gewinnen manchmal die falschen Filme die Preise.

Friday, October 06, 2006

Les Avaleuses / Entfesselte Begierde, Jess Franco, 1973

Les Avaleuses ist ein Film, der laut imdb in mindestens zwei sehr unterschiedlichen Fassungen existiert, einer blutigen und einer ohne Kleider. Leider lief im Babylon Berlin die letztere. Nicht, dass ich blutgeil wäre oder etwas gegen nackte Frauen hätte, aber was Franco hier anstellt, ist fast kriminell.
Dass Hardcore-Pornos parallel auch in einer softeren, Fernsehkompatiblen Version produziert werden, ist durchaus üblich. Franco versucht es hier andersherum: einen Softpornostoff durch ebenso konsequentes wie sinnloses Herumzoomen, hektische Kamerabewegungen und einer extrem derangiert agierenden Lina Romay irgendwie über die Schamlippengrenze zu wuchten. Ein ausgewachsener Porno wird dann zum Glück doch nicht daraus, aber die dahingehenden Versuche werden in abenteuerlich räudigen, scheinbar gar nicht enden wollenden Einstellungen präsentiert (Montage findet sowieso fast gar nicht mehr statt). Die Romay windet sich, die Kamera zommt ins Nichts, die meiste Zeit ist das Ganze auch noch unscharf und dazu ertönt der übliche Idiotenfunk (wenn ich irgendwann einmal ein Foltergefängnis baue, wird die Höchststrafe in mehrtägiger Dauerberieselung mit Franco-Soundtracks bestehen - das hält niemand durch). Die Sequenzen werden außerdem scheinbar nach dem Zufallsprinzip angeordnet, in der Tat würde es wahrscheinlich niemand auffallen, wenn die Filmrollen in der falschen Reihenfolge abgespielt würden.
Dazwischen finden sich immer mal wieder Überreste dessen, was die paar anderen Franco-Filme, die ich kenne, auszeichnet: nette Schärfeverlagerungen, stylischer 70ies Schick, trottelige Dialoge und, jaja, Landschaftsaufnahmen. Und immerhin bringt es Franco fertig, diesem Nichts von einem Film ein - kein Scheiss - Shakespeare-Zitat voranzustellen.
Ansonsten ist Les Avaleuses, zumindest in dieser Version jedoch nur dazu geeignet, einen Blick in die ganz tiefen Untiefen der Siebziger Jahre Eurotrash-Produktion zu werfen. Viel tiefer geht's wirklich nicht mehr.

Saturday, September 30, 2006

Die Staatstragenden, das Fernsehen und Karmakar; Notizen anlässlich des Symposiums "Neue Berliner Schule" im Berliner Filmmuseum

Die Veranstaltung begann durchaus hoffnungsvoll: nach einer Einführung durch Rainer Gansera, der sich die Erfindung des Begriffs "Neue Berliner Schule" auf die Fahne schreiben darf und der Verlesung dieses schönen Textes unterhalten sich Petzold, Arslan, Faroki, Christina Nord und andere tendenziell umsichtige, reflektierte Zeitgenossen über Ursprünge und Position der eigenen Filme, Abgrenzungen zum "filmischen Gammelfleisch" der Neunzigerjahre-Komödien, Primetime TV-Movies und den Geschichtspornos der Hirschbiegel / Becker Liga sowie das Für und Wieder von Schuss Gegenschuss. Deutlich wird das Moment, welches die Berliner Schule zumindest in ihren besten Momenten vom großen Rest der deutschen Filmproduktion unterscheidet: die genaue Reflektion der eigenen Mittel, die produktive Auseinandersetzung mit Filmgeschichte, die Ablehnung von Schlampigkeit einerseits und Manipulation andererseits.
Diesen Eindruck vermitteln jedoch vor allem die Mitglieder der sogensannten ersten Generation: Petzold, Arslan, Schanelec. Die jüngeren Regisseure legen im weiteren Verlauf der Veranstaltung gerne eine mir doch etwas zu staatstragende Attitüde an den Tag, aus der viel Anspruch an sich selbst spricht - was ja nicht schlecht sein muss, und sich anhand Filmen wie Falscher Bekenner oder Bungalow ja tatsächlich begründen lässt - aber sich manchmal mit einer weniger schönen form von Anspruchsdenken zu verbinden scheint. Dies drückt sich freilich weniger in den Redebeiträgen selbst aus, als in einem allzu sicheren Auftreten, in einer von anderen Teilnehmern zurecht gerügten Tendenz zum Floskelgebrauch, einer mancherorts durchscheinenden Geringschätzung des Technischen. Dies gilt sicher nicht für alle gleichermaßen, für Grisebach und Köhler schonmal überhaupt nicht. Doch gerade das Revolverumfeld: Nicolas Wackerbarth hat noch gar keinen Spielfilm gedreht, Heisenberg einen, Hochhäusler zwei. Nicht dass die nichts taugen - im Gegenteil. Aber mehr als ein Anfang ist das in keinem Fall. Und wenn Hochhäusler meint, wer sich im Europäischen Kino auskennen möchte, käme an den Filmen von ihm und seinen Kollegen nicht vorbei (das Zitat ist schon älter und stammt nicht vom Symposium) dann sagt dies wenn überhaupt mehr über das Europäische Kino aus als über die Neue Berliner Schule.
Richtig ärgerlich wird jedoch erst der letzte Teil der Veranstaltung. Zuerst labert Josef Schnelle irgendwas über eine neue Kinokultur oder sowas, was wir angeblich brauchen. Hollywood ist natürlich MacDonalds, Arthaus für Gourmets. Hach. Noch schlimmer: Annett Busch labert irgendwas über Claire Denis, argentinisches und deutschtürkisches Kino, Lola rennt, Die fetten Jahre sind vorbei, das Politische und das Private, den Film im Allgemeinen und will gar nicht aufhören, die Diktion stinkt fast noch mehr als der Rest von Inhalt, den man aus der Ferne auszumachen scheint. Hätte man sich ja denken können: Frau Busch schreibt für die spex. Noch viel schlimmer: Vertreter des Fernsehens sitzen auf dem Podium, erzählen irgendwas über das Potential dieser tollen jungen Regisseure, sie sollen ihren eigenen Weg machen, aber doch bitte mit etwas mehr Genre wenns geht, die Inhalte könnten ja in eine andere Form gebracht werden, oder war es andersrum? Sogar ein Vertreter der vielleicht sinnfreiesten Institution dieses an sinnfreien Institutionen nicht gerade armen Landes, der FBW sitzt da und schwadroniert etwas über die tollen, produktiven Gespräche in den Gremien mit ihren genauso tollen, überraschenden Ergebnissen (Petzolds Innere Sicherheit wurde erst 5:0 abgelehnt und nach Widerspruch plötzlich angenommen - mit demselben Ergebnis).
Zum Glück sitzt auch Karmakar auf dem Podium, macht sich in einem grandiosen Monolog über die gesamte Neue Berliner Schule lustig und schießt auch zumindest anfangs gegen die Fernsehvertreter, die sich dadurch natürlich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Überhaupt wäre es vielleicht keine schlechte Idee für einige der Regisseure aus diesem Umfeld, sich an Aussenseiter wie Karmakar, aber auch Thome oder Lemke zu orientieren, die Autorenfilm ohne Korpsgeist schaffen und sich dem System fast vollständig entziehen. Damit lässt sich natürlich nichts verändern, aber man ist die Fernsehplage los und vielleicht hört ja auch Annett Busch auf, über die Filme zu schreiben.
Ein anderer Aussenseiter (freilich einer innerhalb des Systems) war eingeladen, aber nicht erschienen. Dominik Graf liefert dennoch in einem email-Gespräch mit Petzold und Hochhäusler den vielleicht schönsten Satz des Symposiums:
"Ich wollte nach meinen ersten Filmen eine Filmografie wie Anthony Mann erwerben, das heißt: Filmen mit dem Schrotgewehr, also im Schnitt drei Western pro Jahr, denn irgendeiner wird dann schon dabei sein, der was taugt und mal ins Schwarze trifft."

Dealer, Thomas Arslan, 1999

Thomas Arslans hyperformalistisches Werk Dealer vollzieht die komplette Fragementarisierung der filmischen Zeichen in einer derart konsequenten Weise, dass einem fast Angst werden kann. Die sichtbare Welt verwandelt sich in "Layer", einzelne Schichten, die sich zweidimensionalen, regelmäßigen, grafischen Strukturen annähern, wo sie es nicht per se ohnehin sind (die den gesamten Film bestimmenden Tapeten, Mauermuster etc.). Alles verwandelt sich in strukturierte Fläche, die Bäume etwa bieten nicht etwa einen Ausweg aus der Berliner Großstadtwüste, sondern fügen sich perfekt in die flächigen Strukturen ein, in einen vollkommen parzellierten Raum, der keine Unterscheidung zwischen Öffentlich und Privat mehr kennt.
Um diesen Effekt zu erzielen, schreckt Arslan vor keiner Form der Stilisierung zurück: Voice-Over Kommentare, die das Leinwandgeschehen nicht erklären, nicht verdoppeln, sondern einfach mit einer weiteren Layer versehen verwendet er ebenso wie deutlich flächige, kontemplative Synthieklänge, die sich über die flächigen Bilder legen, ohne einen Ausweg zu öffnen. Im Gegenteil, auch die Klänge von Bohren und der Club of Gore und Konsorten dienen ausschließlich dazu, das Geschehen noch hermetischer in einem hoffnungslos durchstrukturierten Gesamtbild festzuhalten.
Die nicht auf Informationsweitergabe, nicht auf Figurenpsychologie, nicht auf Milieuschilderung ausgerichteten Dialoge stellen vielleicht das verwirrenste Element des Werks dar. Auch diese fungieren letzlich als eine weitere Strukturierungsleistung: die unterschiedlichen Sprachklischees, Tonfälle, letztlich sogar die unterschiedlichen Sprachen selbst werden in ihrer Differenz offen ausgestellt, ohne dass der Regisseur gleichmachend eingreifen würde (analog die Schauspielstile: Amateure spielen neben Berufsschauspielern, Arslan macht keinen Versuch, dies zu verstecken, ordnet die Figuren/Gespräche im Gegenteil in einer Weise an, die die Unterschiede deutlich macht und verschiedene, distinkte Pattern lesbar macht).
Selbst der stellenweise exzessive Einsatz von Weichzeichner, in der Neuen Berliner Schule eigentlich, zumindest noch 1999, fast ein Skandal, vollzieht dieselbe Bewegung, gleicht heterogenere Strukturen mit zuviel Tiefeninformation der flächigen Welt Arslans an.
Ein wunderbarer Film jenseits aller Sozialarbeiterklischees und doch vielleicht eine Spur zu bedrückend, zu perfekt in ein formales Korsett eingepasst. Natürlich ist zu begrüßen, dass Arslan naheliegende Auswege verschließt, die Körperlichkeit, die letzte Berührung zweier ehemals Liebenden führt genausowenig zur Erlösung wie der Versuch, eine andere strukturelle Position im System einzunehmen: in der zwar komplexeren, aber letztlich genauso formalisierten Küche des Restaurants scheitert der Dealer Can vor allem deshalb, weil deren Strukturen sogar von seinem Körper Besitz zu ergreifen drohen: er stinkt nach billigem Fett.
Doch was dann? Am Ende stehen Bilder der Stadt frei von Menschen, leere Räume, Straßenzüge und Häuserblocks. Erst jetzt scheint Berlin bereit zu sein für echtes Leben, für organische Materialität jenseits der unendlichen Parzellierung.

Monday, September 25, 2006

Sehnsucht, Valeska Grisebach, 2006

Die Sequenz gehört sicherlich zu den ganz großen Tanzszenen der letzten Jahren: Andreas Müller bewegt sich langsam, unsicher zu Robbie Williams "Feel", die Kamera bleibt nahe an ihm, zeigt jedoch nur Rücken und Hinterkopf, das eigentliche Affektbild wird verweigert. Der Tanz entsteht nicht als Ventil für überschüssige motorische Energie in einer intellektuell, sozial oder (im zweiten Beispiel) textuell überdeterminierten Welt wie in Beau Travail oder Napoleon Dynamite. Der Tänzer lässt für einen Moment die Affekte, die sein Leben tagtäglich bestimmen, ohne dass er ihnen verbal beikommen würde, in Bewegung übergehen, kanalisiert sie und wird dadurch tatsächlich handlungsfähig.
In der Tat sind es die Differenzen verschiedener Sprachsysteme, die einen Teil des Reizes dieses zauberhaften Filmes ausmachen. Die Gesrpräche der Liebenden sind nie ganz frei von Stilisierungen, unbewussten und bewussten Zwängen und stehen in hartem Kontrast mit den glasklar beobachteten, im besten Sinne naturalistischen Gespräche der Laiendarsteller im öffentlichen Raum. Eine seltsame Verschränkung: Grisebachs Figuren sind anfangs in der Öffentlichkeit scheinbar bei sich selbst, im Privaten jedoch durch Zwänge aller Art beschränkt und zu wenig mehr als zu gestammelten Liebeserklärungen fähig. Nicht nur auf sprachlicher Ebene: die Feuerwehrmänner nehmen ihre Plätze auf dem Betriebsausflug mit einer großartigen Selbstverständlichkeit ein, während Sex oder ein gemeinsmes Frühstück zu zweit hart erarbeitet werden muss.
"I just wanna feel" bedeutet für Markus den Beginn eines Versuchs, aus dieser pervertierten bürgerlichen Logik auszusteigen, ein Versuch, der vielleicht nicht so hoffnungslos ist, wie es angesichts des Handlungsverlaufs erscheinen mag. Das Kindergespäch am Ende eröffnet einen utopischen Ausblick auf eine Gesellschaft, aus der Affekte produktiv und qualfrei erwachsen können.
Das wunderbare an Sehnsucht ist, dass Szenen wie oben beschriebener Tanz organisch aus der Gesamtheit des Films entstehen, ohne Erkennbaren Stilwillen. Auch alle kunstfilmerischen Anwandlungen, die der eine oder andere ausmachen mag, sind logische Bestandteile des gesamten Werkes und nie Angeberei oder Versuche, "Atmosphäre" durch simple Addition "atmosphärischer Bilder" entstehen zu lassen (vielleicht eine der schlimmsten Krankheiten des Arthaus-Kinos). In vieler Hinsicht gelingt Grisebach vieles in Vollendung, was bei ihren Kollegen der Neuen Berliner Schule noch oft etwas unbeholfen, gewollt und nur halb gekonnt, wirkt.

Milchwald, Christoph Hochhäusler, 2003

Christoph Hochhäuslers Debut ist in vieler Hinsicht ein typischer Filmhochschul-Abschlussfilm mit all den Schwächen die dieser Gattung anhaften - zumindest soweit ich dies zu beurteilen vermag, im Allgemeinen vermeide ich solche Filme. Zu viele heterogene Ideen stehen nebeneinander, werden viel zu selten hierarchisiert, einzelne hervorragende Montagesequenzen stehen eine ganze Reihe betulich inszenierte, die Handlung vorantreibende Passagen gegenüber. Dadurch fallen einige stilistische Eigenwilligkeiten umso mehr auf, stehen nie im Dienst der Handlung oder eines konsequenten, produktiven ästhetischen Programms. Vor allem die Musik drängt sich immer wieder ungebührlich in den Vordergrund und verweist doch vor allem auf ein grundlegendes Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Auch die flachen, strengen Einstellungen, die sich immer wieder in die Fernsehoptik einschleichen, sind für sich selbst zwar oft gelungen, verweisen aber innerhalb de Gesamtwerkes weniger auf Bresson als auf jemand, der zu oft Bresson gesehen hat - oder zu selten.
Trotz allem hat der Film seinen Reiz und bei näherem Hinsehen lässt sich der Keim dessen erkennen, was in Falscher Bekenner nur zwei Jahre später - die Entwicklung zwischen den beiden Werken ist in der tat gigantisch - zur Büte kommen wird: ein gewisses stures Beharren (oder eine beharrende Sturheit? whatever...) der Figuren, das sich in mehreren Serien kleiner Beobachtungen ausdrückt, in kleinen Variationen, die in sich recht arbiträr sind und sich in die unterschiedlichsten Richtungen ausbreiten können (in Milchwald etwa die Schuhe und die Uhr des Jungen). Ein wirkliches Ziel hat niemand, oder wenn doch, wird man eben durch obige Sturheit am erreichen desselben gehindert. Aber das Eigenbrödlerische, auf etwas lethargische Weise Irrationale eröffnet Möglichkeiten, die zielstrebiges Handeln übersehen würde.
In Falscher Bekenner passt Hochhäusler - anders als in Milchwald - auch den Stil dieser Anarchie im Kleinen, die einem auf den ersten Blick wohlgeordneten Alltag von Innen auszuhöhlen versteht, an. Auch Framing und Montagelogik werden variabler, bilden unterschiedliche Serien, durchdringen den kleinstädtischen Raum in einer Weise, die der in ihn eingeschriebenen Wertkonservativen Moral nicht offen widerspricht, sondern sie der Absurdität preisgibt.

Friday, September 15, 2006

Dracula im Schloss des Schreckens / Nella stretta morsa del ragno, Antonio Margheriti, 1971

Dracula hat mit diesem Film genausoviel zu tun wie Mary Shellys Romanheld mit Godzilla gegen Frankensteins Höllenbrut: gar nichts. Der deutsche Verleih gedachte diesen obskuren italienischen Haunted-House Film mit einfachen Mitteln aufzupeppen und sorgte auch für die passende Synchronisation: die Gespenster auf dem Schloss beten angeblich Dracula an. Naja.
Dafür ist Klaus Kinski mit von der Partie und darf sogar Edgar Allan Poe spielen, hat jedoch nur zwei eher kleine - dafür umso intensivere - Auftritte zu Beginn und am Ende. Der Haupt- und Mittelteil versucht, sowohl die Atmosphäre der Poeschen Erzählungen durch sehr viel gotisches Decor einzufangen (direkteres Vorbild sind wahrscheinlich die Cormanschen Filme des vorhergehenden Jahrzehnts), als auch deren ornamentale Erzählstruktur nachzuempfinden.
Die vielleicht wundervollste Sequenz dieses wundervollen Films findet sich direkt beim ersten Betreten des Haunted House. Anthony Franciosa als naiv rationaler Amerikaner streift in dem Gebäude herum, die Kamera wiederum in ganz ähnlicher Weise um ihn - besonders auffällig ist eine laterale Kamerafahrt mit gleichzeitigem Schwenk, die einen sehr sonderbaren Raum eröffnet, dessen einzelne Bestandteile in immer neuen Relationen zueinander gezeigt werden. Margheriti verzichtet lange Zeit auf Establishing Shots. Statt dessen zerlegt er die alte Villa durch oben beschriebene Fahrten oder durch ebenso seltsame 360 Grad-Schwenks, die von Objekt zu Objekt schweben zu scheinen, ohne eine materielle Verbindung zwischen denselben herstellen zu können.
Es sind keine beliebigen Räume, die Margheriti errichtet. Im weiteren Verlauf werden einzelne Einstellungen und Objekte (ein Flur, ein Kronleuchter usw) als Fixpunkte etabliert, um die herum sich eine fast maschinelle Anordnung von Kamerafahrten und Objektaufnahmen zu gruppieren scheint. Auch die Tonspur enthält diese mechanische Komponente: einzelne Objekte scheinen Geräusche, Musikeinspielungen oder gar menschliche Stimmen zu triggern, die sich im weiteren Verlauf dann verselbstständigen können.
Die Mechanik funktioniert jedoch nach einem schwer durchschaubaren Regelwerk. Konventionelle Ursache-Wirkung Prinzipien sind in Margheritis Film außer Kraft gesetzt. Und so bringt das Haus nicht nur Kamerafahrten, Objekte und Geräusche hervor, sondern anschließend erst eine Frau, dann noch eine und dann ein ganzes Melodram samt verrücktem Wissenschaftler, blutsaugenden Gespenstern und einer vollkommen derangierte Michele Mercier, die irgendwann über drei Leichname hinweg stolpert und murmelt: "Das hab' ich nicht gewollt...".
In der Tat scheint der naive Rationalismus des Amerikaners in Margheritis Schloss weniger an der mystischen Geisterwelt zu zerbrechen, als an einer maschinellen, inhumanen Logik, der buchstäblich alles als Spielmaterial dienen kann, handele es sich nun um Sex, Kronleuchter oder schlicht und einfach Horrorfilmklischees, die der Film hier weniger selbstreflexiv zitiert als mechanisch instrumentalisiert.

Monday, September 11, 2006

Reminiscences of a Journey to Lithuania, Jonas Mekas, 1972

Seltsamerweise erscheinen Filmbilder umso authentischer, je ungeschliffener sie wirken, desto deutlicher sich die Materialität des Zelluloids bemerkbar macht, durch kleinere Zerfallserscheinungen wie Laufstreifen, leere oder halb zerstörte Frames und so weiter. Auch Farbfilm und smoothe Kamerabewegungen zerstören schnell den Eindruck einer vermeintlich "echten, unverfälschten" filmischen Aussage.
So ist ein Paradox festzustellen: gerade die Techniken, die die Antiillusionisten der 60er und 70er einsetzten, um dem leidigen Realitätseffekt beizukommen, dienen heute einerseits in Mainstreamfilmen als Marker von Authentizität (im Sinne in die Filmhandlung eingeschobener Pseudo-Found-Footage, regelmäßig präsentiert in verwackelten Schwarz-Weiss Bildern - bzw inzwischen eher billige Digicam-Aufnahmen), andererseits Amateur- und Undergroundfilmern als Möglichkeit, ihre Differenz zum bösen Hollywood unmissverständlich auszudrücken und - nun ja - "realistischere" Filme zu drehen (das kürzlich hier behandelte David Holtzman's Diary stellt eine unter diesem Gesichtspunkt äußerst interessante Invertierung dieser zweiten Möglichkeit dar). Die antiilusionistischen Techniken haben also sowohl innerhalb des Mainstreamkinos, als auch innerhalb des geamten Produktionssystems eine strukturell definierte Nische gefunden, in der sie das System, welches sie eigentlich zu bekämpfen dachten, stützen.

Was hat das alles mit Mekas zu tun? Einerseits nicht viel natürlich, dieser ist sich obiger Problematik wohl bewusst und versucht gar nicht erst, eine in welchem Sinne auch immer realistische Abbildlichkeit der Welt zu behaupten. Hier spiegelt das verwendete Filmmaterial in erster Linie die Produktionsbedingungen wieder. Allerdings ist auch dieser ganz und gar wundervolle Film nicht frei von semiotischen Spielereien mit dem Bildstatus (wie sich überhaupt hinter der assoziativen, frei fabulierenden Bildsprache eine zweite, ungleich formalistischere Ebene befindet: die Motive des zweiten Teils werden beispielsweise von 1 bis 100 sortiert; die beiden Ebenen kommunizieren miteinander, doch Mekas lässt die Kommunikation scheitern - das 100. Bild wird nie erreicht).
Sobald der Film von New York nach Litauen wechselt, ändert sich das gesamte visuelle Regime. Einerseits überfordert die hypernervöse Kamera systematisch den Zuschauer, andererseits wird der Film plötzlich farbig. Die Farbe sorgt gemeinsam mit dem Übermass an Bildinformation dafür, dass die Sequenzen in Litauen einen sonderbaren Status erhalten, der weniger dem Traum oder der reinen Erinnerung gleicht, als einem atavistischen Bereich Bereich jenseits jeglicher herkömmlichen Signifikation. Und wirklich vergleicht Mekas die Litauer mehrmals mit Tieren, in naivstem Tonfall, ohne jede Reflektion. Mekas' Litauen ist ein Land vor der Kultur - oder zumindest vor Mekas' Kultur, denn die Maschinen der sovjetischen Agrarbetriebe zeigt er natürlich auch - dessen Beschreibung keiner Teleologie folgen kann (deshalb die arbiträre Logik der Zahlenfolge) und dessen materielle Existenz die Kamera nur zufällig und immer nur für kleine Augenblicke, durch einen verwaschenen Zoom oder eine kurze, assoziative Montagesequenz enthüllen kann.
Am Ende trifft Mekas in Wien Peter Kubelka und versichert sich mit diesem der abendländischen Kultur, die in Litauen nicht zu existieren schien. Doch zuerst einmal essen sie ein Schnitzel.

Thursday, September 07, 2006

Gruft der Vamire / The Vampire Lovers, Roy Ward Baker, 1970

Gleich zu Beginn macht Baker klar, wo der Hammer hängt: die lüsterne Vampirfrau stürzt sich auf den verängstigten und völlig überforderten Vampirjäger und kann nur besiegt werden, weil ihre - na klar - nackte Brust auf ein Kreuz an dessen Hals trifft.
Ende der Sechziger Jahre waren die Hammer-Studios, nach mehr als einem Jahrzehnt solider und zwischendrin auch immer wieder großartiger Genrefilmerei reif für einige Neuerungen im inzwischen, dank Blood Feast et al fast vollständig transformierten Horror-Genre. Und Baker geht zumindest streckenweise wirklich in die Vollen. Zwar gelingen ihm nur wenige Szenen so hervorragend wie die eingangssequenz, doch auch danach, lässt er tendenziell keinen Stein auf dem anderen im - natürlich bereits durch Terence Fisher grundlegend reformierten - Vampirgenre. Alleine die Filmform ist meilenweit von der kostümintensiven klassischen Hammerperiode entfernt, deren Montagekonzept meist reichlich traditionalistisch erscheint und pft genug von staren Kamerapositionen und einer fast Griffithschen Szenenauflösung geprägt ist: die Totalen werden durch vignetteartige, oft nachkolorierte Großaufnahmen unterbrochen, die Handlung entwickelt sich aus einer Abfolge solcher Set-Pieces.
Bei Baker dagegen wird die Kamera radikal aktiviert, vollzieht nicht nur Figurenbewegungen nach, sondern auch Gedankensprünge, fungiert als Stichwortgeber und agiert erstaunlich modern, ihrer Zeit tendenziell eher zwei als nur ein Jahrzehnt voraus. Das offensichtlich extrem kleine Budget wird durch indexikalisch aufgebaute Schauplätze (die Kneipe besteht nur aus einem rotnasigen Wirt und ein paar Schnapsgläsern), die in hartem Kontrast zu den ausstatungsintensiven Hammer-Klassikern stehen, sowie durch seltsame Postkartenaufnahmen reichlich beliebiger Schlösser (nie im Leben könnte jemand auf dem Gedanken kommen, dass die Innenszenen wirklich in diesen Gemäuern spielen) überspielt.
Noch deutlicher wird die Reformierung des Hammerfilms jedoch durch eine Geschlechterinversion: Nicht nur die Haupt-, sondern zumindest in den ersten beiden Filmdritteln auch ein Großteil der Nebenfiguren sind weiblich. Die Frauen, allen voran die alles dominierende Ingrid Pitt, bringen die wohlgeordnete Hammerwelt an allen Ecken und enden durcheinander: die sonst schön ineninander verschachtelten Subplots verlaufen hier oft im Sand oder kommen sich gegenseitig in die Quere, die Morde werden zunehmend willkürlicher und bizarrer, selbst die Räumlichkeiten innerhalb der Schlösser wollen sich nicht mehr Recht zu einer glaubhaften oder realistischen Diegese zusammenfügen. Dominiert wird der Film von einem größtenteils ungerichteten und ziellosen Begehren, welches sich oft in lesbischer Liebe, teilweise jedoch auch auf ganz andere Art (auch Tiere kommen vor...) äußert. So ganz scheint Baker nicht zu wissen, was er mit diesem Überschuss an Weiblichkeit anfangen soll, doch genau aus dieser seltsamen Beliebigkeit macht den reiz des Films aus: als Triebobjekt ist grundsätzlich alles denkbar, probieren geht über studieren und wenn frau dann irgendwann doch gepfählt wird hat sie wenigstens ihren Spass gehabt.
Im letzten Filmdrittel lässt der Streifen dann leider etwas nach, was vor allem daran liegt, dass die Männer wieder das Kommando übernehmen. Diese sind - zumindest im Vergleich zu Pitt und Co - höchst anachronistisch gezeichnet: Peter Cushing als Schatten und Klischee seiner selbst hat eine kleine Rolle, ein lächerliuczher Arzt wird zum Glück dann doch noch Opfer der Pitt und zu allem Überfluss gibt es auch noch einen absolut nichtssagenden romantischen Helden. Auch die Intrige nimmt leider wieder Fahrt auf, in der letzten Viertelstunde scheint der Film alle Genreklischees, die im vorherigen Teil in anarchischer Triebhaftigkeit verloren gegangen waren, nachholen zu wollen und selbst die szenische Auflösung nähert sich wieder den Hammerstandarts an (die ich natürlich sehr gerne habe, aber nicht in diesem Film). Aber macht nichts, zumindest bis kurz vor Schluss gibt Gruft der Vampire Anlass zu jeder Menge Euphorie...

David Holtzman's Diary, Jim McBride, 1967

Das Genre der Mockumentaries hat seine Ursprünge in der Stummfilmzeit (frühestes mir bekanntestes Beispiel ist der wunderbare Häxan), doch bis heute blieb diese Form, zumindest wenn man quantitative Maßstäbe anlegt, eine Spielwiese für periphere Autorenfilmer und oft überambitionierte Filmschüler, eine Ansammlung vereinzelter Werke, die nicht allzu viel Entwicklungslinien aufweisen und oft genug antreten, die Filmform aus dem nichts revolutionieren zu wollen. Selbstverständlich gelingt dies selten bis nie, doch das Scheitern am eigenen Anspruch produziert zuweilen Abfallprodukte, die durchaus bestauenenswert sind.
So auch David Holtzman's Diary, das Erstligswerk eines Mannes, der auch später keine Risiken scheute und in den Siebziger Jahren immerhin ein Remake von A bout de souffle drehte (das ich unbedingt auch mal sehen muss). DHD greift das Cinema-Verite Konzept auf, genauerr gesagt dessen vielleicht vollendetste Ausprägung, den Tagebuchfilm. Das gefilmte Fake-Tagebuch eines fiktiven, cinephilen 60ies Dandy samt hipper Frisur und Modell-Freundin, welches Jim McBride entwirft, weiss anfangs durchaus zu überzeugen. Die Godard-Zitate sind angemessen unangemessen, die "Ideen" des Protagonisten verweisen auf genau die Art von unreflektierter Kulturkritik, die auch - wenngleich in ganz anderer und letztlich natürlich viel schönerer Art - aus den Originalen des New Yorker Undergrounds spricht: Zerlegung des Fernsehprogramms durch Zeitrafferfunktion, politisches Radioprogramm über Bildern des New Yorker Subproletariats etc.
Dass das Ganze dann letztlich doch nicht allzu gut funktioniert, oder zumindest nicht in der intendierten Art und Weise, liegt daran, dass McBride diese Sequenzen - und auch die überraschend ehrlich erscheinenden Aufnahmen der Freundin - in einen fatalistischen Medienkritik-cum-Vulgärexistenzialismus Plot einbaut. Bereits nach einem Drittel des Films ist klar, worauf das Ganze hinausläuft: die mediale Verdopplung des eigenen Lebens wird zur Obsession und zerstört innerhalb kürzester Zeit die gesamte Lebensgrundlage des Filmenden, der irgendwann nur noch stammelnd vor der Kamera sitzt, nicht einmal mehr fähig sein eigenes Leiden zu beenden. Dieser zielgerichtete Niedergang ist als technische Fingerübung zwar gut umgesetzt, bleibt jedoch stets als eben diese, im Grunde auch recht narzisstische, Fingerübung erkennbar.
So ist DHD dann letztlich doch nur ein amüsantes Zeitdokument und keine produktive Auseinandersetzung mit Cinema Verite, radikalem Autorenkino oder gar dem Filmbild als solchem.

Monday, August 21, 2006

Timecode, Mike Figgis, 2000

Ein Film als Plädoyer für eine empirische Filmwissenschaft, ein Film als reines kognitionspsychologisches Experiment: wie schnell folgen die Augen dem Signal, das die Tonspur übermittelt, wenn sich die für die narration entscheidende Handlung von einem Bildabschnitt in einen anderen verlagert? Wie schnell lernt man, die Stimmen zuzuordnen? Welche visuelle Reize sind dafür geeignet, das Auge auch dann zu lenken, wenn der Dialog woanders stattfindet? Wie verhält sich der Blick in den Sequenzen mit extradiegetischer Musik, in der die Handlung in allen vier Ausschnitten zum Stillstand kommt? Wie verhält sich das Auge zu statischenGroßaufnahmen im Vergleich zu nervösen Kamerafahrten? Man möchte sich am liebsten selbst verkabeln, wenn man Timecode sieht. Noch lieber möchte man natürlich andere verkabeln, am besten möglichst viele und am besten mit möglichst vielen Kabeln. Wie gesagt: das perfekte Plädoyer für eine empirische Filmwissenschaft. Aber irgendwie gerade deshalb auch gefährlich.
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Beim ersten Ansehen ist man zwangsläufig vor allem damit beschäftigt, die technische Raffinesse des Films zu bestaunen und gleichzeitig zu versuchen, den Anschluss nicht zu verlieren, einen Überblick über die räumliche Struktur zu gewinnen und natürlich der Handlung zu folgen und gleichzeitig die hervorstechendsten Gegenüberstellungen innerhalb der Split-Screen Technik zu bewundern (naja, oder zumindest ein oder zwei obiger Vorsätze halbwegs konsequent umzusetzen). Einem zweiten Versuch wird es vorbehalten bleiben, genau auf die Filmpassagen zu achten, die wenig beachtenswert erscheinen, eben weil sie sich im Normalen Erzählfilm zwischen den Einstellungen befinden, durch die Montage unsichtbar gemacht. Szenen, in denen die Schauspieler allein durch die Strasse laufen oder minutenlang im Vorzimmer warten, meist in extremen Großaufnahmen von der Kamera beobachtet. Einigen Figuren scheinen fast nur solche, im Sinne der Logik des Erzählkinos insignifikante Einsätze zu haben, der Wachmann vor dem Studio etwa.

Fantasy Filmfest 06: Hausu, Obayashi Nobuhiko, 1977

Anhänger des Sleaze im Allgemeinen und des Exploitationfilms im Besonderen verteidigen "ihr" Kino gerne mit dem Hinweis auf "avantgardistische Techniken" oder "formale Experimente", die sie in den Werken meinetwegen Jean Rollins oder Dario Argentos ausfindig zu machen glauben. So sehr es zu begrüßen ist, dass die Diskussion solcher Streifen nicht vollständig dem ofdb-Forum und ähnlichen je-mehr-Blut-desto-gut Diskutanten überlassen bleibt, halte ich - der ich dem Kino selbstverständlich ebenfalls dann ganz besonders gewogen bin, wenn es sich möglichst weit jenseits jeder geschmacklichen Norm bürgerlicher Kultur befindet - es doch für wenig sinnvoll, den Exploitationfilm mit den Wertmaßstäben modernistischer Ästhetik salonfähig machen zu wollen. Was ja auch gar nicht funktioniert: ein Jump-Cut macht aus einem Women-in Prison Film noch lange keinen Godard und surreale Bilder bei Rollin sind zwar surreale Bilder aber noch lange kein Surrealismus. Müssen sie ja auch gar nicht sein, mehr noch: sollen sie überhaupt nicht. Denn schließlich ist die Idee, "Schmutzfilme" mit den Maßstäben eben jener Ästhetik, die ihr einen Platz am untersten Ende der Nahrungskette zugewiesen haben, wieder aufzuwerten, reichlich absurd. Die dem ästhetischen Diskurs der Moderne innewohnende Tendenz zum Be-, Auf- und Abwerten, hervorragend beschrieben von Cylde Taylor in seiner Diskussion des schwarzen Kinos, zur Kanonbildung und zum Scheuklappenblick gilt es nicht zu reformieren, sondern zu ignorieren.
Hausu, einsamer Höhepunkt des diesjährigen Fantasy Filmfests, mag als Beleg dafür dienen, dass ein beharren auf vorbelasteten Qualitätsstandarts wie "Avantgard" oder "formales Experiment" nicht weit führt, auch wenn es mir hier schwerlich gelingen wird, eine annehmbare Alternative vorzuschlagen. Doch der Versuch, Obayashis absolut wahnwitzigen Streifen dadurch adeln zu wollen, dass man ihm attestiere, Elemente der klassischen Avantgarde in den - hier sehr schlüpfrig inszenierten - japanischen Geisterfilm hineinzutragen und dadurch sagen wir mal Hoch- und Populärkino dialektisch zu verbinden osä, geht gerade in diesem speziellen Falle nicht nur vollkommen am Film vorbei, der Erkenntnisswert dieser Feststellung tendiert tatsächlich deutlich gegen Null. Vielmehr wäre etwa zu untersuchen, wie es Hausu gelingt, seine Diegese so wirkungsvoll gegen jeden Einbruch einer eventuell vorhandenen empririschen Realität abzuschotten, wie sich der filmische Bildraum, hier durchaus vergleichbar den ersten beiden Sasori-Filmen, in eine Art Bühnenraum verwandelt, der das indexikalische Potential des photografischen Bildes ad absurdum zu führen scheint´und durchaus selbstreflexiv ein Zeichensystem etabliert, das den direkten Zugriff auf die Welt für unmöglich erklärt und gleichzeitig die Vermittlungsinstrumente (Montage, Special Effects, Split Screen etc) immer wieder auf eben diese Wirklichkeit zurückbindet: die gemalten Kulissen sind in Wirklichkeit Plakatwände, die auf einer Wiese aufgestellt sind, den Blick auf die realen Bäume und Hügel verdeckend. Wie auch immer man eine genauere Analyse anzufangen gedenkt: Eine Argumentation, die doch wieder nur auf die klassische - und natürlich europäische - Avantgarde abhebt, wird einem Film wie Hausu nie und nimmer gerecht werden.

Monday, August 14, 2006

Fantasy Filmfest 06: SPL, Wilson Yip, 2005

Das Hong-Kong Kino scheint den Ort aus den Augen verloren zu haben, von dem es spricht. SPL spielt fast ausschließlich in nicht spezifizierbaren Büros, die wenigen Szenen, die tatsächlich auf der Strasse situiert sind, sind so gewählt, dass es absolut unmöglich ist, einen Eindruck des sozialen Umfelds zu gewinnen - unter einer Autobahnbrücke, in den engen, unpersönlichen Gassen der Bürokomplexe. Die einzigen Szenen, die den Ort der Handlung festschreiben, spielen auf einem Hochhaus und zeigen die Skyline der Stadt. Diese emblematische Situierung der Filmhandlung unterscheidet sich deutlich von dem stets in spezifischen sozialen Zusammenhängen situierten klassischen Hong-Kong Kino der Achtziger und frühen Neunziger und erinnert vielmahr an Hollywoodstrategien, "exotische" Lokationen zu kenntzeichnen, bzw eher zu brandmarken: der Eiffelturm für Paris, überfüllte S-Bahnen für Tokyo etc. Letztlich beliebige Bezüge anstelle einer tatsächlichen Auseinandersetzung mit der emoirischen und vor allem physikalischen Wirklichkeit. Das Ende des Sonderstatus Hong Kongs 1997 scheint eine bis heute nicht gelöste Krise im regionalen Selbstzverständnis ausgelöst zu haben, das lässt sich auch an Produktionen wie Time and Tide oder Infernal Affairs ablesen.
Abgesehen davon ist SPL dennoch eine Rückkehr zur alten Form für das Hong-Kong-Kino. Nach einer etwas unsicheren Eingangsphase mit mießem Vorspann und stilistisch etwas unsicherem Prolog niummt der Film vor allem Dank eines grandios aufgelegten und noch grandioser gealterten Sammo Hung bald Fahrt auf, und auf einmal ist wieder (fast) alles wie Ende der Achtziger / Anfang der Neunziger. Knallharte, handwerklich sauber abgefilmte Actionsequenzen gehen bruchlos in melodramatische Szenen über (nur ein ordentliches Love Interest fehlt der Story leider), ein Plottwist jagt den nächsten und das Ganze gipfelt in zwei großartigen Endkämpfen, die endgültig klarstellen, dass die HK-Industrie noch nichts verlernt hat, gerade der erste Kampf zwischen Donnie Yen und dem - daran kann kein Zweifel bestehen - nächsten großen Actionstar Jacky Wu gehört schon fast in eine Reihe mit den ganz großen Momenten des HK-Kinos.
Noch besser: bei einem solchen ende kommen die Produzenten um einen zweiten Teil nicht herum. Ich freue mich jetzt schon.

Sunday, August 13, 2006

Fantasy Filmfest 06: Shadowless Sword / Mu-Yeong-Gum, Kim Young-jun, 2005

Eine kleine Überraschung ist dieser erstaunlich solide koreanische Martial-Arts Film. Der Werbetext in der FFF-Broschüre ließ einen überproduzierten Flattertuchfilm erwarten, eventuell sogar einen Totalausfall Chen-Kaige-Style. Diesbezügliche Befürchtungen bestätigten sich dann glücklicherweise nicht, bis auf ein paar überflüssige und extrem amateurhafte Albernheiten während ein, zwei Kampfszenen (Photoshopartige Digitalnachbearbeitung, die in einer Großproduktion dieses Formats nun wirklich nichts zu suchen hat) und einigen schlecht ein- und ausgeführten Rückblenden ist Shadowless Sword handwerklich äußerst gelungen und versucht gar nicht erst, Heros Grandiosität zu erreichen. Stattdessen gibt sich der Regisseur viel Mühe, die melodramatische Geschichte zu entwickeln, die in einem schön sentimentalen, und tatsächlich recht durchdachten Finale gipfelt.
Das koreanische Kinos scheint drauf und dran zu sein, auch im Flattertuchsektor die Führungsrolle einzunehmen. Shadowless Sword zumindest ist von einem grundsoliden Handwerkergeist durchdrungen, den Produktionen anderer Länder im martial-Arts Sektor in den letzten Jahren vermissen ließen und ist gleichzeitig, anders als die - natürlich auch sehr sympathischen - Oldschool-Knüppler aus Thailand, durchaus auf der Höhe der Zeit. Mehr davon, bitte!

Saturday, August 12, 2006

Fantasy Filmfest 06: Shadow: Dead Riot, Derek Wan, 2006

Möchte man Film auf Gesellschaft zurückbinden, tut man gut daran, abseits kanonisierter Werke auf Entdeckungsreise zu gehen. Oft sind es genau die Filme, die den Bodensatz der Gesamtproduktion ausmachen, die anderswo lantentes offenbaren. Die Poverty-Row B-Western der Dreissiger sagen über die Ausgrenzungsmechanismen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft mehr aus als MGM Hochglanzproduktionen, die Sexploitation-Roughies Ende der 60er verdeutlichen die gesellschaftlichen Spannungen der damaligen Periode um einiges konsequenter als die kanonisierten Tabubrüche New Hollywoods und ein Film wie Zombie: Dead Riot sagt über die hybriden Kulturtechniken und ihre Vielfältigen Diversifizierungsstrategien, die Abbild einer zunehmend deterritorialisierten Bevölkerung sind, mindest ebensoviel aus wie Attraktionskino-Blockbuster oder postmoderne Autorenfilme.
Regisseur Derek Wan arbeitete als Kameramann in der goldenen Phase des Hong-Kong Kinos mit Jet Li und Tsui Hark zusammen und versucht seit Mitte der Neunziger, wie viele seiner Kollegen, sein Glück in Hollywood. Allerdings situiert er sich einige Stufen unter John Woo oder auch den nur mäßig erfolgreichen Ringo Lam und Ronny Yu. Mit Shadow: Dead Riot scheint er endgültig im oder kurz vor dem DTV Revier angekommen zu sein, einer praktisch unsichtbaren Filmparallelwelt, die paradigmatisch für vieles steht, was die aktuelle Filmlandschaft ausmacht. Hier richten sich Heerscharen Filmschaffender in Sub-Sub-Genres häußlich ein und kommunizieren nur noch nach innen, an die eigene Fanbase. Ein Diskurs über die gefestigten Grenzen der eigenen Werkparameter hinaus findet nicht mehr statt, Steven Seagals B-Action steht vielleicht im Regal der Videothek direkt neben Low-Budget Horror und lesbischen Softpornos, darüber hinaus haben die Genres keine Verbindung, keine gemeinsame diskursive Basis, gar nichts.
Und dass, obwohl sie in sich in höchster Weise hybrid sind. Shadow: Dead Riot verbindet nicht nur Cormans Women in Prison - Filme mit drittklassigem Zombiehorror, irgendwo spukt auch noch Story of Ricky durch die Korridore des mit drittklassigen und teilweise auffällig hässlichenSchauspielerinnen - welche gleichwohl, wie sich im Internet recherchieren lässt, über loyale Fans verfügen - bestückt sind. Der Einfluss der zahlreichen hongkongstämmigen Crewmitgleider lässt sich nicht übersehen, resultiert jedoch nicht in einer irgendwie durchdachten Fusion unterschiedlicher Stileme, sondern in einem additiver Logik gehorchendem (nebenbei trotzdem recht unterhaltsamen) Chaos. Weil sowieso alles egal ist und Braindead so schön war, taucht irgendwann noch ein Zombiebaby auf und die lesbische Wärterin heisst zwar nicht Ilsa, aber doch Elsa und mit Nachname tatsächlich Thorne...
Im abspann läuft dann Jean Grae anstatt des erwarteten New Metal. Irgendjemand im Team scheint guten Musikgeschmack zu besitzen...

Fantasy Filmfest 06: Meatball Machine, Yamaguchi Yudai / Yamamoto Junichi, 2005

Man hätte es natürlich wissen können: Wer beim drittklassigen Michael-Bay Imitator Kitamura als Drehbuchautor, aus dem kann in der späteren Filmkarriere nicht mehr viel werden. Dass Yamaguchis Meatball Machine jedoch so katastrophal schlecht ist, dass sich selbst die Werke des Lehrmeisters dagegen halbwegs erträglich anfühlen (naja, zuindest Versus...), war dann doch nicht zu erwarten.
Dieser auf angemessen schäbigem Digi Beta präsentierter Splatterfilm der untersten Schublade, der in Sachen Beleuchtung / Montage / Bildaufbau usw selbstvon Ittenbach noch das eine oder andere lernen könnte, ist in einer fast schon beängstigenden Weise frei von jedem Talent, jeder wie auch immer gearteten produktiven Inspiration (ein paarmal Tetsuo anschauen ist eben noch lange nicht produktiv), dafür angefüllt mit schlecht aufeinander abgestimmten Widerlichkleiten, dass vor allem die erste Hälfte des Streifens mich fast zur Flucht aus dem Kinosaal getrieben hätte - tatsächlich zum ersten Mal in meinem Leben. Letzten Endes hielten mich nur die 8 Euro, die mich die Karte gekostet hatte. Im zweiten Teil deuten einige einzelne Sequenzen dann an, dass die Mischung aus billigen Digitalaufnahmen, nach Feierabend zu hause zusammengestöpselten "Special Effects" und stumpfer Elektromucke durchaus funktionieren könnte - nach Austausch aller an diesem Projekt beteiligten und radikaler Kürzung des Streifens um mindestens 3/4 der Laufzeit.

Tuesday, August 08, 2006

Superman Double Feature

Superman, Richard Donner, 1978

Selten gelang es dem phantastischen Film, seiner ja eigentlich offenkundig inhärenten Bestimmung zum Traumartigen, Poetischen so konsequent einzulösen, wie in diesem zurecht legendären ersten Supermanfilm der neuen Serie. Von den wundervollen Eröffnungssequenzen auf Krypton, diesem im Art-Deco-Stil ausgestatteten und von mit gleissend weissen Gewändern bekleideten, esoterischen Blödsinn redenden Bewohnern, über die zauberhafte Szene, in welcher Lois Lane zum ersten Mal mit Superman fliegen darf - irgendwann endet der Dialog und sie beginnt, einen halluzinatorischen, delirierenden Off-Kommentar zu sprechen - bis hin zum ausgedehnten Schlusskampf, der zuerst ein auf irdischer Zeitlichkeit beruhendes Dillemma heraufbeschwört ("Du kannst nicht beide Raketen gleichzeitig aufhalten") und dadurch Superman scheinbar in irdische Ursache-Wirkungs Prinzipien einzubinden scheint, nur um anschließend zu zeigen, wie Christopher Reeve sich dann ohne mit der Wimper zu zucken, und selbstverständlich ohne jede Erklärung eine rein additive Lösung herbeiführt, indem er einfach von einem Ort zum anderen fliegt und ein Problem nach dem anderen löst, dies alles gehorcht einer derart einleuchtenden Nichtlogik, wie ich sie sonst nur in Träumen finde.
Die Filmtechnik unterstützt diese durch die Erzählstruktur etablierte halluzinatorische, träumerische Erzählstruktur perfekt: Superman ist einer der wenigen Filme (ein weiterer ist der sträflich unterschätzte 1977er King Kong), in welchem Hollywood sich nicht nur ein wenig vom naiven Anspruch auf "Realismus" und "Glaubwürdigkeit" entfernt, sondern tatsächlich einen Paradigmenwechsel wagt: die Special-Effects Szenen werden nicht durch Naturalisierungsverfahren dem Rest des Films angepasst, aber auch nicht angeberhaft ausgestellt, sondern veredeln den Film als ausgestelltes Kunsthandwerk, das nicht seine spezifische Beschaffenheit, wohl aber seine strukturelle Funktion durchaus selbstreflexiv offenbahrt. Die Traumfabrik war selten ehrlicher als in diesem Film.

Superman 2, Richard Lester / Richard Donner, 1980

Der zweite Teil, wiewohl von ausgesuchter Komik, besitzt nicht mehr die runde Vollkommenheit des ersten Filmes. Zwar ist auch Superman 2 poetischer, phantasievoller als so ziehmlich alles, was das Genre seither hervorgebracht hat (und auf jedenfall phantasievoller als die im direkten Vergleich doch recht bescheiden erscheinenden Batman-Märchenstunden Tim Burtons), doch die Poesie bleibt auf einzelne Sequenzen beschränkt, die sich nicht mehr so recht zu einem geschlossenen Ganzen schließen mögen.
es sind denn auch vor allem einzelne Montagesequenzen und die Vielzahl an komischen, gut untereinander abgestimmten Einzelheiten, die gefallen. Besonders gelungen ist eine ausgedehnte Parallelmontage: einerseits zerlegen die drei wunderbaren Space-Bösewichte um Zod eine amerikanische Hinterwäldlerkleinstadt mit derselben Lust am puren, jedoch deutlich potenzgesteuerten Kaputtmachen, die einige Jahre später die Bösewichter in RoboCop an den Tag legen, wenn sie mit ihren neu erworbenen Monsterwaffen/Penisprothesen minutenlang einfach in der Gegend herumballern, andererseits feiert Superman mit Lois Lane in seiner nun rosa ausgeleuchteten Festung der Einsamkeit Kitschhochzeit.
Auch Superman 2 ist selbstreflexiv, allerdings in ganz anderer Art: er thematisiert seine Finanzierung. Der Film ist möglicherweise einer der ersten, die exzessives Product Placement betreibt, und, da Superman nunmal der nach Captain America amerikanischste aller Superhelden ist, sind Coca cola und Marlboro natürlich besonders präsent. Dies hindert Christopher Reeve jedoch nicht daran, einen der Bösewichter direkt hintereinander in eine riesige und so ganz unsubtil plakative Marlborowerbung und eine noch größere Coca Werbebande krachen zu lassen. Ähnlich emblematisch tritt in amerikanischen Filmen (und in der Tat auch in Superman 2 selbst) sonst nur die amerikanische Nationalflagge auf.

Zebraman, Takashi Miike, 2004

Zebraman ist sicher kein ganz großer Filom innerhalb Miikes Gesamtwerk; doch gerade in seinen kleineren, um ein, zwei abstruse Ideen herum entwickelten Streifen wird die Aussnahmestellung des Japaners deutlich: kaum einem regisseur in der Filmgeschichte ist es jemals gelungen, aus so wenig so viel zu machen.
Zebraman ist der ultimative Looser unter den Superhelden: seine Fernsehserie brachte es gerade einmal auf sieben Episoden, der Titelsong ist doof, seine Gegner (u.a. eine Art wandelndes Toastbrot - sehen cooler aus als er selbst und im wahren Leben ist er Grungschullehrer. Genau der richtige Superheld für Takashi Miike also. Fast schon zu perfekt, und natürlich ist die Zebraman-Serie auch eine Erfindung Miikes, sein Streifen von 2004 also die Kinoversion eines (leider) nie gedrehten TV-Spitzenprogrammes.
Zebraman ist eine zweifache Liebeserklärung, einmal an die phantasiereichen und budgetarmen japanischen Fernsehdurchgeknalltheiten a la "Kamen raida" oder "Ultraman", andererseits jedoch auch an die Internetgeekszene, die solche Obskuritäten ausgräbt und zu neuem Leben erweckt. Die bei Miike stets präsente Aussenseiterthematik wird ins groteske übersteigert: zwei Aussenseiter entdecken eine schrottige, vergessene Serie über einen selbst in seinem eigenen Universum reichlich deplaziert wirkenden Zebramenschen.
Der Film selbst funktioniert als Parodie auf gängige Superheldenfilme nicht nur auf stilistischer Ebene (obwohl gerade die Bösewichter in ihrer ganzen bizarr-clownesken CGI Pracht tatsächlich herrlich absurd und vor allem stilbrechend wirken), sondern auch strukturell: der noch für jeden Superheldenfilm obligatorische Entwicklungsroman findet hier alleinig auf der Ebene der schwarz-weiss gestreiften Kreatur statt: Zebraman muss fliegen lernen, koste es was es wolle. Was aus dem realen Grundschullehrer und seinen zahlreichen familiären Problemen wird, ist im Miike-Universum, das sich hier uneingeschränkt der Geek-Perspektive verschreibt, scheissegal.

Wednesday, August 02, 2006

Takeshis', Kitano Takeshi, 2004

Ein wunderbarer kleiner Film, aufgebaut nach einem etwas abgewandelten Akulina Prinzip: Jede Puppe, die in der größeren Puppe zum Vorschein kommt, sieht erst auf den zweiten Blick absolut identisch aus wie die erste.
Das vielleicht schönste an Takeshis' ist, dass es Kitano gelingt, sein Spielset komplett aus der eigenen, in divergenten Medien situierte und mit noch divergierenden Motiven spielenden Kunstwelt belässt. Figur und Rolle verschwimmen noch stärker, als in seinen anderen Filmen, das Gestrüpp aus Fernsehkomik, Gangsterattitüde, verträumtem Loosertum und fast schon trotzigem Stilwillen, das in der Gesamtheit sein Schaffen prägt, wird nicht nur in einem einzigen Film zusammengefasst, sondern auch noch vom auteur persönlich gegengelesen, was allerdings den Effekt hat, dass der auteur nicht nur hinter dem Werk verschwindet, sondern sogar von ihm umgebracht wird. Nicht umsonst wird die letzte Öffnung der Akulina durch ein Autogrammwunsch getriggert. Das Autorensubjekt, in der modernen Mediengesellschaft zwar markttechnisch unbedingt benötigt, aberselbstverständlich schon lange dekonstruiert, zerbricht hier tatsächlich am industriellen Charakter des künstlerischen Schaffens.
Vielleicht kann Takeshis' als konsequente Fortsetzung von Hana-Bi, Kitanos bisher wohl besten Arbeit, angesehen werden. Die Gemälde, die in Hana-Bi ein Eigenleben entwickelten, waren noch recht schnell zu zähmen, drangen noch nicht vollständig in die Struktur des Werkes ein. In Takeshis' befruchtet sich die Schöpfung ständig selbst und veschlingt am ende ihren Autor. Das mag etwas masturbatorisches haben. Aber filmische Masturbation war selten so schön wie hier.

Tuesday, July 25, 2006

Avalon, Oshii Mamoru, 2001

Oshii Mamorus produzierte den Cyperpunkrealfilm Avalon seltsamerweise in Polen. Die postkommunistischen Stadtwelten sowie die sowjetischen Militärgerätschaften drücken dem Film ihren Stempel auf, schreiben ihn in einer extrem eigentümlichen Zwischenwelt ein, wie es das Realitätsgeswitche der Handlung alleine nicht vermöchte.
Der Film selbst ist außergewöhnlich gut. Was sich wie ein erneuter Aufguss der Matrix-Thematik anlässt (und ganz konkret plottechnisch an Jang Sung-woos nervigen Resurrection of the Little Match Girl erinnert) entwickelt sich vor allem Dank der reduzierten Ästhetik zu einem ernsthaften, diskursstarken und fast nie blödsinnigen Science-Fiction Essay. Anstatt wie die Wachowskys oder Jang Sung-woo SFX Feuerwerke abzubrennen konzentriert sich Oshii auf die Darstellung der unterschiedlichen Filmwelten (der "Realität", der digitalen Spielwelt und des "Speziallevels"). Die Unterscheidung zwischen Realität und Spiel zeigt Avalon nicht - oder zumindest nicht nur - auf der Ebene der Ausstattung oder der Farbe, sondern durch unterschiedliche Montagetechniken und eine Dezentrierung der Perspektiven.
Gleichzeitig werden alle drei Ebenen digital derartig nachbearbeitet, dass stellenweise der Eindruck entsteht, der Film sei komplett am Computer entstanden. Die einzigen Momente, in welchen die allgegenwärtige Künstlichkeit, die der innderdiegetischen Realitätsdiskurse Hohn zu sprechen scheint, aufgebrochen wird, finden sich in Momenten der Nahrungsaufnahme oder -zubereitung. Das Essen, das Ash ihrem Hund zubereitet gewinnt eine derartige Materialität, dass die gesamte, diffizile Plotkonstruktion angesichts einer Kohlsuppe in sich zusammenzubrechen droht.

Friday, July 21, 2006

Homicidal, William Castle, 1961

William Castles Homicidal ist ein solides, teils sehr lustiges Psycho-Rip-off der dreisteren Sorte. Die Ähnlichkeiten reichen vom allgemeinen Thema (ein Transgenderkiller, gespielt von der absolut großartigen und zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Joan Marshall - neben Candace Hilligoss eine der großen amerikanischen Schauspielerinnen, die nie auch nur annähernd die verdiente Anerkennung fanden - der allerdings hier noch deutlich wahnwitzigeren Sorte mit in die Kindheit hineinreichender Psychopathologie) bis zu einzelnen Motiven (die Mutter im Rollstuhl, der alles erklärende Arzt).
Castle erzählt seine Geschichte in recht altmodisch-melodramatischer Weise und ist von der szenischen Auflösung Hitchcocks oder auch nur der besseren Hammer Filme doch noch meilenweit entfernt, bei allem Charme, den das doch sehr altmodische B-Filmcgen versprüht. Dass das Ganze nicht immer so recht funktioniert liegt vor allem daran, dass die Thrillerhandlung für 86 Minuten Laufzeit einfach zu verwickelt ist, das Ergebnis dementsprechend dialoglastig - die Figuren müssen nicht nur ihr gegenwärtiges Beziehungsgeflecht ausbreiten, sondern auch noch die Vergangenheit aufarbeiten. Zu allem Überfluss scheint Castle der Hitchcockschen Küchenpsychologie nicht ganz zu vertrauen und unterfüttert den Psychoplot mit einer altbackenen Erbschaftsgeschichte, die nicht nur für zusätzlichen Gesprächsstoff sorgt, sondern leider dafür sorgt, dass die psychopathologischen Schockszenen sowie die halluzinatorisch-melodramatischen Elemente, welche sich vor allem am Anfang und Ende des Films befinden, im Mittelteil durch ein weitaus rationaleres Regime geerdet werden.
Der Schluss ist - auch aufgrund einiger geschickt eingefügten, äußerst gut vorbereiteten genuinen Horrorfilmmomenten - dann trotzdem großartig.

Wednesday, July 19, 2006

Vendredi soir, Claire Denis, 2002

Zwischen den Autos ist die regennasse Strasse zu sehen in immer neuen Momentaufnahmen, immer neuen Bewegungsstudien. Gesichter von Menschen meist hinter Scheiben, meist als Spiegelungen zerteilen den Raum mit ihren Blickachsen noch einmal. Die Kamera verlässt nie ganz die Subjektive, beharrt immer auf dem Ausschnitt. Die zerstückelte Perspektive ist nicht immer einer Person zugeordnet, ist kein mimetisches Abbild der Vereinzelung des Großstadtmenschen oder ähnliches, sondern stellt die einzig denkbare Möglichkeit in Denis' Welt dar, urbane Wirklichkeit darzustellen. Die Menschen sind fast immer in Bewegung, zwischen zwei Verpflichtungen, zwei realen Orten. Zumindest manche Menschen. Bevor Laure sich, wie ihre Freundin, an einen Ort bindet, der das Koordinatensystem Paris für sie zentriert, das freie Spiel der Kräfte zumindest teilweise beendet, gönnt sie sich noch eine Nacht der Freiheit in einer Stadt, die kein Aussen zu kennen scheint.
Ein zauberhafter, manchmal auf sehr intensive Weise hyperrealistischer, andernorts aber extrem verspielter Film, dessen Plot kaum zu erkennen ist und der es auf wunderbare Weise versteht, einen Verkehrsstau zu einem derart sinnlichen, fast halluzinatorischen Erlebnis zu machen, dass alles andere für ein paar Momente unwichtig wird.

Thursday, July 13, 2006

Nochmal Godzilla: Final Wars

Noch einmal, diesmal etwas genauer. Was stört mich genau an diesem Film? Was macht Godzilla: Final Wars so widerwärtig, dass es ihm gelingt, sich von all dem anderen Blödsinn der aktuellen Kinolandschaft noch einmal äußerst unvorteilhaft abzuheben. Mein letzter Eintrag war natürlich teilweise in sich widersprüchlich: wie kann der Film gleichzeitig stilfern sein und sein Stilkonzept im Minutentakt ändern? In der Tat ist die an sich öde Frage nach dem Verhältnis zwischen Form und Inhalt hilfreich, den Film zu analysieren.
Denn es ist sicherlich kein Style over substance Argument, das gegen den Film anzubringen ist. Dass die digitale Technik eine Rennaissance der "selbstzweckhaften" weil im narrativen Sinne scheinbar nicht gerechtfertigten "schönen Bilder" befördere, stimmt nur so lange, wie man den Massstab aus dem analogen Zeitalter beibehält - und sich vor allem überhaupt auf diese fragwürdige Diskussion einlässt. Hilfreich ist vielleicht ein Vergleich zu den in Thailand arbeitenden Pang Brüdern, die sich ebenfalls oftmals dem Stil-Substanz Argument gegenübersehen. In der Tat sehen einige ihrer Filme - allen voran der unverschämt sexye Bangkok Dangerous - umwerfend aus, zugegeben ohne gleichzeitig ähnliche Innivationen auf der narrativen Ebene zu bieten. Dennoch erzählen die Filme solide Genregeschichten - das gesamte Genresystem basiert nun einmal darauf, dass die unterschiedlichen erzählerischen Varianten grundsätzlich begrenzt sind, der Reiz dieses Kinos besteht ja gerade in der ständigen Variation des prinzipiell stets sehr Ähnlichen -, ziehmlich geradlinige zumeist, die sich erfreulicherweise fern halten vor übertriebener Selbstreflexivität und ähnlichen Spirenzchen. Die Stilistik reflektiert diese fast altmodische Struktur zumindest insofern, als dass die visuelle Strategie innerhalb eines Filmes stets in sich kohärent bleibt. Manchmal darf man sich sicherlich einen etwas zurückhaltenderen - und dadurch umso wirkungsvolleren - Umgang gerade mit den exzessiv eingesetzten wilden Kamerafahrten wünschen aber das sind Nebensächlichkeiten in grundsätzlich äußerst schönen Filmen. Die visuelle Extravaganz mag die Erzählung dominieren und Verfechter des klassischen Erzählkinos werden mit den Pangs wahrscheinlich nie glücklich werden aber was solls - weniger dogmatische Zeitgenossen können sich am thailändischen Eyecandy dennoch unbeschwert schadlos halten.
Kitamuras Monsterfilmversuch dagegen ist auf beiden ebenen - form und Inhalt - grundverschieden. Zum einen fällt (wie oben erwähnt) die ständige Veränderung im stilistischen Konzept auf, die die angebliche, der Legende zufolge MTV- und videospielverschuldete Verringerung der Aufmerksamkeitsspanne des heutigen Publikums (gibt es eigentlich irgendwelche empirischen Belege für diese ständig wiederholte These?) antizipieren zu scheint. Ob das Publikum (außerhalb Kitamurafanclubs) in der Tat nicht in der Lage, einer Filmhandlung auch dann noch ihre Aufmerksamkeit zu schenken, wenn diese nicht alle paar Einstellungen in neuen dämlichen Äktschnfilm/Ballerspiel Bildklischees aufgelöst wird, Klischees, die innerhalb der Montage fast nur naiv assoziativ funktionieren, nach dem Motto: Hier ein cooles Schwert, dann zeigen wir in den nächsten zehn Einstellungen / Sekunden eben noch mehr Schwerter, andere Möglichkeiten, Bilder miteinander zu verketten, findet Godzilla: Final Wars fast nie. Und es sind tatsächlich ausschließlich die ausgelutschtesten, plattesten Bildwelten, die Kitamura bereithält.
Der Mann hat eben nicht viele schlechte Filme gesehen, sondern wenige sehr schlechte und dazu zu viel egoshooter gespielt. Was dabei rauskommt, verfilmt er dann leider. Sichtbar wird auf der Inhaltsebene dann zuerst einmal der plattmöglichste Opportunismus: als Fanfutter ein paar Aufnahmen von Fanfavoriten wie Megalon oder Hedorah, Ankündigungen von Monsteroverkill und ähnlichem Kappes. Nicht einmal letztere werden wirklich eingelöst: Godzilla: Final Wars ist zu allem Überfluss zu großen Teilen erschreckend monsterfrei. Statt dessen wird das Genre in einer Weise verraten, die selbst Chen Kaiges Vergewaltigung des Martial Art Films durch Wu ji noch deutlich in den Schatten stellt. Alle Schauplätze im tatsächlichen empirischen Japan oder überhaupt alles, was an eine eventuell existierende welt außerhalb des textes erinnern könnte, wird komplett ausgeblendet, aber eben nicht für eine wie auch immer geartete intertextuelle Auseinandersetung mit irgendwas sondern ausschließlich für blanken Zynismus - um das Fantasy Filmfest Fußvolk zufrieden zu stellen, darf Godzilla seine ungeliebte amerikanische Inkarnation kaputt machen und ähnliche nerdtauglichen Unsinn anstellen - und die Ausstellung obiger Patchworkoptik.
Genauer auf den wie gesagt ziemlich unerträglich faschistoiden Inhalt einzugehen erspare ich mir hier nun selbst. Jetzt ist erst mal gut mit Godzilla.

Godzilla: Final Wars, Kitamura Ryuhei, 2004

Wer herausfinden möchte, wie mieß modernes Kino sein kann, wie verabscheuungswürdig ausbeuterisch und opportunistisch und gleichzeitig sinnbefreit langweilig - selbst Emmerichs an sich ebenfalls fast schon kriminell öder Amerikanisierungsversuch ist um einiges spannender als Kitamuras Schwachsinn -, der sollte sich den neuesten (aber hoffentlich nicht letzten - so darf diese Serie nun wirklich nicht sterben) Godzilla Film ansehen. Beworben mit jeder Menge schneller, höher, weiter, mehr Monster, mehr Effekte, mehr Krach und mehr alles, stellt schon die erste Viertelstunde klar, wohin die Reise geht: in die absolute, komplette Geist- Inhalts- und Stilferne, in das Reich eines Regisseurs, der unfähig zu sein scheint, ein Stilkonzept über einen längeren Zeitraum als vielleicht zwanzig, dreissig Sekunden (und ebenso vielen Einstellungen, die sich in unglaublicher Einfallslosigkeit buchstäblich im Sekundentakt ablösen, jedoch nicht die geringste Dynamik erzeugen können, weil es in Final Wars einfach nicht gibt, was zu dynamisieren wäre) durchzuhalten. Mal ein bisschen Gothik Optik, dann wieder faschistoide Militarykulissen, dazwischen ein bisschen Sonnenuntergangskitsch - ein visuelles Klischee jagt das andere, überzogen von einem widerlichen CGI Zuckerguss, der das ganze - und auch die eigentlich wie immer sympatischen Suitmationmonster vollkommen unerträglich macht.
Postmodernes Pastiche in Reinform? Vielleicht, ja wer weiss, möglicherweise ist Kitamura die logische Weiterentwicklung des brachialen Primitivkinos Michael Bays. Wo Bay auf Stil zugunsten der größtmöglichen Mobilisierung von was auch immer (ist eh egal) verzichtet, zitiert sich der handwerklich zugegeben unglaublich beschlagene Japaner im Sekundentakt neue Klischees herbei, entfremdet diese allerdings so weit, dass jeder eventuell einmal vorhandene geschichtlich bedingte Charme der Technik vollständig und unwiederbringlich verschwindet (nicht mal alte Aufnahmen aus Gojira tai Hedorah können dem Film auch nur den geringsten Hauch von Nostalgie hinzufügen).
Dass der Film auch noch unglaublich faschistoid ist und den widerlichsten Helden aller Godzilla Filme zu bieten hat, nimmt man angesichts der allgegenwärtigen Niedertracht des gesamten Projekts kaum noch wahr.